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Medien: Die Endlos-Seife

Seit Ende Juli sendet TV.Berlin nur noch aus dem Archiv. Am 11. September droht die endgültige Pleite

Von Christine Meffert

TV.Berlin erlebt seinen zweiten Frühling, mitten im Sommerloch: Die Bäume schlagen aus, die Spargelzeit hat begonnen, der Vatertag legitimiert epidemische Alkoholvergiftungen. Das „Ballungsraumfernsehen“ vom Alexanderplatz führt seine Zuschauer im Spätsommer an die mythischen Orte des Frühlings: Auf die Felder und Alleen Brandenburgs, in den Tierpark Friedrichsfelde oder in die Imkerei. Früher ereiferte sich Senderchef Georg Gafron an dieser Stelle über den „rot-dunkelroten“ Senat und die Kriminalität in Berlin, dieser Tage warnt ein Moderator höchstens davor, dass „Bienen aggressiv auf Wollegeruch reagieren“.

Auf TV.B gibt es keine Flutkatastrophen, keine Kanzlerduelle, keine Kriegsgefahr. In dem kleinen Regionalsender am Fuße des Fernsehturms mit der schönen Adresse „Panoramastraße 1a ist die Idylle ausgebrochen: Das Programm besteht nur noch aus Wiederholungen, einer Endlosschleife von immergleichen Bildern aus „der Hauptstadt unseres Vaterlandes“, wie Gafron zu sagen pflegt. Seit der „General“ das sinkende Schiff ohne ein Wort des Dankes an die Belegschaft verlassen hat – der Betriebsrat spricht in einem offenen Brief von Fahnenflucht – fährt das Boot im Kreis. Seit August sind die rund 100 festen Mitarbeiter freigestellt, nur eine Notmannschaft von sechs Leuten ist noch an Bord.

Obwohl seit dem 31. Juli kein Beitrag mehr produziert wurde, könnte der Zuschauer meinen, es sei alles beim Alten bei TV.B – wäre da nicht die Konfusion der Jahreszeiten und der Mangel an aktuellen Nachrichten. „Wir tun einfach so, als ob es weitergeht“, erzählt Elke Bahr, die Archivarin, eine der wenigen, die im Sendehaus am Alexanderplatz noch die Stellung hält. Sie erlebt hier nun schon die zweite Insolvenz, aber sie nimmt es gelassen. Das mag an ihrem Naturell liegen, oder am Alter: Im Oktober wird sie 61, der Ruhestand ist nicht mehr fern – wie die Sache auch ausgehen mag. Denn noch ist nicht entschieden, ob es Mitte September mit einem neuen Investor weitergeht und dann vielleicht 40 der einst hundert festen Mitarbeiter übernommen werden.

Nach dem Ende des Deutschen Fernsehfunks, wo die Archivarin Elke Bahr vor der Wende gearbeitet hatte, fing sie bei „IA“ an, dem ersten Regionalsender am Alexanderplatz.1996 wurde das defizitäre Funkhaus umbenannt in „Puls TV“, ein Jahr später war es trotzdem pleite. Kirchs Sohn Thomas übernahm das Unternehmen und TV.B ging an den Start, ab 1999 mit Gafron an der Spitze. Doch auch er konnte den Sender mit seinen markigen Sprüchen und Sekundanten wie dem alten CDU-Scharfmacher Heinrich Lummer nicht aus der Grauzone der öffentlichen Aufmerksamkeit holen. Im April war es wieder soweit: TV.B musste – im Zuge der Kirch-Krise – Insolvenz anmelden.

Er habe den Eindruck, die Pleite des Senders sei gar nicht richtig zur Kenntnis genommen worden, sagt der Insolvenzverwalter Christoph Rosenmüller. Das mag daran liegen, dass TV.B von den Berlinern nie richtig zur Kenntnis genommen wurde. Mit einer Einschaltquote von einem halben Prozent lief das Programm am Ende fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Auf reges Interesse stießen nur die allabendlichen „Erotik-Clips“.

Wenn es aber nach dem Insolvenzverwalter ginge, könnte es ruhig noch ein paar Tage bei diesem Schattendasein bleiben. Deshalb lässt er auch keine Journalisten in den Sender. Er will den einzigen Interessenten, den österreichischen Baukonzern Soravia, nicht auch noch mit einem schlechten Image verschrecken – dann lieber gar kein Image. Am 11. September wird die Medienanstalt Berlin-Brandenburg über die Vergabe der Sendelizenz entscheiden. Bis dahin soll das Programm aus der Konserve weiterlaufen. Es ist wie bei Scheherazade und ihren Märchen aus 1000 und einer Nacht – als könne das Unheil abgewendet werden, so lange die Show nur weitergeht. So durchforstet die Archivarin Tag für Tag die Bestände nach unverdorbener Ware und ihre fünf Kollegen sorgen dafür, dass die MAZ läuft und läuft. Unzählige Male wurden in der Immobiliensendung „Nicht ohne Grund“ nun schon Häuser angepriesen, die womöglich längst verkauft sind, unzählige Male ist Reporterin Tatjana nun schon für die Sendung „Subway“ in die U-Bahn eingestiegen, um mit dem Berliner in seinem ureigensten Verkehrsmittel zu plaudern, und unzählige Male haben sich die „Girls“ für die Sendung „Sexy Nights“ gegenseitig eingeseift.

Richard Herdlein, früher für die Computer, dieser Tage für den korrekten Sendeablauf verantwortlich, lamentiert nicht. „Ich war hier am Anfang allein, um den Sendebetrieb vorzubereiten, und nun bin ich am Ende eben auch wieder allein“, sagt er tapfer.

Mitte September – so steht es auf der Internetseite von TV.B – will man wieder „näher dran“ sein. Dabei hat man den Eindruck, dass der Sender gerade jetzt sehr nah dran ist an seiner Stadt, vielleicht näher als je zuvor: Man ist pleite und tut so als wäre nichts. Berlin schläft vor dem Fernseher ein und träumt von alten Zeiten.

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