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Medien: Die Gang aus New York

Sie sind die Superstars des Kinder-TV. Zum deutschen „Sesamstraße“-Jubiläum werden Ernie und Bert eingeflogen. Es ist ihre erste Auslandsreise. Die Jim-Henson-Company lässt sie nicht aus den Augen – aus gutem Grund

Von Barbara Nolte

Franz Bauer fönt Bert den Bauch. Der Arm des Puppenspielers hat ihn nass geschwitzt, und Bert ist ziemlich empfindlich. „Nässe tut seinem Futter nicht gut“, sagt Franz Bauer. Während also Bert, der einen halben Meter groß ist, ohne Beine, denn die hat er gar nicht, auf einem Holzstab steckt, liegt Ernie mit dem Rücken auf einer Werkbank. Ein junger Mann beugt sich über ihn. Er ist von Beruf, wie er sagt, „Samson- Kopf-Abnehmer“, normalerweise verdient er sein Geld damit, einem Schauspieler, der in einem lebensgroßen Bärenkostüm steckt, einen Bärenkopf überzustülpen. Heute ist er aber mit Ernie beschäftigt, und wenn man ihm so zuschaut, bekommt man eine Ahnung davon, was für eine Arbeit sie vor jeder „Tagesschau“-Sendung mit Jan Hofer haben müssen: Er wäscht Ernie die Hände, weil er sie sich ein wenig schmutzig gemacht hat, „mit ganz zartem Waschmittel“, erklärt er, zupft ihm die Haare zurecht und poliert mit einem Wattestäbchen seine Augenränder. Aus dem Lautsprecher scheppert auf einmal die Stimme des Regisseurs: „Ernie und Bert, wo seid ihr?“

Auf dem Drehplan steht die Abschluss- Szene des Specials zum 30. Geburtstag der deutschen „Sesamstraße“. Ernie und Bert spielen mit, was etwas ganz Besonderes ist, denn bisher wurden die Sketche mit ihnen in Amerika produziert und anschließend deutsch synchronisiert. Oder spanisch, chinesisch, hebräisch, denn die „Sesamstraße“ läuft mittlerweile in 148 Ländern.

Die Jim-Henson-Company, die die Lizenz für alle „Sesamstraßen“-Puppen hat, auch für die, die nur in Deutschland auftreten wie Samson oder Tiffy, achtet streng auf ihre Figuren: Einmal im Jahr müssen alle zum Durchchecken nach New York geschickt werden. Ernie und Bert gaben die Verantwortlichen bei Jim Henson bisher gar nicht aus der Hand. Sie sind die Superstars des Kinderfernsehens, die ersten Erfolgspuppen des Firmengründers Jim Henson, der später Kermit erfunden hat und Miss Piggy, der Schweine-Vamp. Mit seinen Figuren hat Henson einen Milliarden-Konzern aufgebaut. Ernie und Bert verdienen noch immer Millionen im Jahr, denn das unterscheidet sie von menschlichen Stars: Sie werden nicht unmodern. Zum Jubiläum der deutschen „Sesamstraße“ ließen sich die Amerikaner überreden, die beiden den Deutschen auszuleihen. Nicht ohne aber einen Aufwand von staatsbesuchsartigen Ausmaßen zu betreiben.

Vergangene Woche sind sie nach Hamburg geflogen worden. Sie sind hoch versichert, denn es gibt auf der ganzen Welt nur ein Paar von ihnen – und ein Ersatzpaar, für Notfälle. Warum, fragt man sich, haben die Deutschen die Figuren nicht einfach nachgebaut? Kann doch so schwer nicht sein. „Es ist im Vertrag verboten“, sagt Franz Bauer. Die Amerikaner haben ein so genanntes Monster-Manual mitgeschickt, in dem ihre Vorlieben aufgelistet sind. „Berts Hobbys sind seine Kronkorkensammlung und Blasmusik (Lieblingsinstrument: Tuba)", ist da zum Beispiel verzeichnet. Und zu Ernie: „Er ist verspielt und offen." Zwei Tage vor Drehbeginn kamen dann auch noch ein Trainer für die deutschen Puppenspieler und eine Producerin angereist. Sie hatten noch einen kleinen Karton im Gepäck, dessen Inhalt wie der Mülleimer-Inhalt der Flughafenbar aussieht: Berts originale Kronkorken-Sammlung.

Die Producerin heißt Barbara Nikonorow. Wenn Ernie und Bert jetzt auf der „Sesamstraße"-Bühne stehen, steht sie mit der aufrechten Haltung einer Ballerina daneben, einen Block gegen die Brust gedrückt. Ihre Aufgabe bei den Dreharbeiten sei es aufzupassen, dass die Rollen der beiden auch „ihren Charakteren entsprechen", sagt sie. Wenn nicht, unterbricht sie. Wie eben, als ein Fotograf ein Bild von Ernie und Bert machen wollte. Ernie sollte einen Kaffeebecher in der Hand halten, das sollte ausdrücken, dass er gerade Drehpause hat. „Ernie trinkt keinen Kaffee", sagte Barbara Nikonorow bestimmt. Was trinkt er dann? „Eher Limonade."

Im Oktober vergangenen Jahres war sie schon mal in Hamburg, um die deutschen Puppenspieler für Ernie und Bert auszusuchen. Die Amerikaner wollten sicher gehen, dass die Deutschen die „Sesamstraßen"-Stars nicht eigenwillig interpretieren. Der NDR, der die deutsche „Sesamstraße" produziert, hatte eine Vorauswahl von zwölf Puppenspielern getroffen, die mussten dann einen zweitägigen Test machen. „Manchmal sah man wirklich gleich: Nee, das ist nicht Ernie", erzählt die NDR-Redakteurin Ira Neukirchen.

Barbara Nikonorow hat sich schließlich für Andreas Förster und Bodo Schulte entschieden, die beiden spielen schon seit Jahren in der „Sendung mit der Maus“ Käpt’n Blaubär und Hein Blöd, was die wohl profiliertesten Rollen für Puppenspieler in Deutschland sind. Sie sind also erwiesenermaßen Vollprofis, trotzdem schickte die Jim-Henson-Company sie für ein Wochenende zur Original-„Sesamstraße" nach Queens, New York. „Eine tolle Erfahrung", sagt Bodo Schulte. Dort traf er auf seinen US-Kollegen, Frank Oz, der seit über 30 Jahren der Mann hinter Bert ist. Um mal einen Eindruck davon zu bekommen, wie wichtig Ernie und Bert in Amerika sind: Oz ist mittlerweile Spielfilmregisseur, er kam extra vom Dreh mit Marlon Brando und Robert de Niro, um den Bert zu spielen. „Merke dir eins", riet Oz seinem deutschen Kollegen, „Bert mag alles, was langweilig ist.“

Ein Blick ins Internet legt anderes nahe: Demnach ist Bert sexbesessen und rassistisch, er ist ein Terrorist und sogar Faschist. Es kursieren Bilder von ihm an der Seite von Osama bin Laden, Hitler oder einem weißen Kapuzenmann des Ku-Klux-Klans. Ein Bild zeigt ihm beim Sex mit Pamela Anderson, auf einem anderen hat er Ernie offenbar in eine Peep-Show gelotst. Eigentlich waren die Montagen unter dem Label „Bert is evil" eine Aktion eines kalifornischen Künstlers. Die Aktion hat sich verselbstständigt: Bei einer anti-amerikanischen Demonstration in Bangladesch trugen letztens die Demontranten ein Transparent, auf dem Bert drauf war - er lugte hinter Osama bin Laden hervor.

Das Image der Jim-Henson-Figur ist außer Kontrolle geraten, trotz aller Sicherheitsvorkehrungen. Was sagt Barbara Nikonorow zu Berts dunkler Seite? Sie wird einsilbig. Wie wenn man den Sprecher von Michael Jackson auf dessen Verhältnis zu Kindern anspricht. „Da müssen sie unsere Pressesprecherin in New York anrufen." Sind die Bilder wirklich ein Problem? „Selbstverständlich." Ja, warum denn? „Weil sie nicht Berts Charakter entsprechen."

„Bert, du kommst ganz langsam wieder hoch, nachdem die Torte dir über den Kopf geflogen ist," so erklärt der Regisseur die nächste Szene. Vorsichtig, so ist Bert (das Special läuft am 6. April um 18 Uhr 25 im KiKa). Noch liegt Bert, wie er während der Drehtage meistens da liegt: Kopf nach unten, auf Bodo Schultes Knie. Wenn Barbara Nikonorow mit Schulte und den anderen zufrieden ist, bekommt die deutsche „Sesamstraße" vielleicht sogar einen Satz Ernie und Bert – als Dauerleihgabe.

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