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Medien: „Die Leute wollen wieder Geschichten sehen“

Der Herbst der Flops: Ex-RTL-Chef Thoma sagt, warum das Privatfernsehen seine Zuschauer nicht mehr versteht

Herr Thoma, das deutsche Unterhaltungsfernsehen steckt in der Krise…

…Unsinn. Es wandelt sich halt etwas. Die Zeit der RealityFormate, die vor Jahren von den Sendern begeistert aufgegriffen wurden, weil sie meistens billig sind, geht dem Ende zu.

Aber der spektakulärste Flop ist der von Anke Engelkes Sendung, einer Late-Night- Show. Hätte Sat 1 mehr Geduld damit haben müssen?

Nein. Bei der Sendung hat überhaupt nichts gestimmt: Anke Engelke ist eine großartige Komödiantin, aber Interviews führen und Stand-Up-Comedy kann sie einfach nicht. Es war unfair von Rudi Carrell, auf ihren Misserfolg zu wetten, man wettet nur um ungewisse Ereignisse.

Wer wäre Ihrer Meinung nach ein geeigneter Late-Night-Moderator?

Niemand. Das Format hat schon damals bei RTL nicht funktioniert. Und immerhin hatte die Sendung mit Thomas Gottschalk den besten Moderator Deutschlands. Auch die Schmidt-Show, so sehr sie Kultstatus erreicht hat, war wirtschaftlich nicht vernünftig. Warum also mit aller Gewalt eine Late-Night-Show ins Programm hineinheben, wo Sat1 schon so viele andere Baustellen hat?

Sat 1 musste außerdem das Magazin „Klatsch TV“ absetzen, die groß angekündigte Reality-Sendung „Kämpf um deine Frau“ läuft sehr schlecht…

…diese Männerbesserungsanstalt. Dass das nicht gut gehen kann, hätte man durch heftiges Nachdenken vorher wissen können. Bis auf „Mein dicker, peinlicher Verlobter“ sind alle anderen neuen Sat 1-Formate daneben.

Fehlt Roger Schawinski das Gespür fürs deutsche Publikum?

Er kann kein Gespür haben, Entschuldigung, er ist ein Schweizer, der im Hörfunk groß geworden ist. Dann hat er einen Fernsehsender in Zürich betrieben, der im Grunde genommen abgefilmtes Radio war: fast nur Interviews.

Mit Verlaub, Sie sind Österreicher…

…Moment. Ich habe von 1973 bis 1982 in Frankfurt die Generalvertretung von Radio Luxemburg geleitet und dort ganz gut das Zuschauerverhalten erfasst. Im Übrigen ist Österreich von der Mentalität her etwas näher an Deutschland.

Angeblich laufen schon Wetten, wie lange Schawinski Chef von Sat 1 bleibt.

Dafür ist er zu kurz im Amt. Haim Saban wird ihm noch Zeit geben.

Kann man von den USA aus einen deutschen Medienkonzern führen, wie Haim Saban das bei ProSiebenSat 1 tut?

Für Saban war der Kauf der ProSiebenSat1 AG ein fantastisches Investment. Im Nachhinein staunt man noch, dass die ganzen deutschen Verleger offenbar mit einem Blackout gesegnet waren, als ProSiebenSat 1 auf dem Markt war. Saban ist sehr gebildet und ein genialer Kaufmann, aber er spricht kaum ein Wort deutsch. Von daher sind da Schwierigkeiten, den deutschen Fernsehmarkt zu verstehen.

Sat 1 tut sich seit seiner Gründung schwer.

Ganz einfach: Weil sie nie Leute hatten, die Fernsehen verstehen. Außer einen ganz am Anfang, den Peter Gerlach, der fürs ZDF die „Schwarzwaldklinik“ erfand. Danach keinen mehr. Der Kirch hat das Fernsehen auch nicht verstanden. Das habe ich ihm auch direkt gesagt. Kirch hat es immer als Vermarktungsmaschine für seine Spielfilme und Serien gesehen.

Aber nicht nur Sat 1, alle Sender scheinen in diesem Herbst ratlos. John de Mols Arbeitssuche-Show „Hire or Fire“ scheiterte nach nur einer Sendung…

Die deutschen Zuschauer haben andere Sorgen, als sich den seltsamen Wettstreit von irgendwelchen Juppies um einen Job als Kreativdirektor anzuschauen. In Deutschland werden wirklich Jobs gesucht, das Thema ist zu ernsthaft.

Werden zu viele Formate einfach aus den USA kopiert?

Das Problem ist, sie werden teilweise sinnlos kopiert. Das ganze Fernsehen besteht aus Kopieren. Kopieren ist die höchste Kunst des Fernsehens. Aber: Man muss aufpassen, dass es in den Zuschauerkreis passt. Man sollte mehr auf Europa schauen als auf die USA. Die Dschungel- Show kommt aus England. Das ist näher.

Klappt die zweite Dschungel-Show-Staffel, die RTL nächste Woche beginnt?

Ich hoffe. Auch wenn sie keine Sensation mehr sein wird. Die Leute erwarten etwas Neues. Kakerlaken sind out. Ich bin gespannt, was jetzt kommt, höchstwahrscheinlich dressierte Vogelspinnen.

Geht die Ära der Tabubrüche im Fernsehen zu Ende?

Ich bin immer vorsichtig mit Begriffen, dass etwas zu Ende ist. Es ist viel schwieriger geworden. „Tutti Frutti“ war bloß eine Striptease-Show und hat zu einem ungeheuren Aufstand geführt. Heute muss man schon sehr viel anstellen, um die PR-Kolonnen der Kirchen und Politiker in Bewegung zu bringen.

Der neue Aufreger sollten die Schönheits- OP-Shows wie „The Swan“ werden – die zünden bis jetzt noch nicht.

Der Hype um die Schönheits-OP geht schon seit vorgestern. Inzwischen weiß man, dass man auch große Zehen verschönern kann. Busen-OPs haben wir von allen Seiten gesehen. Ja, na und? Köpfe austauschen – das könnte jetzt vielleicht auf gewisses Zuschauerinteresse stoßen.

Sehen Sie einen Trend fürs nächste Jahr?

Man kann doch wieder zurückkehren zu TV-Movies, zu guten Serien, lustigen Sitcoms. Ich glaube, dass die Leute wieder Geschichten sehen wollen. Die wollen nicht ununterbrochen irgendwelche vermeintliche Action und Events und so. Reality TV ist an einem Endpunkt angelangt, eine größere Sensation nicht mehr herstellbar. Das ist so ähnlich wie mit den Sex-Sendungen. Wenn alle ausgezogen sind, sind sie nackt. Weiter geht es nicht. Da muss man sie wieder anziehen.

Das Gespräch führten Markus Ehrenberg und Barbara Nolte.

Helmut Thoma, 65, hat den Fernseh-

sender RTL gegründet und zum Marktführer in Deutschland gemacht. 1998 schied er aus. Heute berät er Internet- und Kabelfirmen.

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