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Lange haben die christlichen Kirchen mit dem Netz gefremdelt, langsam beginnt eine vorsichtige Öffnung.

© imago/Gustavo Alabiso

Gott und das Internet: Jesus war kein Avatar

Während Internet-Konzerne gerne auf religiöse Konzepte zurückgreifen, haben die christlichen Kirchen lange mit den neuen Medien gefremdelt. Inzwischen jedoch gibt es eine Öffnung für Twitter, Facebook und das Web.

Dutzende junge Menschen lachen in die Kamera. Ein paar haben asiatische Gesichtszüge, einige dunkle Haut. Alle tragen blaue T-Shirts. Es könnte ein Foto vom katholischen Weltjugendtag sein. Es sind aber Mitarbeiter des Apple-Stores in Berlin. Wo bei den jungen Christen ein Kreuz über der Brust baumelt, hängt bei den Apple-Verkäufern ein weißes Gerät, über das sie die Geschäfte abwickeln. Der Verkaufsraum mit den großen Tischen und dem hellen Licht, das aus Rundbogenfenstern einfällt, erinnert an den Speisesaal eines Klosters.

Das ist kein Zufall. Die großen Internet-Konzerne inszenieren sich als Heilsbringer und greifen dafür gerne auf religiöse Symbole und Konzepte zurück. Die Geräte versprechen das Ende aller technischen Kommunikationsprobleme und ein bisschen auch die Erlösung der Welt. Die Vorstellung, alle könnten mit allen kommunizieren, erinnert ans christliche Pfingstwunder; die Gesten des Wischens und Streichelns der Bildschirme ähneln dem Handauflegen und Segnen.

Netzphilosophen ersetzen Gott durch Technik

Der Internet-Vordenker Marshall McLuhan entdeckte den französischen Jesuiten Pierre Teilhard de Chardins, um seine eigenen Zukunftsvisionen zu beschreiben. Der katholische Theologe versuchte Anfang des 20. Jahrhunderts, Theologie und Naturwissenschaften zu verbinden, und entwickelte die Idee einer weltumgreifenden Wesenhaftigkeit des Intellekts. Auch heute beziehen sich Cyberphilosophen auf theologische Konzepte, wenn es um Ideen einer überpersonalen Vernunft geht, darum, wie das Individuum mit einem größeren Ganzen verschmelzen könnte. Der Unterschied: Die Theologen gehen davon aus, dass Gott hinter dem großen Ganzen steht. Die Netzphilosophen ersetzen Gott durch Technik.

Während sich die Netz- und Cybercommunity also munter bei christlichen Traditionen bedient, fremdeln die Kirchen mit den neuen Medien. Seit zwei Jahren twittert zwar der Papst und hat 13 Millionen Follower mit @pontifex. Doch auf Facebook ist er nicht, angeblich aus Sorge vor unflätigen Kommentaren. Postende und twitternde Bischöfe und Pfarrer sind in Deutschland noch selten. Aber es tut sich trotzdem etwas. Im November wurde Heinrich Bedford-Strohm, der evangelische Landesbischof von Bayern, an die Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gewählt. Wenn sich seine Bischofskollegen zwischen zwei Terminen ausruhen, twittert der 54-Jährige und gibt der Welt via Facebook Einblicke in seine Arbeit. Auch Youtube nutzt er gezielt für seine Öffentlichkeitsarbeit. Im November beschäftigte sich auch zum ersten Mal die Synode der EKD, das oberste evangelische Kirchenparlament, mit der Frage, wie die Kirche ihr digitales Engagement verstärken könnte. Die Deutsche Bischofskonferenz diskutierte diese Fragen ebenfalls neulich auf einem Kongress.

Lieder aus der Sound-Cloud

Einige, vor allem evangelische Gemeinden nutzen die neuen Medien inzwischen für die Seelsorge und für Gottesdienste. Die Frankfurter Jugend-Kultur-Kirche Sankt Peter etwa bietet Internet-Gottesdienste an, bei denen die Christen vom häuslichen Sofa aus mitfeiern können – was auch behinderten Menschen die Teilnahme erleichtert. Bei Twitter-Gottesdiensten kommen die Lieder aus der Sound-Cloud. Es predigt nicht nur der Pfarrer, sondern alle twittern ihre Sorgen und Wünsche in den Gottesdienst hinein. Andere Gemeinden versuchen sich in der Chat-Seelsorge und es gibt jede Menge Foren, in denen sich Menschen über Glaubensfragen austauschen, Psalmen teilen und ihre Lieblingsgebete posten. Auf Gebetsportalen wie www.amen.de kann man eintippen, was einen umtreibt. Die virtuelle Gemeinschaft betet dann für einen. In London und in den USA haben sich Online-Gemeinden gegründet, in denen man sich nur noch im Netz trifft.

Aber handelt es sich überhaupt um eine Gemeinde im christlichen Sinn, wenn sich die Mitglieder nur virtuell begegnen? Weil sich Gott entzieht, gehören zum Glauben virtuelle Phänomene fest dazu. Aber Jesus war kein Avatar. Und wie soll ein virtuelles Abendmahl funktionieren? Christen „schmecken“ im Abendmahl den Leib und das Blut Jesu Christi, wie es Bischof Bedford-Strohm ausdrückt. Die Feier des Abendmahls setzt Brot, Wein und die leibliche Anwesenheit einer Gemeinschaft voraus. Denn Essen und Trinken sind körperliche Handlungen und werden beim Abendmahl sowohl symbolhaft als auch konkret sinnlich vollzogen. Auch bei der Feier der anderen Sakramente wie etwa der Taufe kommen die Möglichkeiten des Internets an ihre Grenzen. Damit religiöse Zeichen ihre Wirkung entfalten können, müssen sie von Angesicht zu Angesicht vollzogen werden. Eine Geste in die Kamera reicht nicht aus. Das unterscheidet sie vom gesprochenen Wort.

Unklar ist auch, wer die Online-Angebote nutzt. Die EKD befragt alle zehn Jahre ihre Mitglieder nach ihren Bedürfnissen und der religiösen Praxis. Die Untersuchung von März 2014 ergab, dass die 23,4 Millionen evangelischen Kirchenmitglieder in Deutschland sich nur selten im Internet über die kirchlichen Angebote informieren. Auch die Verständigung über existenzielle Fragen, den Sinn des Lebens oder das Sterben läuft über traditionelle Kanäle. Man bespricht sich mit dem Ehepartner oder engen Freunden. Das mag daran liegen, dass die Kirchenmitglieder zumeist älter sind als der Durchschnitt der Gesellschaft und wenig online-affin.

Die Jungen besprechen auch Vertrauliches im Netz

Denn zu einem anderen Ergebnis kam, ebenfalls 2014, die Umfrage „Gott im Netz“ der Konpress-Mediengesellschaft. Sie hat nur online-aktive Kirchenmitglieder befragt, überproportional viele sind jünger als 40 Jahre. Ein Drittel gab an, dass sie gerade vertrauliche Dinge im Netz besser besprechen könnten als im engen Familien- und Freundeskreis. Sie wünschen sich, dass sich die Kirchen online viel mehr engagieren.

Die Kirchen sind aber noch in einem anderen, viel umfassenderen Sinn gefragt. Nämlich da, wo es um die Auswirkungen der neuen Medien auf das Menschenbild unserer Gesellschaft geht. Wenn sich Menschen im Netz fremde Namen und Biografien zulegen, verändert sich zum Beispiel das, was wir seit tausenden Jahren unter Identität verstehen. Wenn Realität und Fiktion, Sein und Schein verschwimmen, löst sich der Wahrheitsbegriff auf. Für die Netz-Community kommt es nicht auf Wahrheit an, sondern auf Relevanz. „Die Art und Weise, wie die neuen Medien in unsere Lebenswelt eingreifen, wird nachhaltig die Art und Weise verändern, wie wir uns selber und unsere Welt beschreiben“, prophezeit der katholische Theologe Klaus Müller von der Universität Münster. Er betreibt als einer von wenigen Theologen Cyber-Theologie.

Problematisch sei die Trennung von Geist und Leib im virtuellen Raum. Denn diese Trennung führe zur Abwertung des Leiblichen und Körperlichen, was sich negativ auf den Umgang mit Krankheit, Schwäche, Endlichkeit und Tod auswirken könne, fürchten Theologen. „Hier muss die Kritik von Theologie und Kirche ansetzen“, sagt Klaus Müller. „Wir müssen für die Schwachen und Verletzten eintreten, für die nicht Perfekten und für die, die technisch nicht avanciert sind.“ Er fürchtet, dass die neuen Medien „tiefe soziale und ethische Gräben“ aufreißen.

Die Erfahrung, im virtuellen Raum menschliche Grenzen zu überwinden, weckt die Hoffnung, irgendwann auch die Endlichkeit des menschlichen Lebens aufheben zu können. In der Cyber-Community werde bereits daran gearbeitet, wie man mentale Prozesse des menschlichen Gehirns am Lebensende auf Maschinen übertragen und so über den Tod hinaus retten könnte, erzählt Klaus Müller. Ihn schaudert es bei diesem Gedanken. Denn er ist überzeugt, dass der Mensch mehr ist als biochemische oder neurophysiologische Prozesse, die sich technisch speichern und abrufen lassen. Auch Christen glauben an das ewige Leben und die Auferstehung der Toten. Aber die Auferstehung ist keine Technik. Der Mensch kann sie nicht herbeizwingen, auch wenn er noch so wissenschaftlich versiert ist. Die Auferstehung im christlichen Verständnis ist allein Sache Gottes.

Die Kirchen sollten sich religiöse Kompetenz und Konzepte nicht von der Netz- und Cyber-Community klauen lassen. Nicht weil sie die Wahrheit gepachtet hätten oder weil ihnen sonst etwas verloren ginge. Sondern weil Religion, die den unverfügbaren Gott durch Technik ersetzt, Allmachtsfantasien befördert, die einer Gesellschaft auf Dauer nicht nur Spaß bringen. Gerade weil die Kirchen als kritische Begleiter gebraucht werden, sollten sie sich mehr als jetzt auf die neuen Medien einlassen. Denn nur wer sich auskennt, kann kompetent kritisieren.

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