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Hörsaal an einer deutschen Universität.

© imago

Digitale Bildungsrevolution: Klick dich schlau

Millionen Nutzer haben sich in die Onlinekurse erstklassiger Universitäten eingeschrieben. Doch viele unterschätzen das Niveau und den Aufwand. Auch im Internet gilt: Lernen ist mühsam.

Die Zahlen sind mehr als beeindruckend, sie sind atemberaubend. Seitdem der deutsche Professor Sebastian Thrun, der damals noch an der Stanford University in Kalifornien lehrte, vor eineinhalb Jahren einen Kurs über künstliche Intelligenz kostenlos ins Internet stellte und daraufhin über 160 000 Menschen aus aller Welt an dem Seminar teilnahmen, gelten MOOCs, sogenannte „Massive Open Online Courses“, als das nächste heiße Ding im Internet.

Anbieter wie Udacity, edX, Coursera schossen binnen weniger Monate aus dem Boden. Hunderte Wissenschaftler drängten auf die digitalen Bühnen, bekannte amerikanische Eliteuniversitäten schlossen Kooperationen mit den neuen Plattformen ab. Mehrere Millionen Nutzer haben sich mittlerweile weltweit für die Kurse angemeldet.

Das Wort „Bildungsrevolution“ fällt oft, wenn man mit Beteiligten über den sagenhaften Aufstieg der MOOCs spricht. Aber worin genau besteht diese Revolution? Wie verändert sich die Vermittlung von Wissen, wenn Lehrender und Lernender niemals zusammen in einem Raum sitzen? Wenn es keinen Campus mehr gibt, keine Möglichkeit der Rückfragen und Diskussionen im Seminarraum, keine persönliche Betreuung in einer Sprechstunde? Und kann man sich überhaupt ausreichend motivieren, wenn das Studium ausschließlich alleine vor einem Computer stattfindet? Die Abbrecherquoten bei den MOOCs sind hoch. Im Netz kursieren Zahlen, nach denen im Durchschnitt nur jeder Zehnte den begonnenen Kurs auch beendet.

Marcus Riecke hat selbst schon einige MOOCs abgebrochen, wie er zugibt. Der 47-Jährige ist Geschäftsführer von iVersity, der vor wenigen Tagen gestarteten europäischen Plattform für Universitätskurse. Auch bei iVersity war der Andrang auf die 24 MOOCs, die in diesem Semester angeboten werden, enorm. Über 110 000 Anmeldungen kamen innerhalb kürzester Zeit zusammen. Der beliebteste Kurs heißt „The Future of Storytelling“ und stammt von der Fachhochschule Potsdam. 29 000 Menschen nehmen daran teil. Ob sie alle durchhalten werden, ist für Riecke nicht der Maßstab für Erfolg. „Bei einem MOOC unterliegt die Definition von Lernerfolg nur bei einer einzigen Person: dem jeweiligen Teilnehmer.“ Willkommen sind alle, betont er. „Die Rentnerin, die ihre Kenntnisse auffrischen, der Berufstätige, der sich fortbilden, oder die Studentin, die sich den Kurs für ihr reguläres Studium anrechnen lassen will.“

Breites öffentliches Interesse ist längst vorhanden. Und auch bei vielen Wissenschaftlern ist die Lust groß, das mit der Internetlehre mal auszuprobieren. „Die rennen uns die Bude ein“, sagt Riecke. Dabei ist die Erstellung eines MOOCs mit viel Arbeit verbunden, die didaktische Konzeption und die technische Umsetzung sind teuer und aufwendig. „MOOCs bestehen aus komprimierten Sinneinheiten, die in eine logisch-chronologische Abfolge gebracht werden.“ Raum für freie Rede oder spontane Abschweifungen des Professors gibt es nicht. MOOCs sind – bestenfalls – reines Wissenskonzentrat.

Auch die Lernenden müssen sich umgewöhnen. Während der Vorlesung träumen, auf dem Smartphone rumspielen, ab und zu ein paar Notizen machen und sich bei Fragen des Dozenten dezent wegducken – das alles geht vor dem Bildschirm nicht. Denn nach jeder Vortragssequenz folgt ein Quiz oder eine Aufgabe. Erst wenn diese bestanden ist, fängt der nächste Videoabschnitt an. Wer es nicht auf Anhieb kapiert, muss die Wiederholen-Taste drücken. Oder im dazugehörigen Onlineforum eigenständig nach Hilfe suchen. Dort unterstützen sich die tausenden Teilnehmer mit Erläuterungen gegenseitig. „Eine reale Vorlesung dauert meist 90 Minuten“, sagt Riecke. „Für eine einzelne MOOC-Einheit brauchen Teilnehmer oft drei bis vier Mal so lange.“ Dafür bleibt aber auch mehr hängen, davon ist er überzeugt.

Viele deutsche Professoren zögern noch, ihre Veranstaltungen online anzubieten

Noch sind viele deutsche Universitäten zögerlich, ob sie ihre Lehrenden dazu ermutigen wollen, ihre Veranstaltungen bei iVersity oder auf anderen Plattformen einzustellen. Oliver Janoschka vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft setzt sich dafür ein, diese Vorbehalte zu überwinden. Damit Deutschland nicht wieder einmal einen wichtigen Internettrend verschläft. „Die Amerikaner springen oft schon auf einen Zug auf, bevor er überhaupt losgefahren ist. Hierzulande macht man sich länger Gedanken. Manchmal zu lange.“ Der Stifterverband hat deshalb beschlossen, Geburtshilfe zu leisten. 250 000 Euro stellte der Verband im Frühjahr 2013 im Rahmen eines Wettbewerbs bereit, 260 Professoren bewarben sich mit einem Konzept für einen Onlinekurs. Am Ende wurden zehn Kurse mit jeweils 25 000 Euro gefördert.

Abraham Bernstein hat den Schritt von der Uni ins Internet auch ohne Fremdfinanzierung geschafft, nur mithilfe des Multimedia-Teams der Universität Zürich. Bernstein ist dort Professor für Informatik. Massenandrang ist er gewöhnt, in seiner Einführungsveranstaltung sitzen in der Regel 900 Studenten, zusammengepfercht in zwei großen Hörsälen – einer davon mit Direktübertragung. Lange hat Bernstein nach klassischem Konzept unterrichtet: Während der Vorlesung erklärte er die Theorie, zu Hause mussten die Studenten die Übungen erledigen. Richtig zufrieden war er damit nicht. „Seit diesem Jahr bin ich auf das Inverse-Classroom-Prinzip umgestiegen“, erklärt er. Die Theorieeinheiten hat er nun auf Video aufgenommen. Die Studenten schauen sich die Erläuterungen des Professors alleine am Bildschirm an. Die Aufgaben werden dann gemeinsam gelöst, vor Ort im Hörsaal.

Seinen Videokurs gleich noch zu einem MOOC weiterzuentwickeln und ins Internet zu stellen, war für Bernstein nur der nächste logische Schritt. Zumal er sich als Wissenschaftler der Öffentlichkeit verpflichtet fühlt. „Ich werde vom Steuerzahler bezahlt. Und es gibt keinen Grund, warum der Steuerzahler nicht auch an meiner Vorlesung teilnehmen darf.“ Seit zehn Tagen ist das jetzt möglich. Auf der amerikanischen Plattform Coursera haben sich über 2600 Teilnehmer für Bernsteins „Informatik für Ökonomen“ angemeldet. Anders als die Studenten in Zürich haben sie keinen direkten Kontakt zu dem Professor. „Aber es gibt einen Assistenten und zwei Tutoren, die sich um die Fragen im Onlineforum kümmern.“ Bislang klappt das alles wunderbar.

Bernstein ist sich sicher, dass auch seine Studenten in der Schweiz von dem MOOC-Experiment profitieren. „Die Vorlesung ist durch die digitale Aufbereitung bedeutend besser geworden. Weil wir uns bei jedem Abschnitt gefragt haben: Ist das wichtig? Und wie vermittele ich das am geschicktesten?“ Dass trotz seiner didaktischen Bemühungen bei Weitem nicht alle Internetteilnehmer seinen Kurs bestehen werden, darüber macht sich Bernstein dennoch keine Illusionen. „MOOCs sind sehr zeit- und arbeitsaufwendig. Das unterschätzen viele. Mit dem Anschauen von ein paar Youtube-Filmen ist das nicht vergleichbar.“

Trotzdem gibt es Parallelen zu Youtube. Auch bei MOOCs sind die Einstiegshürden sehr niedrig. Niemand verlangt irgendwelche Nachweise, mit wenigen Klicks ist man drin. Anders an einer Hochschule: Da braucht es für die Einschreibung Zeugnisse, bestimmte Notendurchschnitte, man muss Formulare ausfüllen, eventuell Studiengebühren bezahlen. „Bei einer Universität schaut man nicht einfach mal so rein“, resümiert Bernstein. Bei einem Onlinekurs dagegen schon. Genau das scheint den Reiz der Sache auszumachen. Und wer weiß, wer dabei alles auf den Geschmack kommt – nach noch mehr Bildung.

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