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Medien: Die Werbung mit dem guten Rat

Rund um Verbrauchersendungen gerät man in ein Dickicht von versteckter Reklame – auch und gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen

Man stelle sich das einmal vor: Mercedes muss 1,3 Millionen Autos in die Werkstätten zurück beordern, weil das unabhängige Auto-Magazin der ARD nach vielen Tests begründeten Verdacht hat, dass die Elektronik zu anfällig ist. Ist das denkbar? Nein. Denn es gibt kein unabhängiges Magazin der ARD zum liebsten Konsumobjekt der Deutschen. Ebenso wenig ist vorstellbar, dass ein Auto-Magazin es wagen würde, sich mit dem starken Förderer von Nationalmannschaft und „Wetten dass..?“ anzulegen. Daimler muss schon selber auf die Elektronikfehler kommen.

Man könnte meinen, die Deutschen seien nicht in der Lage, sich die Schuhe selbst zuzubinden. Gesundheit, Reisen, Wohnen, Garten, Rente, Versicherung – zu allen Themen und Lebensbereichen gibt es rund um die Uhr Ratgeber- und Verbrauchersendungen. Nie sei die Macht der Konsumenten so groß gewesen wie heute, schwärmen Optimisten. Nie zuvor waren Service und Reklame so eng verzahnt, warnen Skeptiker.

Sicher ist der WDR-Computerexperte Jörg Schieb ein unbestechlicher Kenner, und bei Herrn Escher im MDR oder dem neuen WDR-Versuch „Auf ihrer Seite“ garantiert der Produzent, Hans Meisers crea-tv, Unabhängigkeit. Seine Firma war schließlich die letzte, die es mit dem spöttischen Magazin „Wie bitte?“ auf RTL wagte, sich Dauerfehden mit der Telekom zu liefern. Das tut heute keiner mehr.

Es ist erfreulich, wenn uns die WDR-Sendung „markt“ aufklärt, wie die Ajona-Zahnpastatube durch schlichte Verlängerung des Schraubdeckels den Eindruck erweckt, trotz reduzierter Füllmenge noch genauso groß zu sein wie zuvor, dennoch gilt generell: Es wird immer undurchschaubarer, was Tipp, was Ratschlag ist, was redaktionell geprüft wurde, wo Dritte Einfluss auf die Sendung haben – und vor allem: wo zu welchem Zweck Geld floss. Redaktionell gestaltete Beiträge werden nicht sauber von Werbung getrennt, von Transparenz keine Spur. Greifen wir einfach einmal in die Ratgeber-Kiste.

Wer seinen „Traum vom Eigenheim realisieren“ möchte und deswegen parallel zu „Wiso“ oder „Volle Kanne“ im Internet die Ratgeberseiten des ZDF konsultiert, erhält sofort die „richtige Beratung bei der Baufinanzierung“, denn „Finanz-Expertin Karin Kuchelmeister von ‚Finanztest’ weiß, was bei der Kreditaufnahme beachtet werden muss.“

Ob der folgende Artikel von der Zeitschrift „Finanztest“ verantwortet wird oder vom ZDF, das nur Frau Kuchelmeister zitiert, ist schwer ersichtlich. Nur wenn man „weitere Informationen“ wünscht, wird der Klick zu ‚Finanztest’ als externer Link ausgewiesen. Ähnlich geht es mit der CMA bei der Servicesendung „Volle Kanne“, wo die Rezepte nicht selten durch gutes, deutsches Fleisch bestechen. Neuerdings ist die Werbegemeinschaft zwar im Abspann erwähnt, aber schon wenn man das Rezept im Internet nachschlagen will, ist man auf der Werbeseite der CMA, die dann – eine kleine Pointe gegen das ZDF – witzigerweise stolz auf das CMA-Kochen im Sat-1-Frühstücksfernsehen verweist. Offensichtlich hat die CMA Kochsendungen auf verschiedenen Kanälen unter Kontrolle.

Wenn der MDR bei „aufgefrischt & umgeräumt“ dem Zuschauer „das optimale Arbeitszimmer“ aufmöbelt, empfiehlt die Fachkraft Luise Balthazar von der „Farbnummer D6.25.70 von Glasurit“ über „die Tapete im 70iger-Jahre-Retrolook von AS-Retrovision bis zum „antiken Tischbein von Antik-Zubehör Danger“ samt Berliner Telefonnummer für die rasche Abwicklung der Bestellung tatsächlich einen kompletten Satz von Materialien. Nachzulesen im Internet. Werbung? Vom ARD-Büffet aus kommt man mit nur einem Klick zur MS Columbus. Dort wird nicht nur gedreht; per Gewinnspiel ist eine schöne Reise auf dem Schiff zu ergattern, das man ja schon aus dem Fernsehen kennt. Einmal gab es von einer einzigen „wellness“-Ratgeber-Seite der ARD aus Links zu acht verschiedenen, jeweils empfohlenen Hotels, die man buchen konnte.

Überhaupt scheint das Feld der reinen Touristik-Reklame sehr beliebt zu sein. Dem ARD-Büffet liegt besonders das „5-Sterne Strandhotel Aydinbey Gold Dreams“ in der Region Alanya am Herzen. Etwa in diese Gegend führt auch die „Wetten-dass..?“-Tour, die man natürlich besser auf der gottschalkeigenen Seite bucht als beim ZDF – aber eigentlich führen beide Wege zu Vural Öger.

„reiselust“ heißt eine oft in die Ferne führende Sendung des ZDF. Die Drehs sind aufwändig, da baut man schon mal auf die „Unterstützung von Gulf Air und Sunshine Tours“, auf dass die Lobpreisung des „Emirates Palace“ in Abu Dhabi um so üppiger ausfalle. Im Internet setzt sich das Geflecht wechselseitiger Unterstützung fort. Buchhinweise gibt es „mit freundlicher Unterstützung“ des Verlages. Der Roll-Koffertest ist vermutlich von „Öko-Test“, jedenfalls wird diese Zeitschrift zitiert und ein Link führt dahin, es soll aber so aussehen, als handele es sich um einen ZDF-Text. Beim Billigfliegen gibt es sogar warnende Töne, dafür aber auch sofort Links zu TravelJungle.de, Billiger.reisen.de, und ein Reklame-Pop-up von „Avigo für Schlaubucher“ öffnet sich ungefragt. So etwas gibt es auch beim ZDF nicht umsonst. Unklar ist auch, wie transparent die offensichtliche Kooperation von „Finanztest“ und „Ökotest“ mit „WiSo“ und „Volle Kanne“ ist? Fließt Geld? Wer prüft wen? Wo liegt die redaktionelle Verantwortung?

Dass auf der Seite des WDR-Jugendradios Eins live alle Club-Adressen „im Sektor“ vermerkt sind, ist sicher ein selbstloser Service. Auch die zahlreichen Plattentipps für Lieder, „an die die Musikredaktion glaubt“, wird man wohl als kritisch geprüft ansehen müssen, aber was ist mit Textpassagen wie dieser: „World of Warcraft ist nicht nur ein Computergame. Es ist ein Hype! Überall im Sektor haben heute Menschen vor den Elektronikmärkten Schlange gestanden …“ (15.02.2005), woraufhin dann der Link zur Bestelladresse www.wow-europe.com gesetzt wird. Sollte man nicht auch Jungredakteuren das seriöse Prinzip der Trennung von Redaktion und Reklame nahe bringen?

Denn, wenn jemand ertappt wird, geht es ja. Nachdem es kritisch rezensiert worden war, wurde das neckische „Frage-und-Antwort“-Spiel zur ARD-Serie „Verbotene Liebe“ aus dem Netz genommen. Es las sich so: Zu „Cocos orange-grauer und ihrer giftgrünen DJ Tasche“ wurde versichert, dass diese „auch in anderen Farben und Ausführungen“ unter www.ohne-aussicht.de erhältlich seien; Verkaufshinweise gab es ebenso zum „schicken Fummel“ von Jule und zur Bettwäsche, „blau mit kleinen Strass-Pailetten“, die bei Strauss-Innovation zu kaufen war. Nur der „tolle Bildschirmschoner“ von Felix sei „leider nicht“ käuflich. Was man von einer so schreibenden Redaktion nicht mehr behaupten mag.

Öffentlich-rechtlicher E-Commerce ist unstatthaft, ein Laster. Im Vergleich zum undurchdringlichen Werbegestrüpp rund um Serien und Services ist er sicher wirtschaftlich von geringerem Gewicht. Das filmische Produktplacement, das dafür sorgt, dass Schimanski vor Marlboro-Plakaten parkt, die Insassen der „Lindenstraße“ Alessi mögen und die Bösewichter im „Tatort“ nie Mercedes fahren, ist noch gar nicht berücksichtigt. Mutet es da nicht putzig an, dass die Medienaufsicht gleich länderübergreifend aktiv wird, weil „Vox“-Koch Tim Mälzer ein Mondamin-Paket ins Bild hielt? Nun, die Öffentlich-Rechtlichen unterliegen ja der Selbstverwaltung – und die wird sicher bald bekunden, dass alles in Ordnung ist.

Was nur schmerzt, ist, wie der ursprüngliche Zweck öffentlich-rechtlichen Rundfunks verloren geht. Was für eine Autorität und Kraft im Dienste der Verbraucher könnte dahinter stehen, wenn ARD und ZDF tatsächlich und verlässlich mit großen redaktionellen Aufwand und juristischem Mut als neutrale Tester und kritische Ratgeber agieren würden: das Auto-Magazin; der Reise- Test, ein Profil als unabhängiger, nationaler Ombudsmann wäre möglich. Um solche Unabhängigkeit zu garantieren, wurde in den Gründerjahren das Prinzip der festen Anstellung von Redakteuren eingeführt.

Der Autor war von 2001 bis 2005 Geschäftsführer des Adolf Grimme Instituts.

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