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Gesundheitsseiten im Internet: Klick dich krank

Das Vertrauen in Dr. Google ist ein zweischneidiges Schwert: Internetseiten zu medizinischen Fragen können Kranke zu mündigen Patienten machen – aber auch Gesunde zu Hypochondern.

Herr Argan hatte genaue Vorstellungen über seinen künftigen Schwiegersohn: Er hatte den sehnlichen Wunsch, dass seine Tochter Angélique einen Arzt heiraten würde. Auf welchem anderen Weg sollte er auf seine alten Tage rund um die Uhr seinen Zugang zu lebenswichtigen medizinischen Informationen sicherstellen? Ein Glück für Angélique, dass ihr krankheitsängstlicher Vater sie schließlich doch den geliebten Musiker zum Mann nehmen ließ: Man konnte den Herrn Papa überreden, sicherheitshalber selbst Medizin zu studieren und zum Dr. med. zu promovieren.

Der „Eingebildete Kranke“ aus Molières gleichnamiger Komödie, die 1673 uraufgeführt wurde, hatte noch keinen Zugang zu den vielfältigen Gesundheitsinformationen aus dem Internet. Lebte er heute, dann könnte Herr Argan sich dort sogar bei Professoren der Medizin persönlichen Rat holen: www.frag-den-professor.de, so heißt die Website, die der Internist und Diabetes-Spezialist Werner Scherbaum von der Uni Düsseldorf ziemlich genau vor einem Jahr zusammen mit Kollegen dort eingerichtet hat (siehe unten).

Diese und andere seriöse Websites bieten echten Nutzwert vor allem für Menschen, bei denen schon eine ärztliche Diagnose gestellt wurde, und für ihre Angehörigen. Von Alzheimer über Bluthochdruck, Diabetes und Krebs bis hin zu Schlaganfall und urologischen Problemen werden dort von ausgewiesenen Experten Krankheitsbilder, diagnostische und therapeutische Möglichkeiten in Wort und Bild ausführlich erläutert.

Die Nachfrage ist groß: Jede zweite deutsche Frau und jeder dritte deutsche Mann zwischen 18 und 64 Jahren hat sich in den letzten vier Wochen mindestens einmal im Internet über ein Gesundheitsthema Informationen geholt. Das ergab eine internationale Befragung, die das Meinungsforschungsinstitut Ipsos vor kurzem durchführte – allerdings online, so dass die Umfrage nicht als repräsentativ gelten darf. Außerdem wurden hier Bürger über 65 Jahren nicht einbezogen – die in den Sprechzimmern der Ärzte die Mehrheit bilden.

Dass die Frauen Dr. Google häufiger nutzen als die Männer, ist dabei nicht weiter erstaunlich: Traditionell sind sie diejenigen, die sich um die Gesundheit der gesamten Familie sorgen. Schon eher könnte erstaunen, dass die Deutschen im internationalen Vergleich eher zu den gemäßigten Medizin-Surfern gehören, hatte ihnen doch eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 1997 bescheinigt, in Sachen Krankheitsangst zu den Spitzenreitern zu gehören. Die Ipsos-Befragung allerdings ergab, dass Südafrikaner, Türken und Ungarn deutlich häufiger medizinischen Rat im Internet einholen. Japaner, Südkoreaner und Schweden klicken sich dagegen seltener durch die einschlägigen Seiten, wenn man der Umfrage glauben darf.

Verzichten sie damit auf Informationen, die man sich als mündiger Patient tunlichst selbst besorgen sollte? Holen umgekehrt die fleißigen Nutzer von Gesundheitsseiten zu oft und zu ausführlich Rat aus dem Netz? „Ich würde zunächst einmal streng zwischen informativen Seiten und einigen Chats und Foren unterscheiden, auf denen sich Menschen gegenseitig Angst machen“, sagt die Psychologische Psychotherapeutin Gaby Bleichhardt von der Universität Marburg. Gefährlich könne es immer dann werden, wenn man nach den Ursachen von eigentlich harmlosen Symptomen suche und sich dabei immer weiter in den Verdacht hineintreiben lasse, schwer krank zu sein. Ob solche Ängste im Internet-Zeitalter zugenommen haben, darüber gibt es allerdings bisher keine wissenschaftlichen Erkenntnisse. „Wir vermuten es, können das aber nicht belegen“, sagt Bleichhardt.

Nur selten steckt hinter wiederkehrende Kopfschmerzen gleich ein Hirntumor

Die Psychologin beschäftigt sich seit rund 15 Jahren nicht allein wissenschaftlich mit dem Problem der Hypochondrie, sondern hat zusammen mit Kollegen auch Konzepte für eine kognitive Verhaltenstherapie dagegen entwickelt. „Einigen meiner Patienten rate ich, das Googeln in diesem Gebiet komplett zu lassen.“ Der elegantere Weg ist es aus ihrer Sicht allerdings, wenn sie ihnen helfen kann, zu einem „erwachsenen, reflektierten Umgang“ mit den Informationen aus dem Netz zu finden. Was dazu auf jeden Fall gehört? „Über Wahrscheinlichkeiten nachdenken! Nur in den seltensten Fällen steckt hinter wiederkehrenden Kopfschmerzen wirklich der gefürchtete Hirntumor.“ Wichtig sei es auch, sich darüber zu informieren, von wem eine bestimmte Website stammt – und welche Interessen dahinter stecken könnten.

Unabhängigkeit findet auch Internist Werner Scherbaum ganz entscheidend. „Wer bei uns als Experte mitwirkt, bekommt kein Geld dafür. Allerdings kommt uns zugute, dass wir in hochkarätiger Besetzung angefangen haben, das zieht Fachleute aus anderen Gebieten an.“ Als Arzt lehnt Scherbaum Foren ab, in denen es individuelle Beratung oder Einmischung in die Behandlung gibt. „Unsere Aufgabe ist, die Aufklärung über Krankheitsbilder und Therapien zu verbessern, das wissen vor allem Patienten mit chronischen Krankheiten wie Rheuma oder Diabetes zu schätzen.“ Sie finden allerdings auch Rat und Unterstützung auf den zum Teil ganz hervorragenden Homepages der Selbsthilfegruppen. Beides ergänzt sich aus der Sicht des Internisten.

Wer seit Jahren an einer chronischen Krankheit leidet, damit möglichst „normal“ leben möchte und sich womöglich mit anderen Betroffenen regelmäßig austauscht, hat ganz andere Probleme als ein bisher Gesunder, der Veränderungen an und in seinem Körper abzuklären versucht – und dabei aus der Mücke eines leichten Ziehens im Oberbauch womöglich den Elefanten einer Krebserkrankung macht. Ein Problem, das Psychotherapeutin Bleichhardt täglich in ihrer Ambulanz beschäftigt. „Im Einzelfall kann unsere therapeutische Begleitung dann darin bestehen, dass wir einen Patienten bei seiner Recherche am Rechner begleiten, dafür sorgen, dass er sich nicht verzettelt und nicht lockerlassen, bis seine konkrete Frage wirklich beantwortet ist.“

Internist Scherbaum hält es für gut denkbar, dass Spielarten der Hypochondrie im Internetzeitalter zunehmen. „Die Angst, eine Krankheit zu haben, von deren Existenz man gerade erst erfahren hat, kennt jeder Mediziner allerdings schon aus dem eigenen Studium.“ So betrachtet war es doch keine so gute Idee der Familie Argan, den „eingebildeten Kranken“ zu überreden, selbst Doktor zu werden.

Empfehlenswerte Medizinseiten im Internet:

www.gesundheitsberater-berlin.de.

Such- und Beratungsportal rund um das Thema Gesundheit und Pflege in der Hauptstadt. Mit Hilfe umfangreicher Datenbanken kann das passende Berliner Krankenhaus zu einer bevorstehenden stationären Behandlung gefunden werden ebenso wie das am besten geeignete Pflegeheim. Darüberhinaus bieten Reportagen, Erklärtexte und Adressübersichten, die von der Redaktion des Tagesspiegel erarbeitet wurden, ein umfassendes Informationspaket zur Therapie von Erkrankungen.

www.frag-den-professor.de

Ausgewiesene medizinische Experten antworten in Interviewform auf Fragen zu häufigen Erkrankungen. Auf www.diabetes-deutschland.de gibt es ein spezialisierteres Zusatzangebot.

www.dgho-onkopedia.de

Von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) gestaltete Seite mit Patienteninformationen und -leitlinien zu verschiedenen Krebsformen

www.krebsinformationsdienst.de

Informationen zu Krebserkrankungen vom deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, das auch telefonisch (0800 4203040) kontaktiert werden kann.

www.sekis-berlin.de

Zentrale Berliner Selbsthilfe-Kontakt- und Informationsstelle mit einer Datenbank zu Krankheitsinformationen und Gruppen.

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