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Medien: Die Aufklärerin

Sie hat Arafat oder Mubarak zu Gast. Gisèle Khoury ist die prominenteste Polit-Talkerin Arabiens – und eine emanzipierte Christin

Gisèle Khoury steht in ihrem Studio und wartet auf ihren Gast. Sie trägt eine ausgeschnittene rosafarbene Bluse, einen braunen Rock. Ihre Lippen hat sie dunkelrot geschminkt. Khoury hält eine dicke Aktenmappe ein wenig verkrampft unter dem Arm geklemmt, was sie aber nicht als Zeichen von Nervosität zu verstanden wissen will. Sie sei nur konzentriert, sagt sie. „Nach 18 Jahren Fernsehen hätte ich den Job verfehlt, wenn ich noch nervös wäre.“

Gisèle Khoury wartet auf Amin Gemayel, der einmal Präsident des Libanons war und heute in ihre Sendung kommen soll. „Da werden die arabischen Zuschauer staunen. Sie sind an Ex-Präsidenten nicht gewöhnt“, sagt sie und spielt dabei auf Diktatoren wie in Saudi-Arabien, Syrien oder Kuwait an, die, wie der Papst in Rom, bis zu ihrem Tod im Amt bleiben. Schade sei nur, ergänzt sie, dass Amin Gemayel seine Frau mitbringe. „Das mag ich gar nicht. Da stehen die Männer immer so unter Druck, als müssten sie etwas besonders beweisen.“

Gisèle Khoury lacht übers ganze Gesicht. Sie ist wirklich sehr selbstbewusst. Humor und ein Schuss Zynismus seien wichtige Bestandteile ihrer Arbeit, sagt sie. „Wer etwas im Mittleren Osten mit Politik zu tun hat, wird ansonsten verrückt.“

Khoury ist die prominenteste Talkmasterin von Al Arabija, dem panarabischen Satellitenkanal. Jeden Sonntag um 22 Uhr hat sie ihre Sendung, zur selben Zeit, wenn bei uns „Sabine Christiansen“ läuft. Und der Vergleich mit der Christiansen-Sendung ist gar nicht so falsch. Präsidenten, Premierminister, Außenminister und andere Entscheidungsträger aus Politik und Gesellschaft der arabischen Welt waren bei Khoury zu Gast. Zum Beispiel der ägyptische Staatspräsident Hosni Mubarak, der Palästinenserführer Jassir Arafat oder der Generalsekretär der Arabischen Liga Amr Mussa. Aber auch kritische Intellektuelle wie Edward Said, der mittlerweile verstorbene palästinensische Autor und Professor der Columbia Universität in New York.

Als sie in ihrem Beiruter Studio den algerischen Staatspräsidenten Abdelaziz Bouteflika interviewte, hing ihm ein Haar in der Stirn. Mitten in der Sendung stand sie auf und schnitt es mit einer großen Schere ab. Gisèle Khoury ist doch nicht wie Christiansen. Sie traut sich was.

Im Studio steht neben ihrem ovalen Interviewtisch ein Schild mit der Aufschrift „Bilarabi, Auf Arabisch!“, dem Titel der Sendung, der programmatisch gemeint ist und die Interviewten ermahnt: „Klartext, bitte!“ Im ersten Teil der Sendung geht es um den politischen Werdegang des jeweiligen Gastes, im zweiten Teil dreht sich das Gespräch um Aktuelles.

Khoury war schon ein Star in Libanon, als Al Arabija sie abwarb. Sie war 15 Jahre Moderatorin und Journalistin bei der LBC, der „Libanese Broadcast Cooperation“. Doch sie hatte Probleme mit der LBC, und so kam ihr das Angebot des Satellitenkanals aus Dubai gerade recht. Im Februar 2003 war Al Arabija als direkte Konkurrenz zu Al Dschasira gestartet worden. 300 Millionen Dollar hatten der Satellitenkanal MBC der Hariri Group und Geldgeber aus Saudi-Arabien, Kuwait und anderen Golfstaaten investiert. Khoury war für Al Arabija nicht nur als profilierte Journalistin interessant, sondern auch, weil sie Christin ist. „Natürlich werde ich als Aushängeschild benutzt“, sagt sie. „Seht her, wir als islamischer Sender haben eine Christin, die auch noch liberal und emanzipiert ist.“

Doch das Aushängeschild mutet ihrer moslemischen Zuschauerschaft einiges zu. Khoury ist geschieden, hat eine 21-jährige Tochter und einen 19-jährigen Sohn und ist in zweiter Ehe seit zwei Jahren mit einem Schriftsteller und Journalisten verheiratet. „Auch meine Kleidung entspricht absolut nicht dem Codex, der in Saudi-Arabien vorgeschrieben ist“, sagt sie. Manchmal heiße es sogar, sie solle doch bitte eine dezentere Garderobe wählen. Sie hält sich nicht daran. Ein Stück Provokation gehört zu ihrem Handwerkszeug.

Aber Gisèle Khoury sagt, dass sie bei Al Arabija keine Ausnahme sei. „Bei uns in der Redaktion gibt es moderne Frauen und westlich orientierte Redakteure.“ Der Sender stehe für die moderne Seite Saudi-Arabiens. Damit unterscheide er sich grundsätzlich von Al Dschasira, das Fundamentalisten eine Bühne biete, sogar Werbung für Terroristen mache, die in den Nachrichten regelmäßig als „Märtyrer“ bezeichnet würden. Sie fängt an zu lächeln. „Jeden Märtyrer erwarten ja angeblich 40 Jungfrauen im Himmel“, sagt sie. „Was erwartet dann mich, als Frau? Wenn mein Mann 40 Jungfrauen bekommt, möchte ich auch meine 40 Männer.“ Das allerbeste sei, fährt sie süffisant fort, gar nicht erst auf den Himmel zu warten, sondern bereits zu Lebzeiten 40 hübsche Männer… „Spaß beiseite“, sagt sie, vorsorglich, damit man es nicht ernst nimmt.

Das Programm von Al Arabija ist nicht so liberal wie seine Frontfrau. Ebenso wie Al Dschasira hat der Sender Videobänder militanter Islamisten ausgestrahlt. Deshalb war der Sender auch vor einem Jahr einmal im Irak verboten. Neuerdings gibt es eine redaktionelle Richtlinie, die das Ausstrahlen solcher Bänder untersagt. Auch Khoury soll in ihre Talkshow keine „Vertreter radikaler islamischer Gruppen“ mehr einladen. Die „Hisbollah“, im Libanon offiziell eine Widerstandsgruppe, fällt nicht unter diesen Bann. In einer der nächsten Sendungen von „Bilarabi“ ist Sheik Quassim, zuständig für politische Strategie der Organisation, ihr Interviewgast. Der Mittlere Osten hat ein anderes politisches Koordinatensystem.

Gisèle Khoury ist nach der Sendung zurück in ihrem Büro, nippt an einem türkischen Café ohne Zucker. Sie erzählt von ihrem Journalistikstudium in Beirut. Der Professor, bei dem sie Diplom machte, habe sie gelehrt, den Idealen von einer freien Presse und dem Glauben an eine besseren Welt treu zu bleiben. Was auch immer passiere. Das ist nicht gerade einfach in einer Region, die von Korruption regiert wird, und in der Demokratie und Gerechtigkeit Fremdwörter sind. Gisèle Khoury will den Weg der kleinen Schritte gehen. „Wenn ich einen Ex-Präsidenten wie Gemayel in meine Sendung einlade, ist das für die arabische Welt schon etwas ganz Besonderes.“

Amin Gemayel hat sie heute über die Amtszeitverlängerung des Präsidenten Emil Lahouds und die neue Resolution 1559 des UN-Sicherheitsrates ausgefragt, die den Abzug aller syrischer Truppen aus dem Libanon und die Entwaffnung der Hisbollah fordert. Sie ist mit der Sendung zufrieden. Nur die Quoten muss sie noch abwarten. Die sind im Libanon genauso wichtig wie in Deutschland. „Wir Moderatoren sind letztendlich wie Prostituierte“, sagt sie. „Stimmen die Zuschauerquoten, bekommt man einen neuen, besseren Vertrag. Wenn nicht, fliegt man raus.“ Nur werde man leider nicht so gut bezahlt wie in den USA und Europa. Sie lächelt wieder. „Dort gehen die Gagen ja in die Millionen.“

Alfred Hackensberger[Beirut]

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