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Medien: „Die Leute hier regt nichts mehr auf“

Endemol-Geschäftsführer Borris Brandt über die neue „Big-Brother“-Staffel, Costa Cordalis, das Thema Kirche und die Moral im Fernsehen

Herr Brandt, wir sind hier, um Ihnen Ihre Ideen für das Fernsehen von morgen abzupressen. Aber gibt’s die überhaupt?

Nein. Weil das Fernsehen immer nur auf das reagiert, was wirklich passiert. Bei den Münchner Medientagen 2003 habe ich prophezeit, dass 2004 die „Bild“Zeitung mehrfach titeln wird: „Kann man so was zeigen?“ Schon am 13. Januar war es so weit, wegen „Dschungel-TV“, und am 15. wegen „Tatort“. Ich weiß, wie Fernsehen funktionieren kann.

Wie denn?

Wenn Krise herrscht, dann will der gestresste deutsche Fernsehzuschauer abends nur noch eines: sich am Abend auf die Couch setzen und sich erholen. Für das Fernsehen bedeutet das: Nostalgieshows, seichtes Entertainment und nette Menschen, nichts, was wehtun könnte .

Und was, wenn alles gut ist?

Dann ist der Zuschauer offen für ein bisschen mehr Aufregung. Bei uns in Deutschland ist es heute fast egal, ob Krise ist oder nicht. Die Leute hier regt nichts mehr auf. Weder bin Laden noch der Terror im Irak.

„Dschungel-TV“ war auch kein Aufreger?

Kontroverses Fernsehen erkennen Sie daran, dass sich der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, zu Wort meldet und sagt, so ginge das auf keinen Fall. „Dschungel-TV“ muss kontroverses Fernsehen sein .

Müssen Jugendliche nicht geschützt werden?

Ist es nicht komisch, dass in Deutschland mit seinen sehr aktiven Fernsehwächtern die Jugendlichen bei Pisa so schlecht abgeschnitten haben, in den Ländern, in denen das Fernsehen viel freier agieren kann, der Pisa-Schnitt aber weitaus höher lag?

Frei sein ist immer schön. Können Sie das Fernsehen machen, das Sie machen wollen?

Was wir machen können und was nicht, ist streng reglementiert. Aber mal ehrlich: Was soll an „Dschungel-TV“ menschenverachtend sein? Wenn Costa Cordalis in einem Kaufhaus vor vier Menschen singt, das finde ich entwürdigend.

Sind Sie ein „Dschungel“-Fan?

Ich fordere eine zweite Staffel. Der Böhm war doch genial. Davon will ich mehr sehen.

Wenn Sie als Produzent so neidisch auf „Dschungel-TV“ sind, warum machen Sie dann so etwas Langweiliges wie die fünfte Staffel von „Big Brother“ ab 2. März?

Ich bin nicht neidisch, niemals. „Big Brother“ ist eine Marke. Und Marken gehen immer. Das beste Beispiel dafür war die letzte Folge von „Wetten, dass…?“ Wenn es nach den Maßstäben der modernen Fernsehunterhaltung gegangen wäre, hätte die Show nie funktionieren dürfen. Keine großen Stars, keine Knaller. Aber: 40 Prozent Marktanteil.

Sie gehen davon aus, dass auch die fünfte Staffel von „BB“ ein Erfolg wird.

Es geht um eine Million Euro. Wir hoffen, dass wir Geschichten für ein Jahr haben.

Was sehen Sie denn in diesem Jahr außerdem noch auf uns zurollen?

Das Revival der großen Game-Shows. Wir arbeiten an der deutschen Fassung eines Formats, das sehr erfolgreich in Italien, Holland, Frankreich und bald auch den USA läuft, bis zu 40 Prozent Marktanteil erreicht.

Lässt sich Erfolg einfach so übertragen?

„Fear factor“, das wir gerade für RTL produziert haben, läuft in 72 Ländern der Welt. Ich sehe keinen Grund, warum das nicht auch bei uns ein Erfolg werden sollte. „Fear factor“ ist eine Stuntshow – nichts Böses.

Ist da nicht noch mehr drin? Wir haben gehört, Sie wollen die Zehn Gebote brechen.

Ich finde das Thema Kirche sehr spannend. Ich glaube, dass es zu den großen Herausforderungen der Zukunft gehören wird, eine Sendung zu machen, die sich mit christlichen Werten beschäftigt. Wir arbeiten dran.

Finden Sie Ihr „Judas Game“, das nach Protesten in „J-Game“ umgetauft wurde, immer noch so toll?

Was soll die Aufregung? Wenn der Sieger mit einer Lügengeschichte das Preisgeld gewonnen haben sollte, dann könnte man sich darüber aufregen, dass jemand, der gelogen hat, dafür belohnt wird. Das Fernsehen ruft zum Lügen auf, schöne Schlagzeile. Beck ante portas, ich höre ihn schon .

Wie weit kann das Fernsehen gehen?

In den USA läuft eine Sendung, in der Obdachlose dazu gebracht werden, sich vor der Kamera selbst etwas anzutun. Das ist menschenverachtend.

Wie weit würden Sie gehen?

Was ist „Dschungel-TV“ gegen Aufnahmen von Operationen oder Darmspiegelungen? Das find ich viel ekliger als ein paar D-Prominente, die in einem abgesicherten Camp ein paar Kakerlaken gegessen haben. So what?

Was halten Sie von dem schönen Begriff der Menschenwürde? Muss man nicht Menschen wie Susan Stahnke daran hindern, ihren Darm öffentlich spiegeln zu lassen?

Mit welchem Recht? Wen das stört, der kann ja wegschalten. Sie können mir glauben: Wenn es eine definierte Grenze dessen gäbe, was erlaubt ist und was nicht, die Deutschen wären die Ersten, die das zu Papier gebracht hätten. Allein schon, um Verstöße mit Bußgeldern ahnden zu können.

Sie müssen es ja wissen.

Meine Eltern haben mir in meiner Kindheit alles verboten, was auch nur halbwegs angesagt war. Nicht einmal einen Plattenspieler durfte ich haben. Und Fernsehen war schon gar nicht drin. Sie können sich nicht vorstellen, wie furchtbar das in diesem Alter ist.

Sie sind brutalstmöglich erzogen worden.

Mit dem Effekt, dass ich mit 14 Jahren von zu Hause abgehauen bin und mir alles angesehen habe, was es nur gab. Ich kann noch heute die Namen aller Seriendarsteller aus der Zeit herunterbeten.

Und deshalb ist aus Ihnen nicht der Messias geworden, der Sie hätten werden können.

Ich bin ein verantwortungsbewusster Geschäftsmann. Mit klaren moralischen Vorstellungen. Für unsere MDR-Serie über Artern, die ärmste Stadt Deutschlands, bekommen wir zum Beispiel nicht einen Pfennig.

Gutes tun – und immer die Kamera draufhalten.

Wir wollen helfen. So einfach geht das nicht. Sie glauben ja nicht, was alles in Deutschland an irgendwelchen Vorschriften scheitert. Das ist für mich der wahre Skandal.

Das Gespräch führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

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