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Medien: Dieser Kaiser ist nicht nackt

Mal Herzensbrecher, mal Schlachtenbummler: „Napoleon“ setzt auf pralle Unterhaltung

Von Tilmann P. Gangloff

und Joachim Huber

40 Millionen Euro: Für dieses Geld könnte man zwei Dutzend Fernsehfilme drehen, mindestens. Der Vierteiler „Napoleon“ hat diese Summe ganz allein verschlungen. 40 Millionen Euro für 360 Minuten Fernsehen, das macht rekordverdächtige 11 000 Euro pro Minute. Tatsächlich gehört der international koproduzierte Mehrteiler über Aufstieg und Fall des Korsen zu den teuersten europäischen Fernseh-Projekten überhaupt. Die entscheidenden Aufgaben lagen, natürlich, in französischer Hand. Nach dem Bestseller von Max Gallo hat Drehbuchautor Didier Decoin dem frankokanadischen Regisseur Yves Simoneau eine Vorlage geliefert, die sorgfältig die Balance zwischen aufwändigen Schlachtengemälden und detailverliebten Innenaufnahmen hält. Die als Rückblende konzipierte Geschichte – Napoleon erzählt der Engländerin Betzy Balcombe in der Verbannung auf Sankt Helena sein Leben – entspricht den Parolen der Plakatwerbung: hier der „Schlachtenbummler“, dort der „Herzensbrecher“.

Tatsächlich legen Drehbuchautor Decoin und Regisseur Simoneau, der zuletzt den kanadischen Zweiteiler „Nürnberg“ über die Kriegsverbrecherprozesse inszeniert hat, besonders viel Wert auf Zwischenmenschliches. „Im Mittelpunkt steht der Mensch Napoleon“, heißt es im ZDF-Presseheft. Es gehe schließlich auch um „persönliche Eigenschaften wie zum Beispiel seinen ausgeprägten Familiensinn und seine zärtliche Leidenschaft für das weibliche Geschlecht“. Sicher ist, dass der Zuschauer mit historischen Details und politischen Hintergründen nicht überfrachtet wird. Die süffigsten Mythen und Legenden standen zur Verfilmung an.

Ein bisschen geht der Vierteiler so: Napoleon, der Mann aus Korsika, kam nach Festland-Europa, er sah und er siegte – vor allem bei den Frauen. Dabei besteht die Gefahr, dass vor lauter Begeisterung für die Lebensgeschichte und die Love-Storys von Bonaparte die politische Figur beiseite geschoben, auf jeden Fall in der Bewertung verschoben wird. Zumal beim ZDF: „Seine Vision hieß ein vereinigtes, freiheitliches und friedliches Europa. Und somit war er seiner Zeit weit voraus.“ Das ist sehr wohlwollend formuliert im Angesicht eines Feldherrn, dessen zahllose Kriege immerhin Hunderttausende Menschenleben kosteten.

Jener Napoleon, der beispielsweise als Stifter des „Code civil“, womit die Rechtsgleichheit aller Bürger festgestellt wurde, die Französische Revolution vollendet und in seinem Kaisertum sogleich überwunden hat, jener Napoleon bleibt Stoff fürs Bildungsfernsehen. Der Fernseh-„Napoleon“ will großes Schau- und Schauspieler-Fernsehen sein, pralle Panaroma-Unterhaltung. Entsprechend exquisit liest sich die Besetzungsliste des Films: Jede Person, die Napoleon auch nur einigermaßen nahe stand, wird von einem prominenten Schauspieler verkörpert. Napoleons erste Frau und große Liebe Josephine spielt Isabella Rossellini, seine zweite, Marie Louise von Österreich, Mavie Hörbiger. Die beiden wichtigsten Ränkeschmiede Frankreichs, zwischen denen Bonaparte hin und her gerissen ist, wurden mit zwei der faszinierendsten Darsteller überhaupt besetzt: Den Polizeiminister Fouché spielt Gérard Depardieu, den gerissenen Außenminister Talleyrand John Malkovich.

In weiteren wichtigen Rollen sind Heino Ferch (als einer der Berater Napoleons), Sebastian Koch (als Marschall) sowie Alexandra Maria Lara (seine polnische Geliebte) zu sehen. Napoleon selbst schließlich wird von Christian Clavier verkörpert, der hierzulande an Depardieus Seite als Asterix bekannt wurde. Besonders Mitproduzent Depardieu hat sich für Clavier in der Titelrolle eingesetzt: „Ich sah ihn in ,Les Misérables’ in der Uniform eines Waterloo-Soldaten, und mir wurde klar, das ist Napoleon.“ Beeindruckend ist, wie sehr Clavier dem echten Napoleon ähnelt.

Das Werk ächzt mitunter unter der Last der prachtvollen Ausstattung; allzu verliebt weidet sich die Kamera an Kostümen und Kulissen, an den ziselierten Intérieurs und den kolossalen Schlachten. Die Stärke des Films sind ohnehin die Darsteller, die der Geschichte erst zu ihrer Größe verhelfen. Ausgerechnet die Titelfigur kann nicht ganz mithalten: Entweder war Christian Clavier überfordert, oder er war gemeinsam mit Regisseur Simoneau tatsächlich der Meinung, Napoleon habe in seinem Leben nie eine Miene verzogen. Ob deshalb die Napoleon-Forschung verzweifelt? Dort steht festgeschrieben, dass dieser Franzose und echte Korse von hitzigem, ja cholerischem Naturell war.

Als Produktion mag „Napoleon“ außerhalb der gängigen TV-Reihe stehen, nicht so seine Formel „Große Männer – Große Taten – Große Filme“. Die ARD hat mit „Julius Cäsar“ zu Weihnachten akzeptable Quoten eingefahren. Auch die Lebens- und Liebesleistungen von Augustus, dem römischen Imperator, werden noch in diesem Jahr in mehrere Fernsehteile übersetzt. Dieser XXL-Trend macht beim Fernsehen nicht Halt. Für das Kino arbeitet Wolfgang Petersen den Trojanischen Krieg dank Homers „Ilias“ auf. Oliver Stone macht sich an Alexander den Großen heran. Der Kassenerfolg des „Gladiators“ konnte nicht ohne Nachfolge bleiben. Was von den historischen Figuren im monumentalen Zugriff von Fernsehen und Kino übrig bleibt? Größe und Wahn.

„Napoleon“ startet heute um 20 Uhr 15 im ZDF. Die weiteren Teile laufen am 8., 11. und 13. Januar, ebenfalls um 20 Uhr 15.

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