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Medien: Die unergründliche Angst vor Blaubeeren

„Monk“, die RTL-Serienfigur, ist traumatisiert. Eine Psychotherapeutin macht den Wirklichkeits-Check

Renate Laskowski ist Therapeutin an einer Klinik für Trauma- und Psychotherapie. Sie schaut sich eine Folge der amerikanischen Serie „Monk“ an. Weil wir sie darum gebeten haben. Weil wir wissen wollen, wie realistisch die Darstellung dieses traumatisierten Menschen ist – also ob es Adrian Monk, die Hauptfigur der Serie, wirklich so geben könnte und es wirklichkeitsnah ist, dass dieser sich dermaßen merkwürdig verhält.

„Der ist ja vollkommen zwanghaft“, fällt Laskowski schon beim Vorspann an Adrian Monk auf. Sie sieht, dass er alle Parkuhren, an denen er vorbeiläuft, zwanghaft berühren muss. Sie sieht, dass er zwanghaft versucht, nicht auf die Striche eines Gehwegpflasters zu treten. Und sie sieht, dass er zwanghaft versucht, ein Telefonkabel zu entwirren. „Wahrscheinlich hatte er schon vor dem Tod seiner Frau erhebliche Probleme.“

Denn das ist die Ausgangssituation der Serie: Adrian Monk war Polizeiermittler – bis seine Frau ermordet wurde. Seitdem hat er Angst vor allem und nahezu jedem und wird deshalb von seinem Dienst bei der Polizei in San Francisco suspendiert. Andererseits sieht er Dinge an Tatorten, die seine Kollegen nicht sehen, und kann durch seine Kombinationsgabe nahezu jeden Mordfall lösen, zu welchem er als freiberuflicher Berater hinzugerufen wird.

Renate Laskowski versteht nicht, weshalb Adrian Monk nicht mehr als fest angestellter Polizist arbeiten darf: „Keine noch so gravierende Phobie scheint ihn daran zu hindern, seinen Job zu machen“, sagt sie. „Solange seine Tätigkeit durch die Ängste nicht eingeschränkt wird, hätte ich keinen Grund gesehen, ihn zu suspendieren. Er findet ja immer den Täter – also alles kein Problem.“

Und wovor Monk nicht alles Angst hat: vor Bakterien. Hunden. Milch. Dreck. Und Blaubeeren. „Das habe ich in meiner gesamten Laufbahn noch nicht erlebt, dass jemand Angst vor Blaubeeren hat“, sagt Laskowski. Seit 1982 arbeitet sie als Therapeutin, und seit 1997 ist sie als Therapeutin für Traumapatienten tätig.

Die Serie ist ein Erfolg für RTL: Durchschnittlich fast drei Millionen Zuschauer verfolgen, wie dieser von Macken und Ticks geplagte Mensch jeden Mordfall löst – und sogar die Wiederholungen laufen gut. Diverse Auszeichnungen hat die Serie bekommen, darunter den „Emmy Award“ für die schauspielerische Leistung von Tony Shalhoub, den Darsteller von Monk. Von heute an gibt es neue Folgen und eine Änderung am Personal: Sharona Fleming, die Assistentin von Monk, die sich um ihn gekümmert und seine Phobien im Zaum gehalten hat, hat ihr Haus verkauft, ist nach New Jersey umgezogen und hat noch einmal geheiratet – und zwar ihren Ex-Mann. Keine stichhaltigen Gründe für Monk, nicht daran zu glauben, dass sie wiederkommen wird. Und so sitzt er bei seinem Psychiater und hofft, dass dieser Sharona zu ihm zurückholen könnte. „Sie sind doch Therapeut“, fragt Monk ihn. „Können Sie sie nicht irgendwie manipulieren?“ Renate Laskowski lacht: „Schön wär’s“, sagt sie.

Stattdessen gibt der Psychiater Monk den Rat, dass er die Hoffnungen aufgeben und sich eine neue Assistentin suchen sollte. „Das war jetzt kein therapeutisches Gespräch“, erklärt Laskowski. „Der Psychiater hat ihm lebenspraktische Ratschläge gegeben.“ Das sei jedoch hilfreich und notwendig, weil nicht nur die innere Welt der Patienten in Ordnung gebracht werden müsste, sondern auch die äußere Welt – und das mit Ratschlägen, wie sie dies und das in den Griff kriegen könnten.

Durch Zufall lernt Monk seine neue Assistentin kennen, während der Arbeit. Natalie Teeger kommt zu ihm, weil bei ihr innerhalb von wenigen Tagen zwei Mal eingebrochen wurde und sie einen Dieb dabei in Notwehr umgebracht hat. Sie möchte, dass Monk die Ermittlungen aufnimmt. „In der Realität bräuchte diese Frau jetzt eigentlich viel mehr als Monk eine Therapie“, sagt Renate Laskowski. „Nach so einem Einbruch, bei dem sie den Dieb auch noch getötet hat, wäre sie normalerweise erst einmal traumatisiert und weg vom Schuss.“ Selbst dann, wenn die Frau so stark und selbstbewusst ist wie die neue Assistentin von Monk? „Sie müsste jetzt irgendwo verängstigt sitzen – das war schließlich eine lebensbedrohliche Situation für sie.“

Und sonst? Wie realistisch ist die Darstellung von Monk? „Total unrealistisch“, urteilt die Expertin. „Die Folgen einer Traumatisierung reduzieren sich nicht auf Phobien.“ Viel mehr müsste Monk unter „posttraumatischen Belastungsstörungen“ wie starker innerer Unruhe, Angst, Depressionen und Flashbacks leiden als an „phobischen Ängsten“. Andererseits könnten solche auch entstehen, jedoch nur in so genannten „Triggersituationen“, die mit der traumaauslösenden Ursache zu tun haben. Wurde das Trauma also beispielsweise durch einen Autounfall ausgelöst, könnte der Patient daraufhin Angst vor Autos haben. Oder wenn er durch die Traumatisierung sein Vertrauen in andere Menschen verloren hat, könnte er Angst vor Menschenmassen bekommen, nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren können oder jeden Fahrstuhl meiden.

Renate Laskowski vergleicht „Monk“ mit dem Oscars-prämierten Film „Besser geht’s nicht“, den sie als „gut recherchiert“ bezeichnet: „Bei ,Monk’ werden die Macken des Protagonisten nur gezeigt, während sich bei ,Besser geht’s nicht’ mit ihnen beschäftigt wird.“ Außerdem würde das Fernsehpublikum bei „Monk“ nicht den Stress erleben, welchem Adrian Monk durch die Phobien ausgesetzt ist, es würde nur die heitere Seite sehen. „Wir sollen über Monk lachen – aber wenn man so viele Phobien hat, ist das nicht lustig.“ Andererseits macht sie den Drehbuchautoren keinen Vorwurf: „Sie wollen ja eine Unterhaltungsserie herstellen und keinen psychologischen Film drehen – ansonsten hätten sie versagt.“

„Monk“, RTL, 22 Uhr 15

Till Frommann

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