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Medien: Die Kulturindustrie frisst ihre Kritiker

Arte-Dokumentation über Leben und Werk von Theodor W. Adorno

Von Caroline Fetscher

Margarete Karplus war „eine ungemein schöne, kluge und selbständige Frau“. So erzählt Regina Becker-Schmidt, Assistentin Adornos bis 1969. Die Chemikerin Karplus, sagt sie, habe „beschlossen, wenn sie schon heiraten muss, dann ein Genie“. Im Berlin der Vorkriegszeit kamen da nur zwei Männer in Frage: Walter Benjamin und Theodor W. Adorno. Mit beiden war Karplus befreundet. Zweifellos hatte sie ein Genie gefunden. Sie wurde 1937 jene Gretel Adorno, die Zeit seines Lebens „jede Zeile“ von ihm las, ehe ein Text gedruckt wurde.

Es sind derlei biografische Bemerkungen, die der Erzählung eines Lebens Atmosphäre geben. Aber sind sie Adorno angemessen? Der Kritiker der Kulturindustrie kann sich dagegen nicht wehren, dass er selber zum Gegenstand der Kulturindustrie wird – insbesondere da sein 100. Geburtstag am 11. September naht. Immerhin lassen sich problematischere Produktionen denken, als die Arte-Dokumentation der beiden Fernseh- Kultur-Journalisten und Regisseure Meinhard Prill und Kurt Schneider, die dem „Mythos Adorno“ in Bildern und Zeitzeugenberichten auf der Spur sind. Sie versuchen, nicht nur die Geschichte der Person zu beschreiben, sondern auch die des 1924 in Frankfurt am Main gegründeten Instituts für Sozialforschung – Geburtsstätte der undogmatischen Linken, jenseits exegetischer Einschränkung bei der Lektüre der Marxschen Schriften, Ort der „Kritischen Theorie“, der Frankfurter Schule, die mehrere Generationen von Intellektuellen beeinflusste: darunter Jürgen Habermas, Alexander Kluge, Alexander und Margarete Mitscherlich und Oskar Negt; aber auch Joachim Kaiser, Günter Grass und Ivan Nagel. Einige kommen hier in Interviews zu Wort, andere, etwa Habermas und Negt, auffälligerweise nicht. Auch das Illustrieren abstrakter Themen – bunte Bilder zeigen Szenen des Odysseus-Mythos, mit dessen Analyse die „Dialektik der Aufklärung“ einsetzt – erscheint fragwürdig. Gleichwohl entsteht ein spannungsreiches, zeitgeschichtliches Bild, das von Adornos Kindheit über das Studium in Frankfurt und Wien bis ins Exil nach New York und später Kalifornien führt. Und zur Rückkehr ins Land der Trümmer. Wir hören aus dem Off Adornos Stimme: „Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, scheint mir die allererste an Erziehung. Dass man diese Frage so wenig sich bewusst macht, zeigt, dass das Ungeheuerliche als solches doch noch nicht so in die Menschen eingedrungen ist, wie es sein müsste (…).“

Mit dem Beginn der Studentenrevolte, 1968, sah sich Adorno Attacken ausgesetzt, die ihm, wie oft gesagt wurde, das Herz brachen. Studentinnen und Studenten besetzten das Institut, dessen Leitung hilflos nach der Polizei rief. Adornos Diktum „Wer denkt, ist nicht wütend“ verhallte im Protest der Studierenden.

Er starb am 6. August 1969 bei einem Urlaub in der Schweiz.

„Wer denkt, ist nicht wütend“, 23 Uhr 10, Arte. Zweiter Teil, „Der Bürger als Revolutionär“ am 8. August um 23 Uhr .

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