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Rund 500 Kinder wurden an der Berliner Goldschmidt-Schule am Hohenzollerndamm unterrichtet. „Wir fühlten uns frei“, erinnert sich eine ehemalige Schülerin.

© NDR

Die Goldschmidt-Schule in Berlin: Lernen ohne Angst

1935 eröffnete eine jüdische Privatschule in Berlin. Die Doku „Goldschmidts Kinder“ erzählt, wie sie zum Zufluchtsort für 500 Kinder wurde.

Eine Schule als Zufluchtsort: „Der ganze Ort war sonnig“, sagt die 91-jährige Eva Samo lächelnd. „Vielleicht hat es geregnet, aber in meiner Erinnerung war es nur sonnig.“ Samo lebt in New Jersey, aber sie stammt aus Berlin. Der sonnige, von Finsternis umgebene Ort, um im Bild zu bleiben, war die Goldschmidt-Schule in Berlin-Grunewald. Unterrichtet wurden hier zwischen Mai 1935 und September 1939 jüdische Kinder von jüdischen Lehrern. Die Ausgegrenzten waren unter sich – keine Demütigungen, keine Schläge. „Wir fühlten uns frei“, sagt Marion House, 89, aus New York. „Wir mussten keine Angst mehr haben.“

Von einer "Oase" sprechen die Ex-Schüler heute

Die Dokumentation „Goldschmidts Kinder“ erzählt die bemerkenswerte Geschichte einer aus Rassegründen aus dem Staatsdienst entlassenen Lehrerin, die es im nationalsozialistischen Deutschland schafft, eine Privatschule für jüdische Kinder zu gründen – eine „Oase“, wie die ehemaligen Schülerinnen und Schüler sagen, die die Autoren in den USA und Israel ausfindig gemacht haben.

Leonore Goldschmidt, 1897 in der Lausitz geboren und 1933 von den Nazis „in den Ruhestand versetzt“, fand gemeinsam mit ihrem Mann Ernst, einem Notar, die „Lücke im System“, wie es im Film heißt: Jüdische Lehrer durften maximal fünf Kinder unterrichten. Also gründete sie ein Unterrichtskollektiv aus fünf entlassenen Lehrern, die sich ab Mai 1935 um die ersten 25 Kinder kümmerten. Am Ende wurden hier über 500 Kinder unterrichtet. Eine Erbschaft hatte Goldschmidt dazu genutzt, eine Villa am Hohenzollerndamm als Schulgebäude herzurichten. Das Erbe soll aus dem Vermögen des am 1. Juli 1934 von der SS ermordeten Arztes und Schriftstellers Alexander Zweig stammen, eines Cousins von Goldschmidt.

Nach dem Pogrom verschärfte sich die Situation

Es gibt sogar einige Originalaufnahmen: Der US-Journalist Julien Bryan hatte 1937 auf seiner mehrwöchigen Reise durch Deutschland auch die Goldschmidt-Schule besucht. In Ausschnitten aus dem Film „Inside Nazi Germany“ sieht man lachende Kinder auf dem Weg in die Schule, eine Schulklasse im Unterricht, ein Mädchen, das etwas an die Tafel kritzelt – nichts Spektakuläres zwar, aber man fragt sich doch, warum dieselben Szenen mit Schauspielern noch einmal rekonstruiert werden müssen, was die Originalbilder wieder ein Stück weit entwertet. Leider bleiben auch manche Fragen offen. So wird nur unzureichend erläutert, wie das System in Nazideutschland funktionierte: Welche Rolle spielten die Behörden? Wer genau handelte wie und warum? Wieso entschied ein alter Goldschmidt-Bekannter im Reichs-Erziehungsministerium über den Status als „Examenszentrum der Universität Cambridge“?

Nach dem Pogrom vor 75 Jahren verschärfte sich die Situation. Die Schule überstand die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 unbeschadet, aber nur Goldschmidts Weitblick rettete sie vor weiteren Übergriffen: Sie verkaufte die Schule für zehn Reichsmark an den englischen Lehrer, den sie zuvor mit Unterstützung der britischen Botschaft engagiert hatte. Denn die Kinder wurden schon eine Weile auf Deutsch und Englisch unterrichtet – und so bereits zu einer Zeit auf das Exil vorbereitet, als viele Juden noch auf ein baldiges Ende der Hitler-Diktatur hofften.

1939 floh Leonore Goldschmidt aus Deutschland

Von Leonore Goldschmidt, die im Juli 1939 aus Deutschland floh, in England weiter als Lehrerin arbeitete und 1983 in London starb, gibt es einige Fotos, aber offenbar keine Filmaufnahmen. Mit der Doku wurden jedoch die Erinnerungen der heute hochbetagten Absolventinnen der Schule gesichert. Sie sprechen, wen wundert’s, in den wärmsten Tönen von dieser klugen und tatkräftigen Frau. „Sie gab mir das Gefühl, dass ich fast alles erreichen kann“, sagt Eva Samo. „Viel mehr als wir in dieser Schule konnte man nicht erreichen.“

„Goldschmidts Kinder“, ARD,

Montag, 23 Uhr 30

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