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Medien: Die Daumendrückerkolonne

Marktgeschrei statt Analyse – und immer live. Ex-Grimme-Chef Bernd Gäbler über den Niedergang des Sportjournalismus im Fernsehen

Nach 82 Stunden LiveÜbertragung von den nordischen Ski-Wettkämpfen in Oberstdorf erhielten ARD und ZDF vom Internationalen Skiverband (FIS) einen „Television Award“. Wahrscheinlich bekommt die Union der Europäischen Rundfunkorganisationen (EBU) jetzt auch für 2011 und 2013 die WM-Rechte nordisch und alpin. Steadycam, Speedcam, Minicam, Cadcam – insgesamt waren 95 Kameras im Einsatz; aber haben wir auch erfahren, warum die deutschen Langläufer anfangs hinterherliefen und sich dann doch steigerten? Gab es also guten Sportjournalismus? Die Nachfragen dazu sind stets ähnlich: Haben unsere Sportjournalisten – als die Finanzkrise von Borussia Dortmund offenbar war – einmal von sich aus nach Schalke geschaut? Sie könnten doch journalistische Neugier entwickeln, ohne sofort Skandale zu melden. Auch im Falle des Schiedsrichterskandals hat das Fernsehen sich vor allem als Chronist der laufenden Ereignisse betätigt, auch wenn Johannes B. Kerner sich gehörig empört gab, als er Robert Hoyzer seine Sendung als Bühne der Bußfertigkeit darbot. Immerhin hielten die meisten TV-Sportsendungen eine gewisse Distanz zum plumpen Boulevard. Dies ist aber allenfalls Vorsicht, noch kein guter Sportjournalismus.

Im Fernsehen dehnen sich die Programmflächen und „Timeslots“ für den Sport immer mehr aus, zugleich aber befindet sich der Sportjournalismus auf dem Rückzug. Über nordische Ski-Weltmeisterschaften wird so breitwandig berichtet wie sonst nur über Olympia (da berichteten ARD und ZDF 1400 Stunden in 17 Tagen) oder Fußball. Auch bei einem Einzelereignis geht es längst ähnlich raumgreifend zu. Schier endlose Vor-, Nach- und Drumherumberichte dienten ursprünglich dem Zweck, Werbezeit für die Refinanzierung zu generieren, jetzt ist es immer so. Dabei ist die Oberflächengestaltung technisch besser geworden: bunter, greller, flotter geschnitten sind die kleinen Einspieler und Retrospektiven, Grafiken und O-Töne. Aber so wie es dem Fernsehen insgesamt ergeht, das durch die vielen Gewinnspiele und Sponsorenhinweise, „Mitmach“-Sender und Shopping-Kanäle immer unruhiger und billiger wirkt, ergeht es auch dem Sport: Ruhe und Sachlichkeit, Hintergrund und leider auch die journalistische Formenvielfalt verflüchtigen sich.

Es geht nicht um fundamentalistische Ansprüche. Niemand kann tagtäglich Skandale aufdecken, Dopingsünder hieb- und stichfest entlarven oder die Finanzlage von Borussia Dortmund haarklein enthüllen. Mehr Journalismus aber als uns zurzeit geboten wird, darf es schon sein. Könnte die ARD bei aller Radsportbegeisterung nicht doch etwas skeptischer sein bezüglich der übermenschlichen Leistungen während einer Tour de France? Haben die TV-Sportredaktionen je eigenständige Beiträge geleistet, wenn es ernst wurde mit dem Doping? Ist es noch denkbar, dass ein Andy Möller als Studiogast die Kopien der Verträge mit Eintracht Frankfurt und Borussia Dortmund, die er beide parallel unterschrieben hatte, vorgelegt bekommt? Heute wird mehr geplaudert, aber nicht mehr so hart gefragt.

Gab es – außer hektisch transportierter O-Töne und anklagender Ritt-Wiederholungen – während der Athener olympischen Dauerberieselung einen einzigen sachlichen Report über das aberkannte Military-Gold? Oder noch einfacher: Warum gibt es keine Sportsendung mehr, in der Platz ist für ein Fußball-Gespräch, wie es etwa Christoph Biermann in der „SZ“ mit Ralf Rangnick zum Rückrundenstart geführt hat? Oder: Warum gab es nicht längst in ARD oder ZDF einen 30- oder 45-Minüter zu Jürgen Klinsmann? Keine süßliche home-story, sondern eine Analyse seiner Geschäftsbeziehungen in den USA, seiner Trainingsmethodik, und vor allem: Wie er es schafft, sich in dem bleischweren DFB durchzusetzen? Das ist doch das journalistische Alphabet. Warum fehlt so etwas?

Weil solche Filme keine Zuschauer finden würden? Oder weil der ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf eine „journalistische Leistung“ längst so definiert: „Sie besteht darin, die Dramatik eines sportlichen Wettbewerbs zu transportieren.“ Also: Marktgeschrei statt Analyse? Mindestens verabsolutiert Boßdorf einen Teilaspekt des Sportjournalismus. Umso schlimmer, wenn auch dieser immer wieder verfehlt wird. In der permanenten Aufforderung, jetzt gefälligst die Daumen zu drücken, kann sich die Dramatik-Transportarbeiterleistung ja nicht erschöpfen. Der 10 000-Meter-Lauf von Athen zum Beispiel war eine der dramatischsten Generationenablösungen in der Leichtathletik. Leider entging den öffentlich-rechtlichen Reportern völlig das Wesentliche, nämlich die Dynamik zwischen dem zurückfallenden Haile Gebreselassie und seinem loyalen Erben, dem späteren Sieger Kenenisa Bekele. Auch die beeindruckendsten Einzelsiege über 100- oder 400-Meter Hürden wurden wie Randereignisse behandelt, weil keine Deutschen im Finale waren. Stattdessen wurden permanent aufgezeichnete Entscheidungen, deren Ausgang schon im Videotext nachzulesen war, als Live-Berichterstattung verkauft. Lässliche Sünden im Dienst des Dramatik-Transports?

Selbstverständlich kann und soll Sport spannend und unterhaltsam dargeboten werden. In seiner besten Zeit lebte das „Aktuelle Sportstudio“ des ZDF davon. Die Allzeitpräsenz der menschelnden Plauderer Johannes B. Kerner und Reinhold Beckmann aber birgt die Gefahr in sich, zur Verwischung der Genres beizutragen. Selbstverständlich wird niemand behaupten, sie hätten keine Ahnung vom Sport, zumal vom Fußball. Aber zu oft und gerade in Athen war ihnen der Sport eben bloß noch Anlass fürs Talken. Dieser Gesamteindruck färbt ab, auch wenn sie Fußball-Länderspiele fachlich zu kommentieren haben. Bei Günther Jauch ist das anders, weil er stets den Laien gibt, der nur die richtigen Fragen an den Experten weiterlenkt. Wenn einer aber erklären soll, warum „wir“ zur Halbzeit verdient 0:1 hinten liegen, wollen wir ein fachmännisches Urteil hören – kein Geplauder. Wer je etwas über den „Konzeptfußball“ gelesen hat, erkennt auch im Stadion taktische Konstellationen besser. Warum aber erklären unsere TV-Kommentatoren die sichtbaren Fußball-Strategien so wenig? Und die Sprache! Sie bleibt ein leidiges Thema. Man hat es satt: dieses ständige „den Turbo einschalten“, „in die Zweikämpfe gehen“, „mit Köpfchen“, „auf Betriebstemperatur kommen“ – da ist eine deutliche „Kabinenansprache“ fällig.

Die Schwächen sind nicht allein dem Sport zuzuschreiben. Das Fernsehen „hypt“ jedes vermeintliche „Event“ und wird dadurch insgesamt unerheblicher. Gerade im Sport gilt das Dogma der großen Zahl. Gerade hier könnten aber auch viele Menschen an gute Sprache, klare Analysen und journalistische Normen gewöhnt werden. Weniger schludern – das wäre auch mit Blick auf die Fußball-WM 2006 ein begrüßenswertes Vorhaben.

Bernd Gäbler, Geschäftsführer des Adolf Grimme Instituts von 2001 bis 2004, ist Mitglied der Deutschen Akademie für Fußballkultur.

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