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Medien: „Digitale Drückerkolonnen“

Noch mehr Akteure bedeuten noch mehr Streit: „Medienwoche“ debattiert die Zukunft des Fernsehens

Ein zünftiger Schlagabtausch ist ein fester Bestandteil von Mediengipfeln. Am zuverlässigsten duellieren sich Vertreter von öffentlich-rechtlichen mit Vertretern privater Fernsehsender. So auch gestern beim Auftakt der „Medienwoche Berlin-Brandenburg“: ZDF-Intendant Markus Schächter hatte es so eilig, seinem Unmut Luft zu machen, dass er die drei Stufen aufs Podium mit einem Satz hinaufhüpfte. Sein Thema: die geplante Satellitengebühr für bislang kostenfreie Privatfernsehsender. Seine Warnung: Das Fernsehen drohe seine „publizistische Seele“ zu verlieren.

Für derart große Worte braucht es einen großen Raum. Im Prunksaal des ehemaligen DDR-Staatsratsgebäudes – heute passenderweise eine Managementhochschule – trafen Vertreter öffentlich-rechtlicher und privater Fernsehsender auf Kabelnetz- und Satellitenbetreiber, Mobilfunkanbieter und Investmentbanker. Zum ersten Mal, so schien es, hatten wirklich alle zusammengefunden, die zum Thema der Stunde etwas zu sagen haben: „Die digitale Marktordnung“. Marktunordnung wäre wohl passender gewesen. Schächter warnte eindringlich vor der sogenannten „Grundverschlüsselung“. Dabei werden alle Programme bei der Einspeisung ins Kabelnetz oder der Ausstrahlung via Satellit verschlüsselt – inklusive der kostenlosen Fernsehangebote. Dem ZDF-Intendanten zufolge soll der Zuschauer auf einen „User“, einen Zahlkunden reduziert werden. Ein Raunen ging durch den Raum, als er die „Pay-TV-Euphoriker“ als moderne „Drückerkolonne“ beschimpfte. Aus kostenlosem „Free-TV“ werde kostenpflichtiges „Fee-TV“. Das Fernsehen werde damit seinen gesellschaftlichen Auftrag, das Gespräch der Gesellschaft anzustiften, nicht mehr erfüllen.

Auch ARD-Generalsekretärin Verena Wiedemann warnte vor dem, was sie die Übernahme des „amerikanischen Modells“ nannte. Anstelle einer digitalen „Medienordnung“ setze sich zurzeit eine „Marktordnung“ durch. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk drohe darin als Wettbewerber in eine Nischenposition abgedrängt zu werden. Wo ein Kulturgut zum reinen Wirtschaftsgut werde, so Wiedemanns Warnung, da nehme letztlich auch die Demokratie Schaden. Minutiös rechnete die Juristin Beispiele aus dem amerikanischen Bezahl-TV vor, die monatlich Hunderte von Dollar kosten.

Falls die bisherigen Pläne der Sendergruppen RTL und MTV kartellrechtlich genehmigt werden, müssen ab 2007 Millionen von Haushalten für das digitale Angebot bezahlen. „Wir stehen am Beginn einer digitalen Mehrklassengesellschaft“, kritisierte Schächter. Die Grundverschlüsselung beende das Modell des frei empfangbaren Fernsehens für alle.

Energische Kritik an diesem öffentlich-rechtlichen Schreckensszenario äußerte erwartungsgemäß Jürgen Doetz, Präsident des Verbandes Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT). Zwar begann er die meisten seiner Einwürfe mit „lieber Markus Schächter“, endete dann aber mit dem Vorwurf eines „Kulturkampfes“, wie ihn ARD und ZDF wieder wollten. Diese Sender schürten die Angst vor weiteren (Satelliten-)Gebühren, weil sie selbst Angst um ihre eigenen GEZ-Gebühren hätten. Die privaten Sender verkauften nicht ihre „publizistische Seele“, nur weil sie Geld kosteten.

Auch Wiedemanns Kritik am amerikanischen Modell wollte Jürgen Doetz nicht gelten lassen. Die Privatsender machten nun mal kommerzielles Fernsehen, da könne man ihnen nicht vorwerfen, dass sie sich kommerziell verhielten. Das Fernsehen der Zukunft werde teurer. So viel, sagt Doetz, stehe fest.

Einigkeit herrschte auf dem Podium darüber, dass die Politik die aktuellen Umwälzungen der Medienwelt regulatorisch verschlafen habe. „Überfordert“ nannte Doetz die Medienpolitik. Diese könne den technologischen Entwicklungen kaum noch folgen. Auch Schächter forderte den Gesetzgeber auf, rasch „neue Spielregeln“ zu finden. Der prominenteste Politiker im Raum nutzte sein Grußwort indes, um den Standort im Allgemeinen und die eigene Standortpolitik im Besonderen zu loben. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) kündigte an, die Filmförderung stärken zu wollen. Von den „creative industries“, also Medien und Filmbranche, hingen viele Arbeitsplätze ab. „Wir müssen mehr tun.“ Ab 2007 werde es einen Bankenfonds geben, der drei Millionen Euro aus Landesmitteln für Verleih und Förderung regionaler Produktionen bereitstellen soll.

Bei der Medienwoche, die noch bis zum 9. September andauert, zum Teil parallel zur Internationalen Funkausstellung (IFA), werden mehr als 12 000 Fachbesucher erwartet. Petra M. Müller, Geschäftsführerin vom Medienboard Berlin-Brandenburg, bezeichnete die Konferenz als „das Branchentreffen nach der Sommerpause“. Neben dem Thema Digitalisierung geht es in den Vorträgen und Podiumsdiskussionen unter anderem um Filmförderung, mobiles Fernsehen, das internationale TV-Nachrichtengeschäft und das Leitmedium der Stunde: Computerspiele.

Marc Felix Serrao

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