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Medien: Die Gurkenschälertruppe

Das Deutsche Sport-Fernsehen finanziert Spitzenfußball mit Call-in-Angeboten

Oliver Reichert war in seinem Leben schon viel unterwegs. Mit Anfang zwanzig zog es den gebürtigen Schwaben vom Bodensee nach Afrika. Das Studium sparte er sich. Stattdessen drehte Reichert Filme über Kindersoldaten oder Hungersnöte in Uganda unter anderem für die britische BBC. „In diesem Alter hat man noch ein gesundes Maß an Naivität“, sagt Reichert. „Da will man noch die Welt retten.“ Zumindest das kann man Reichert heute nicht mehr unterstellen.

Seit April ist der 36-Jährige Chef des Spartensenders Deutsches Sport-Fernsehen (DSF). In seinem Büro mit Blick über Senderantennen und den mit Flachbauten zugepflasterten Münchner Vorort Ismaning hängen Bilder von Muhammad Ali. Eine Trainingsbank und beeindruckend große Hantelscheiben stehen zwischen dem Konferenztisch und einem Regal mit mehreren TV-Bildschirmen. Die Hanteln dienen dem Senderstrategen als Ausgleich zum Tagesgeschäft; und das Programmmachen ist für Reichert eine ernsthafte Sache.

Zumindest soll das verstärkt wieder so werden. Seit 2001 ist Reichert im Haus, und er selbst hat als Programmchef dabei mitgewirkt, wie er sagt, „aus dem früheren Partysender zu Zeiten der Kirch-Gruppe einen kleinen, aber ernsthaften Sportkanal“ zu machen. Heute gehört das DSF zur Medien-AG EM.TV, ist Teil einer ansehnlichen Wertschöpfungskette von der Plazamedia, Deutschlands größter Produktionsfirma für Sportübertragungen, bis zu Sport1.de, einem der großen Internet-Sportportale. Die Plazamedia beliefert unter anderem den Bundesligasender Arena oder das Internet-Fernsehen der Deutschen Telekom T-Home. Auch die rund 200 DSF-Mitarbeiter arbeiten externen Anbietern zu: So werden DSF-Magazine an die Mobile-TV-Dienste von O2 oder Vodafone verkauft. Das einstige Millionengrab des Leo Kirch, bis 2001 als Abspielstation für überzählige Lizenzrechte missbraucht, ist heute ein rentabler Spartenkanal mit der Zielgruppe junge Männer.

Es könnte also recht schön sein in Ismaning, hätte sich das DSF nicht auf den Spuren des Mitmachsenders Neun Live aus der Kirch-Insolvenzmasse gerettet. Exzessive Call-in-Aktivitäten – nachts gerne auch von spärlich bekleideten Moderatorinnen vorgetragen – haben dem Ruf des DSF zugesetzt. Wäre das nötig gewesen?, darf man sich fragen. Denn das DSF ist bei hartgesottenen Sportfans eine relevante Größe: Der Sender überträgt die Zusammenfassungen der Sonntagsspiele der 1. Fußball-Bundesliga, bei den Übertragungen aus der 2. Liga schalten bis zu zwei Millionen Zuschauer ein. Die Handball-Bundesliga läuft am Dienstag. Motorsport, von Formel 1 bis Deutsche Tourenwagen- Meisterschaft, findet wieder Platz. Eine Kooperation mit dem Bezahlkanal Premiere bescherte dem Minisender in dieser Saison sogar 13 schöne Champions-League-Abende und am 23. Mai das Finale zwischen dem FC Liverpool und AC Mailand.

80 Prozent des Sportprogramms entfallen auf Fußball, und das solle so bleiben, sagt Reichert. Auch wenn der Verbleib der Königsklasse in der kommenden Spielzeit fraglich ist. Rechteinhaber Premiere verhandelt mit allen relevanten Privatsendergruppen von RTL bis Pro Sieben Sat 1. Es ist wahrscheinlich, dass sich Premiere eher mit einem zahlungskräftigen Sender wie Sat 1 als mit dem DSF einig wird. Mehr Gurkenschäler verkaufen, um die Champions League zu finanzieren, will beim DSF niemand.

43 Prozent steuern die Geschäfte mit Bodylotions, Topfsets, vor allem aber mit den teilweise grenzwertigen Anrufgewinnspielen zum Umsatz bei; etwas mehr als die Hälfte der Sendefläche ist dafür reserviert. Acht DSF-Redakteure sind damit beschäftigt, die Fragen zusammenzustellen. Als Programmchef hat Reichert seit dem Jahr 2003 die Gewinnspielschiene aufgebaut. Nun, als Geschäftsführer, gibt er vor, das DSF wieder mehr auf Sport zu trimmen. „Wir haben zu Beginn des Jahres 2007 die Call-in-Schiene um 20 Prozent zurückgefahren“, sagt Reichert.

Die Kernzeit des Männersenders von werktags 17 Uhr 30 bis 23 Uhr soll in Zukunft dem Sport gehören; der Samstag und der Sonntag auch. Das habe nichts mit dem angekratzten Image des DSF zu tun, sagt der Senderchef und: „Wir sind ständig dabei, das Verhältnis zwischen Sportprogramm und Geldverdienen in eine richtige Balance zu bringen.“ An diesem Punkt macht Reichert eine wohlklingende Rechnung auf: Ohne die Millionen-Erlöse aus den T-Commerce-Geschäften könne sich der Sender sein Sportprogramm gar nicht leisten. Mit anderen Worten: Das Geld, das der Sender mit Homeshopping und Ratespielen verdient, hilft den deutschen Tennisspielern, den Hand- und Basketballern. Das DSF spielt also Robin Hood, nur andersrum.

Simon Feldmer

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