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Medien: Die BBC im Büßerhemd

Selbstkritik nach Kalender: Alle zehn Jahr steht die „Royal Charta“ des Senders auf dem Prüfstand

Als die BBC vor 50 Jahren ihr erstes Fernsehbulletin ausstrahlte, kam die Sprecherstimme aus dem Off. Ein sichtbarer „Newsreader“, so die Sorge, könnte mit einem kommentierenden Gesichtsausdruck die Unparteilichkeit der Nachrichten beeinträchtigen. Viel hat sich seither verändert, die Sorge um den eigenen Ruf ist der BBC geblieben. Nach der harschen Kritik, die sich die BBC durch Lord Hutton an ihrer Irak-Berichterstattung gefallen lassen musste, gehören eine „Schule“ für journalistische Auffrischungskurse und ein offenerer Umgang mit den eigenen Fehlern zu den jüngsten Reformansätzen der BBC.

Überhaupt hält die BBC es, nach Jahren des gelegentlich triumphalistischen Selbstbewussteins über die fast zu erfolgreiche Quotenjagd unter dem zurückgetretenen Generaldirektor Greg Dyke, mit der Selbstkritik. Nicht nur wegen Lord Hutton und der durch seinen Bericht ausgelösten BBC-Führungskrise. Der Kalender will es so. Denn alle zehn Jahre geht die BBC in sich – wenn die „Royal Charta“ abläuft, auf der dieser Koloss des Rundfunks mit seinen inzwischen acht Fernsehkanälen, zehn landesweiten und 50 lokalen Radioprogrammen und seinem weltweit gefeierten Online-Imperium gebaut ist.

Die erste Charta trat am 1. Januar 1927 in Kraft. Die achte läuft am 31. Dezember 2006 aus, und die Erneuerung durchs Parlament ist keine bloße Formalität. Hier wird um den Auftrag der BBC gerungen, ihre Aufgaben, die Kontrollorgane und vor allem die rechtliche Grundlage für den Zwangseinzug der Rundfunkgebühren – derzeit 121 Pfund (180 Euro) pro Teilnehmer im Jahr – jährlich rund 2,6 Milliarden Pfund.

Es geht also um die Zukunft der BBC. Auch diesmal wurde die Grundsatzdebatte wieder von umfassender Selbstkritik begleitet, die den BBC-Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen soll. In einem 135-Seiten-Dokument ziehen sich Chairman Michael Grade und Generaldirektor Mark Thompson das Büßerhemd an und geloben Besserung: Keine „derivativen und zynischen“ Reality-TV-Programme soll es mehr geben, keine blinde Jagd nach Quoten, weniger Jux und mehr ernste Nachrichten. Einige Internet-Seiten über Hollywood und sonstiges Entertainment wurden gerade eingestellt.

Die BBC will ihr Herz für die Kultur wieder entdecken und ihrem, in den Augen der Konkurrenten, schlimmsten Laster abschwören: dass sie mit ihrem gebührenfinanzierten Geldsack immer wieder tief in Jagdgründe der Mitbewerber vordringt. Nebenaktivitäten von der Publikation des Küchenmagazins „olive“ bis zur Auswertung des riesigen BBC-Back- Catalogues haben im letzten Jahr 147 Millionen Pfund eingebracht. Diese „imperialistischen Ambitionen“, so Chairman Grade, sollen eingedämmt werden. Tiefe Einschnitte soll es aber weder bei den Aktivitäten noch bei der Finanzierung geben. Schlau schlug Grade vor, die Rundfunkgebühren in Zukunft von einem unabhängigen Gremium festsetzen zu lassen – womit der Regierung ihr wichtiges Gängelungsinstrument aus der Hand genommen wäre.

Die Fronten der BBC-Debatte verlaufen wie gewohnt: auf der einen Seite die Fans der „Beep“ – 68 Prozent der Briten glauben nach einer von der BBC selbst bestellten Umfrage, dass sie auf die BBC stolz sein können. Auf der anderen diejenigen, die der BBC ihre „Jacuzzis von Geld“ neidet, wie der heutige BBC-Generaldirektor Mark Thompson vor ein paar Monaten sagte, als er noch Chef von Channel 4 war. Das sind nicht nur Konkurrenten, auch die im „BBC Resistance Forum“ zusammengeschlossenen frustrierten Pay-TV-Abonnenten, die mindestens 150 Pfund für ihr BSkyB-Paket bezahlen und nie BBC sehen. Oder der ehemalige Channel-5-Chef David Elstein, der eine Zwangsgebühr für absurd hält und auch im öffentlich-rechtlichen Bereich „Pay as you view“ fordert.

Fünf Kernaufgaben sieht die BBC: Sie stärkt die Demokratie, in dem sie die Bürger informiert; kulturelle Werte, Bildung, Gemeinschaftswerte, indem sie Toleranz und sozialen Zusammenhalt in der multikulturellen Gesellschaft fördert, und sogar globale Werte, weil sie die Werte und die Kultur des Vereinigten Königreichs weltweit kommuniziert. „Hokuspokus“ nennt Channel-5-Chef Elstein diese hehren Ambitionen.

Kritiker wie er werfen der BBC vor, ihr monopolistischer Anspruch, das Forum der Nation zu sein, passe nicht ins digitale Zeitalter. Schlimmer, wenn sich die BBC mit missionarischem „social engineering“ in Bereiche vorwage, die sie nichts angingen, büße sie ihre politische Neutralität ein. Wie einfach war da noch der Auftrag, den BBC-Begründer Lord Reith formulierte – „Informieren, Bilden, Unterhalten“.

Doch die Chancen für eine Neuauflage der BBC, in der Form, die wir kennen und lieben, stehen gut. Kulturministerin Tessa Jowell kündigte bereits an, eine „starke, von der Regierung unabhängige BBC“ sei das „sichere Ergebnis“ der Charta-Erneuerung. Sie deutete praktisch auch an, dass an der Rundfunkgebühr nicht gerüttelt wird. Kurioserweise hat die Hutton-Krise die Sache für die BBC einfacher gemacht. Einmal, weil die neue Führungsmannschaft die Rückverwandlung vom „imperialistischen“ Medienmulti der Dyke-Ära zum verantwortungsbewussten öffentlich-rechtlichen Sender überzeugender verkaufen kann. Zum anderen, weil die Regierung durch die, trotz Hutton, berechtigte BBC-Kritik am Irakkrieg und an den Einschüchterungsversuchen der Downing Street selbst in der Defensive ist. Labour ist nicht in der Stimmung, es auf eine Machtprobe mit der BBC und ihrem großen Fan-Club ankommen zu lassen.

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