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Auch E-Learning wird voran getrieben

© dpa

Digitale Lernmethoden: Bits statt Bücher

Vorlesungen im Livestream, E-Learning: Die modernen Medien verändern unsere Wissensaufnahme. Doch was erreichen digitale Lernmethoden?

Julians Schulweg beträgt nicht mal eine Minute. Der Unterricht beginnt, wenn er Zeit hat – meistens am Nachmittag, denn vormittags ist er beim Schwimmen und hilft auf einem Bauernhof. Die Zahl der Pausen bestimmt der Jugendliche selbst. Strenge Lehrerblicke, etwa weil Julian im Unterricht mit anderen Schülern tuschelt, gibt es nicht – kann es nicht geben, Julian hat seine Mitschüler noch nie gesehen. Seit einiger Zeit besucht er Deutschlands einzige Webschule, alle Schüler werden zu Hause oder wo auch immer sie sich gerade aufhalten via Skype unterrichtet. „Jeder unserer Schüler ist aus einem bestimmten Grund von der Schulpflicht befreit“, sagt Sarah Lichtenberger, Leiterin der Webschule mit Sitz in Bochum. Manche Kinder sind mit ihren Eltern im Ausland, andere sind zu berühmt, um in eine normale Schule zu gehen – die meisten aber sind krank, haben Asperger, ein chronisches Nierenleiden oder kommen im Klassenverband aus psychischen Gründen etwa wegen eines Mobbing-Traumas nicht zurecht. So ähnlich wie Julian. Der 17-jährige Hochbegabte konnte mit seinen Klassenkameraden nie wirklich etwas anfangen, irgendwann kam er für eineinhalb Jahre in die Psychiatrie. „Man gewöhnt sich an eine andere Realität, an einen anderen Ablauf, deshalb ist die Flexibilität der Webschule super für mich.“ Der Hausunterricht kommt bei ihm aus dem Internet, ohne diese Möglichkeit würde er jetzt wohl nicht an seinem Realschulabschluss arbeiten und über ein Kunststudium nachdenken.

Geklickt statt umgeblättert

Was mit Skype, Apps und virtuellen Kursräumen in Sachen Bildung machbar ist, wird derzeit noch in der Forschung, der IT-Entwicklung und von pädagogischen Institutionen ausgelotet. Noch vor wenigen Jahren beschränkte sich E-Learning – so die Fachbezeichnung für digital unterstütztes Büffeln – auf ungelenke, plumpe CD-Rom-Kurse. Vom Aufbau herkömmlicher Lehrmaterialien unterschieden sie sich lediglich dadurch, dass geklickt statt umgeblättert wurde. Spaß kam dabei selten auf, die Lerneffekte blieben meist gering. Doch die Systeme haben sich in den vergangenen Jahren rasant entwickelt und werden gut angenommen. Laut Branchenverband Bitkom haben die rund 250 deutschen E-Learning-Anbieter ihre Umsätze 2014 innerhalb eines Jahres um 13,5 Prozent auf 582 Millionen Euro steigern können.

Ein wichtiges Geschäftsfeld sind die gänzlich mobilen Angebote, vor allem Apps. Egal ob Fahrschulprüfung, Auffrischung der Spanischkenntnisse, Häkelkurs, Workshops für besseres Präsentieren oder das Examen zum Handelsfachwirt – in der Bahn und im Wartezimmer beim Arzt lassen sich zumindest kleine Wissenslücken bequem füllen. Das Lernen als Ganztagesbeschäftigung wird zunehmend vorstellbar, schließlich ist der regelmäßige Griff zu Smartphone und Tablet für viele mittlerweile ganz selbstverständlich. Die Bindung der Nutzer an ihre Geräte ist oft so eng, dass das Lernen am leuchtenden Screen im Vergleich zum Bibliotheksbesuch kaum noch eine Hürde darstellt. Doch erwächst daraus auch der Druck, immer und überall Wissen aufzunehmen? In jeder Hinsicht abschalten zu können, ist wichtig für den Lernerfolg, betont Stephan Pfisterer, Bildungspolitik-Experte von Bitkom. „Wer von einem Online-Kurs zum nächsten hüpft, wird sein Ziel verfehlen.“ Geeignete Tools können helfen, das Lernziel im Blick zu behalten.

„Adaptive Learning“

Das vielleicht innovativste Feld des digitalen Lernens ist „Adaptive Learning“, also an den Schüler angepasste Wissensvermittlung. Die Systeme funktionieren ähnlich wie Algorithmen beim Online-Shopping, wo Kunden vor allem Produkte angezeigt werden, für die sie sich vermutlich interessieren. Der individualisierte Konsum ist längst Normalität, das individualisierte Lernen steht noch in den Startlöchern. „Dazu gehören etwa Systeme, die individuelle Voraussetzungen analysieren und Inhalte anpassen, dadurch lässt sich Frustration oder Langeweile vorbeugen“, sagt Pfisterer. Ganz gut funktioniere das schon im Bereich der Sprache und für Naturwissenschaften. Ein Beispiel dafür ist „Math-Bridge“, eine Art Nachhilfeprogramm, das für Studierende erstellt wurde – gefördert von der EU, entwickelt von neun Unis aus sieben Ländern. „Den Wissensstand zu erfassen, ist für Lehrer im Frontalunterricht eher schwierig“, sagt Pfisterer. Hinzu komme, dass der Unterricht möglichst auf den Durchschnitt der unterrichteten Gruppe ausgerichtet sein muss. Dieses Mittel zu treffen, werde aber immer schwieriger, da Klassen und Kurse zunehmend heterogener werden. „Mit digitalen Lernmedien ließe sich das jeweilige Niveau wenigstens außerhalb des Unterrichts kontrollieren.“

Doch E-Learning hat auch seine Grenzen. „Nicht alles ist adaptierbar“, meint der Fachmann. Zwar reicht der Smartphone-Bildschirm für das Pauken zwischendurch aus, Atlanten und echte Lehrer seien aber nicht durch 4,7-Zoll-Bildschirme zu ersetzbar. Vielmehr sollten Handy und Tablet als Verlängerung des Kursraumes oder des Unterrichtgeschehens eingesetzt werden. „Selbst Schulen, die digital beschriebene Whiteboards nutzen, können diese Inhalte meist nicht exportieren.“ So könnte zwar leicht sichergestellt werden, dass alle Abwesenden oder Kranken den Stoff bekommen, doch meistens reichen die finanziellen Mittel für ein entsprechendes System nicht aus. „Die Universitäten sind da schon viel weiter“, sagt Stephan Pfisterer.

Vorlesungen im Live-Stream

An der Fern-Uni Hagen wird E-Learning seit Jahren besonders vorangetrieben – die Hochschule verspricht sich davon eine Vervielfältigung und Verbesserung der Lernangebote für ihre Studenten. Das liegt vor allem daran, dass eine Vielzahl von Tools und Programmen die Kommunikation zwischen den Lehrenden und Studierenden grundlegend revolutioniert haben. Was früher eine sehr stille und meist einsame Angelegenheit für die Fernstudierenden war, hat sich zu einem regen Austausch entwickelt. Vorlesungen im Live-Stream, virtuelle Lernräume, sogenannte Webinare, zum gegenseitigen Kennenlernen und für die Prüfungsvorbereitung sowie Abfrage-Apps, in die Studierende auch selbst Aufgaben hochladen können – je nach Lerntyp können die künftigen Akademiker ihr Programm zusammenstellen. Auch der Studiengang spielt eine Rolle: Mathematiker können direktes Feedback bei einzelnen Schritten gut gebrauchen, Geisteswissenschaftler brauchen keine derart enge Betreuung. An Verknüpfungen zwischen Apps und der von vielen Unis genutzten Plattform Moodle wird derzeit gearbeitet. Ganz ausgedient haben die 13 Regionalzentren der Fern-Uni Hagen aber nicht, auch wenn sie lange vor dem Smartphone eingerichtet wurden: Die Klausuren werden wohl auch in Zukunft nicht vom Sofa aus mit dem Smartphone in der Hand getippt.

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MOOC

Die „Massive Open Online Courses“ sind 2012 aus Videoaufzeichnungen von Uniseminaren und Vorlesungen hervorgegangen. Zunehmend werden webspezifische Angebote, etwa interaktive Videos, konzipiert. Manchmal kostet die Teilnahme etwas, manchmal ist sie frei. Kritiker monieren, dass viele der mehrteiligen Kurse vorzeitig abgebrochen werden. Während Kritiker von einem unnötigen Hype und oberflächlichen Effekten sprechen, loben Fans den Streueffekt und die Demokratisierung von teuren Bildungsangeboten.

BLENDED LEARNING

Blended, also gemischte Lernmethodiken, werden von vielen Pädagogen derzeit als besonders sinnvoll erachtet. Traditionelles und digital unterstützes Lernen wird so eingesetzt, dass die Vorteile beider Möglichkeiten genutzt werden können. Blended Learning spielt vor allem bei betrieblichen Weiterbildungen eine große Rolle: Oft wird der Stoff zunächst alleine auf dem Laptop oder Tablet erlernt, Unklarheiten oder Diskussionen werden dann gebündelt bei einer gemeinsamen Sitzung geklärt. apo

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