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Medien: Die Egal-Fraktion

Selbst Dieter Stolte, dem der diplomatische Umgang mit politischen Parteien in seinen zwanzig Dienstjahren als ZDF-Intendant zur zweiten Natur geworden ist, platzte diesmal der Kragen. Die Parteien, polterte er, seien für das Scheitern der Intendantenwahl am 6.

Selbst Dieter Stolte, dem der diplomatische Umgang mit politischen Parteien in seinen zwanzig Dienstjahren als ZDF-Intendant zur zweiten Natur geworden ist, platzte diesmal der Kragen. Die Parteien, polterte er, seien für das Scheitern der Intendantenwahl am 6. Dezember verantwortlich.

Stolte hat Recht. Nach monatelanger Suche präsentierte die von Parteipolitikern dominierte Findungskommission des Fernsehrats nicht einen, sondern zwei Kandidaten für Stoltes Nachfolge, den Unionsmann Helmut Reitze und die SPD-Favoritin Dagmar Reim. Die in "Freundeskreisen" organisierten politischen Lager stimmten jeweils geschlossen für "ihren Kandidaten". Da keiner der beiden Freundeskreise über die erforderliche Dreifünftelmehrheit verfügt, wurde keiner der beiden gewählt. Und am 18. Januar ist wieder Wahltag.

Die beiden Großparteien haben den ZDF-Fernsehrat freilich nur deshalb so fest im Griff, weil die Vertreter der gesellschaftlichen Gruppen sich bereitwillig ihrer Herrschaft unterwerfen. Bei dem gescheiterten Wahlversuch am 6. Dezember stimmten sie jedenfalls so ab, wie die Freundeskreise es festgelegt hatten. Das gilt für die Vertreter der Freien Wohlfahrtsverbände, des Sports, der Universitäten und des Bühnenvereins, der Verbraucherzentrale und der Opfer des Stalinismus. Sie alle sind nach dem ZDF-Staatsvertrag "an Weisungen nicht gebunden". Aber wenn es im Fernsehrat zu wichtigen Entscheidungen kommt, agieren sie zuverlässig als Stimmvieh der Parteien.

Besonders ärgerlich ist diese selbstverordnete Gleichschaltung im Falle der Religionsgemeinschaften, die auf ihre politische Unabhängigkeit eigentlich besonders bedacht sein müssten. Der Zentralrat der Juden wird durch Michel Friedman vertreten. Der ist bekanntlich Mitglied der CDU und sitzt folglich im schwarzen Freundeskreis. Das ist sein gutes Recht. Nur: Ist die jüdische Gemeinschaft, die er vertritt, automatisch auf die CDU verpflichtet? Dass die beiden Vertreter der Katholischen Kirche, Rita Waschbüsch und Mario Junglas, und mit ihnen der Caritas-Vertreter Martin Salm dem schwarzen Freundeskreis angehören, wird vielleicht nicht überraschen. Aber auch hier gilt die Frage: Ist die Katholische Kirche wirklich automatisch auf die CDU verpflichtet?

Die beiden Vertreter der Evangelischen Kirche haben das Problem scheinbar elegant gelöst: Ruth Leuze sitzt im schwarzen, Hermann Barth im roten Freundeskreis. Beide sind parteilos und haben sich ohne förmlichen Auftrag durch den Rat der EKD, der sie entsendet, darauf verständigt, jeweils in einen der Freundeskreise zu gehen. So mischt die Evangelische Kirche in beiden Machtzirkeln mit, ohne sich an eine der beiden Großparteien zu binden. Aber der Trick hebt den grundsäzlichen Missstand nicht auf. Die Protestanten im Fernsehrat verzichten wie alle anderen Vertreter gesellschaftlicher Gruppen zugunsten der politischen Parteien auf ihr genuines Kontrollrecht. Alle haben es sich in den Freundeskreisen bequem gemacht. Da die "Grauen" nie als eigenständige Gruppe agieren, können die Parteien es sich sogar leisten, über die sogenannte "R-Liste", die ausdrücklich den gesellschaftlichen Gruppen vorbehalten ist, eigene Leute in den Fernsehrat zu drücken. Auf diesem Wege sind zum Beispiel der Bremer Ex-Bürgermeister Hans Koschnick und die Düsseldorfer Regierungssprecherin Miriam Meckel, beide SPD, in das Gremium gelangt. Von Protesten wurde nichts bekannt. Würden die Vertreter der gesellschaftlichen Gruppen solche Dreistigkeiten nicht hinnehmen, sondern sich als eigene Kraft organisieren, hätten sie die Mehrheit im Fernsehrat. Und selbst wenn man akzeptiert, dass Gewerkschaftsvertreter normalerweise mit der SPD und Arbeitgeber mit der Union stimmen, dann könnten die "Grauen" zumindest ein Machtfaktor sein, an dem vorbei keine der Parteien eine wichtige Entscheidung durchsetzen kann. Aber das würde voraussetzen, dass die "Grauen" die Dominanz der Parteien nicht länger als naturgegeben hinnehmen, sondern als das betrachten, was sie ist: ein Skandal.

Joachim Braun

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