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Das soziale Netzwerk Google+ wirbt mit einem animierten Video für eine Bescherung via Webcam.

© TSP

Das digitale Fest: Wie Weihnachtsbräuche ins Netz abwandern

Geschenke werden am Computer geordert, die E-Mail ersetzt den Kartengruß, Videotelefonie ermöglicht das Beisammensein. Wie hat das Internet die Weihnacht verändert?

Es gibt sie noch, die unverrückbaren weihnachtlichen Traditionen. Für viele machen gerade die Weihnachtsbräuche den Zauber dieses Festes aus, sie erinnern an unbeschwerte Kindheit im Kreis der großen Familie. Und doch schleichen sich auch in die Abläufe des Advents und des Weihnachtsfestes seit Jahren Veränderungen ein, die dem technischen Fortschritt, dem Hineinwachsen in die digitale Welt geschuldet sind. Wir haben einmal zusammengetragen, wie das Internet unsere Gewohnheiten beeinflusst und verändert hat.

NEUE BEDÜRFNISSE

Was in diesem Jahr unter dem Tannenbaum liegen wird, weiß der IT-Branchenverband Bitkom schon seit etlichen Wochen. Smartphones stehen an erster Stelle der deutschen Wunschlisten, laut einer Umfrage würde jeder fünfte Bundesbürger gerne eins geschenkt bekommen. Unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist der Prozentsatz deutlich höher.

Auf Platz zwei der beliebtesten Wünsche folgt die Tablet Computer, 18 Prozent aller Deutschen würden gerne am Heiligabend einen flachen Allzweck-Touchscreen auspacken. Insgesamt sehnen sich 62 Prozent aller Erwachsenen nach internetfähigen Hightech-Geräten. Erstmals hat es dabei in diesem Jahr der E-Reader, das elektronische Lesegerät für Bücher, auf die Liste der beliebtesten Wünsche geschafft. Von den Wunschzetteln weitgehend verschwunden sind dagegen DVD- und MP3-Player.

ÄHNLICHKEIT DER WÜNSCHE

Was die Eltern begeistert, weckt auch bei den Kindern Begehrlichkeiten. Die Wünsche der Großen und der Kleinen haben sich in den letzten Jahren erstaunlich angeglichen. Das spiegelt sich in den Briefen wieder, die hunderttausende Kinder in der Vorweihnachtszeit an den Weihnachtsmann abschicken – und die entweder im brandenburgischen Himmelpfort oder in einer der anderen sechs Weihnachtspost-Filialen eintrudeln. „Wir beobachten seit einigen Jahren, dass auch jüngere Kinder sich zunehmend Elektronik wünschen“, berichtet Rolf Schulz, Pressesprecher der Deutschen Post. Das beschränkt sich längst nicht mehr nur auf Spielkonsolen. Heute erwähnen Grundschüler auf ihren Wunschlisten auch iPads, Notebooks und Smartphones.

Online-Shopping wird immer komfortabler.

EMPFEHLUNGEN

Schenken – vor allem, wenn es dann doch kein teures Smartphone werden soll – ist ein heikler sozialer Vorgang. Zum Glück helfen digitale Datenbanken bei der Auswahl des individuellen Präsents. An Hilfestellungen mangelt es im Internet nicht: Warenangebote können bequem nach Größen, Preiskategorien, Material- oder Farbpräferenzen durchsucht und eingegrenzt werden.

Behutsam wird der einfallslose Kunde dabei von ausgeklügelten Empfehlungsalgorithmen durch das Sortiment geleitet, mit Hinweisen wie „Beliebte Geschenke“ oder „Das könnte Ihnen auch gefallen“ oder „Kunden, die dieses Produkt kauften, kauften auch …“. Je unentschlossener der Käufer, desto wirksamer sind diese Vorschläge.

Unwiderstehlich aber wird ein Produkt erst durch die guten Bewertungen anderer Kunden. Weil die Texte von kritischen Verbrauchern nachweislich einen großen Einfluss auf die Kaufentscheidung haben, wird allerdings in großem Stil getrickst und gefälscht. Manchmal haben die Auftragsautoren sogar Anweisung, ein paar Tippfehler einzubauen. Damit ihr Lob noch authentischer wirkt.

Wer seiner Verwandtschaft deshalb nicht zutraut, im Überangebot des Internets die richtige Kaufentscheidung zu treffen, geht auf Nummer sicher und verschickt schon ab November E- Mails mit konkreten Linklisten, die direkt zu den Warenkörben bestimmter Online- Portale führen. Keine allzu gefühlsbetonte Methode, aber eine effektive.

DEKORATION UND MENÜ

In Bezug auf Weihnachten ist ein Großteil der Bevölkerung ohnehin pragmatischer geworden. Fast drei Millionen Mal wird in der Vorweihnachtszeit das schnöde Wort „Weihnachtsgeschenke“ bei Google eingetippt. Auch sonst ist die Suchmaschine die erste Anlaufstelle, wenn es um die effiziente Planung des Festes geht. Knapp zwei Millionen Mal wird nach „Weihnachtsliedern“ gesucht, 217 000 Mal „Weihnachtsschmuck“ gegoogelt, 266 000 Mal der Begriff „Weihnachtsbasteln“ eingegeben. Nach einem „Tannenbaum“ erkundigen sich 1,3 Millionen Nutzer im Internet, nach einer „Weihnachtsgans“ rund 400 000. Noch begehrter als die Gans ist der „Glühwein“: 888 000 entsprechende Suchanfragen gibt es jährlich.

Die Dresdner Traditionsbäckerei Hennig hat den Trend zur Onlinesuche schon vor fünf Jahren als neues Geschäftsfeld entdeckt. Weil weltweit rund 500 000 Mal im Jahr nach „Christstollen“ gegoogelt wird, fing das Unternehmen an, seinen Stollen über einen Onlineshop (www.stollen-aus-dresden.de) anzubieten – und parallel Werbeanzeigen bei dem amerikanischen Marktführer zu schalten. Das Rezept ging auf: 2010 konnte Hennig 13 000 Kilo Stollen im Internet verkauft, 2012 waren es schon 70 000 Kilo. Mittlerweile hat die Bäckerei expandiert und liefert Stollen nicht nur nach Europa, sondern bis in die USA, nach Kanada, Japan, Brasilien und Mexiko. Und Google verdient an jedem Biss ein bisschen mit.

Auf Youtube schauen, wie's richtig geht.

ANLEITUNG ZUM BACKEN UND BASTELN

Der Kreativität sind in der Weihnachtszeit keine Grenzen gesetzt, das Internet hilft Anfängern mit konkreten Anleitungen. Vor allem Youtube hat sich mittlerweile zum größten Erklär-Portal der westlichen Welt entwickelt hat. Hier wird alles anschaulich vorgeführt: Wie man Mürbeteig knetet, Sternwindlichter aus Papier bastelt oder Origami-Weihnachtsbäume faltet, wie man Buttergebäck aussticht, Weihnachtskugeln verziert oder Krippenfiguren schnitzt. Es gibt Filme über das perfekte Auftragen von Lidschatten und Anleitungen zum Binden eines klassischen Krawattenknotens. Die praktische Lebenshilfe von Laien für Laien ist beliebt, manche der Videos haben Tausende von Klicks.

EINKAUFEN

Die neue Feiertagskrawatte, der nur noch der perfekte Knoten fehlt, wurde vermutlich im Internet gekauft. Insgesamt geben die Deutschen Jahr um Jahr mehr Geld online aus. Der Bundesverband des Deutschen Versandhandels meldete kurz vor Weihnachten, dass die Umsätze im E-Commerce auch 2012 wieder zweistellig gewachsen seien, 5,5 Milliarden Euro waren es. Das entspricht einem Plus von 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Weil Einkaufen am Bildschirm so bequem ist, erreichen die Onlinehändler, anders als mancher Einzelhändler, in der Weihnachtszeit regelmäßig Rekordumsätze. Bei Amazon.de wurden am 18. Dezember 2011 an einem Tag so viele Artikel verkauft wie noch nie zuvor: 2,8 Millionen waren es insgesamt, das entsprach mehr als 32 Produkten pro Sekunde. Aktuelle Zahlen für dieses Jahr gibt es noch keine, sie werden vermutlich noch höher ausfallen.

Ob das langfristig das Aus für Buchhandlungen und Boutiquen, für Kaufhäuser und Einkaufszentren bedeutet? Experten sind sich einig, dass sich das Kaufverhalten in den kommenden Jahren weiter verändern wird. Online- und Offline-Shopping werden zunehmend verschmelzen. Schon jetzt informieren sich die meisten Kunden vorab im Netz, begutachten die Ware trotzdem noch einmal im Laden, befragen parallel wiederum ihre Smartphones – und kaufen am Ende zu Hause von der Couch aus.

Langfristig werden sich in den Innenstädten, so die Prognosen, mehr und mehr Showroom-Konzepte etablieren. In die Geschäfte käme die Kundschaft dann wegen des sinnlichen Erlebnisses, um bei optimaler Beleuchtung und dezenter Musik entspannt Flair und Haptik zu genießen. Hier mal fühlen, da mal schnuppern, dort mal an- oder ausprobieren. Der neue Flachbildschirm wird anschließend aber selbstverständlich nicht mehr eigenhändig nach Hause getragen. Sondern – dank Onlinepreisvergleich – direkt beim günstigsten Anbieter geordert. Schleppen müssen ihn andere.

Digitales Familientreffen.

WEIHNACHTSPOST

Dass der Postbote an Weihnachten Stress hat, das war schon immer so. Aber dass er zu meist miesen Arbeitsbedingungen immer mehr Pakete buckeln muss, auch das hat mit dem Internet zu tun. Allen voran mit dem Siegeszug von Amazon und Zalando. Nie wurde mehr Zeug von A nach B geschickt als in diesem Jahr. Die Zahlen der Deutschen Post belegen es: 2011 zählte man bei DHL noch 870 Millionen Paketsendungen, das waren bereits 10 Prozent mehr als im Jahr zuvor. 2012 ist das Paketgeschäft erneut zweistellig gewachsen. Rund drei Millionen Pakete und Päckchen sind es durchschnittlich pro Tag, in den letzten Tagen vor Weihnachten stieg das Volumen auf knapp sieben Millionen Sendungen pro Tag an. „Mehr als jemals zuvor“, so ein Pressesprecher.

Im Gegensatz zum Päckchen- und Paketversand ist das Briefaufkommen rückläufig. Vor zehn Jahren transportierte die Post noch 21,65 Milliarden Briefe jährlich, 2011 waren es nur noch 19,79 Milliarden. Zwar steigt die Anzahl der Briefe in der Adventszeit immer noch deutlich an, in der Woche vor Weihnachten auf bis zu 120 Millionen Briefe täglich. Aber insgesamt ist die handschriftliche Weihnachtskarte auf dem Rückzug, verdrängt von SMS, Weihnachts-E-Mail oder einem Gruß auf Facebook.

ZUSAMMENSITZEN

Man muss ja auch gar nicht mehr schreiben. Freunde und Verwandte können live mit unter dem Weihnachtsbaum sitzen, selbst wenn sie in der Realität tausende Kilometer entfernt sind. Programme wie Skype oder FaceTime erlauben kostenlos die virtuelle Familienzusammenführung, machen Flötenkonzert-Übertragungen aus dem Wohnzimmer möglich, sogar gemeinsames Singen ist technisch kein Problem mehr. Auch persönliche Danksagungen können sofort an Ort und Stelle erledigt werden. Nur umarmen kann man sich bislang noch nicht übers Internet.

UMTAUSCH

Dafür hilft das Netz, ungeliebte Geschenke verschwinden zu lassen. Früher wanderten die Kerzenstände und Blumenvasen, die Krimis und Wandkalender erst in den Keller, dann irgendwann weiter zum Flohmarkt. Heute wird das bei Ebay erledigt. Laut einer von Bitcom veröffentlichten Umfrage planen mehr als vier Millionen Deutsche schon vor der Bescherung, Geschenke nach Weihnachten online weiterzuverkaufen oder zu versteigern. Bis das Geschenk allerdings für den heimlichen Weiterverkauf abfotografiert und beschrieben ist, vergehen einige Tage. Kurz nach Weihnachten steigt in dem Internetauktionshaus zwar die Zahl der eingestellten Artikel bereits an. Der Höhepunkt der nachweihnachtlichen Verkaufsaktivitäten wird aber erst Mitte bis Ende Januar erreicht. Wenn der Urlaub vorbei, das Weihnachtsgeld ausgegeben – und die Anstandsfrist verstrichen ist.

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