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Internet-Aktivist Jeff Jarvis, hier bei der re:publica.

© dpa

Journalistik-Professor über Leistungsschutzrecht: Jeff Jarvis: Ich mache mir Sorgen um Deutschland

Mit dem Leistungsschutzrecht vertuschen Verlage eigene Versäumnisse, schreibt der amerikanische Journalist und Professor Jeff Jarvis. Er fürchtet, dass Investoren sich von Deutschland abwenden.

Das nun im Bundestag verabschiedete Leistungsschutzrecht ist ein Kompromiss, der keinen wirklich zufriedenstellen kann. Verlage – allen voran Axel Springer und Burda – hatten sich erhofft, dass Internetfirmen, vor allem Google, dafür zahlen müssten, dass sie Inhalte zitieren.

So genannte Snippets dürfen jedoch auch nach neuer Regelung kostenlos übernommen werden. Sie sind sehr vage definiert: Einzelne Wörter oder auch "sehr wenige" Wörter fallen darunter. Diese Ausnahme bestätigt die Absurdität des Vorhabens der Verlage: Wem gehört ein Wort? Wem gehört ein Satz? Oder ein Gedanke? Wer kann je darauf Anspruch erheben?

Falls das Gesetz nun also auch noch vom Bundesrat bestätigt wird, werden Anwälte ein Vermögen damit verdienen, darüber zu diskutieren, wie kurz noch immer zu lang ist. Egal, auf welche Länge oder welche Wörteranzahl man sich letztlich als kostenlos zitierbar einigt: Jegliche Beschränkung eines Zitats ist ein Nachteil. Sehen Verleger nicht, dass sie von Zitaten leben? Der Inhalt ihrer Medienprodukte besteht zu einem großen Teil aus dem, was andere sagen. Und: Immer, wenn die eigenen Inhalte anderswo zitiert werden, wird deren Einfluss vergrößert.

Das jedoch interessiert die Verlage nicht. Sie wollen Geld von Google. Sie sagen, es sei nicht fair – stellen Sie sich hier bitte ein Kindergartenkind vor, das vehement aufstampft – dass Google Geld verdient, während sie selbst Mühe haben, es nicht in großem Stil zu verlieren. Verlage denken, sie müssten finanziell an den Erlösen der Internetfirmen beteiligt werden. Sie verlieren dabei aus dem Blick, das Medieninhalte nur einen Bruchteil dessen ausmachen, was Menschen auf Google überhaupt suchen.

Außerdem: Jedes Mal, wenn Google Medieninhalte verlinkt, haben die Anbieter dieser Inhalte die Chance, dadurch eine eigene Geschäftsbeziehung mit den Usern aufzubauen, die über Google kommend auf den Inhalten landen. Das haben die Verlage bisher nicht getan.

Zwei Jahrzehnte nach Beginn der Internetära kann nicht ausgerechnet Google für dieses Versäumnis verantwortlich gemacht werden. Statt durch Innovation und das Erkennen von Chancen sich selbst und andere zu beeindrucken, rennen die Verlage lieber zu ihrer Kanzlerin und der dazugehörigen Partei, um ein Leistungsschutzrecht durchzusetzen.

Zugegeben, das ist kein rein deutsches Problem. Letztlich ist dieses Verhalten eine europäische Krankheit. In Frankreich zum Beispiel üben Verleger über ihre Regierung Druck auf Google aus, Innovation bei Verlagen finanziell zu fördern, die bisher nicht innovativ waren. Die französische Regierung will zudem das Sammeln großer Datenmengen besteuern. In Belgien hatten sich Verlage zunächst entschieden, keine Verlinkung mehr bei Google zu erlauben. Dann änderten sie ihre Haltung und einigten sich mit Google stattdessen darauf, dass das Unternehmen Werbung in ihren Publikationen schalten sollte, um eine belgische Version des Leistungsschutzrechts zu verhindern.

Letztlich bringen die Herausforderungen durch das Internet ein gewisses Maß an Irrsinn rund um die Welt hervor. Auch die USA sind nicht davon ausgenommen. Dort sorgten die Gesetze Sopa und Pipa für Aufruhr, weil sie aus Sicht von Kritikern nur dafür geeignet waren, siechende Industrien am Leben zu halten. Die Gesetze kamen nicht durch. Auch Acta ist ein Beispiel: Dort wurde versucht, international die Urheberrechtsindustrie zu schützen.

Warum Jeff Jarvis Deutschland liebt und gern besucht

Deutschland allerdings ist insofern besonders interessant, weil es hier noch um weit mehr als um die Sorge um bestehende Geschäftsmodelle geht: Deutschland steht an der Spitze derjenigen, die in Europa Angst vor dem Verlust der Privatsphäre durch neue Technologien haben.

Regierungsvertreter riefen beispielsweise die Bevölkerung dazu auf, gegen das Veröffentlichen von Fotos vorzugehen, die ihre Wohnhäuser als Teil einer Straßenansicht auf Google Street View zeigten. Stichwort: Verpixelungsrecht. Und dann ist da ein Privatsphären-Extremist in einem deutschen Bundesland, der versucht hat, Facebooks Like-Knopf verbieten zu lassen. In demselben Bundesland gab es außerdem den Versuch, Facebook an einer Klarnamen-Pflicht zu hindern.

Es mutet fast paradox an: In Unternehmerkreisen gilt Deutschland in Sachen Internet als Land der Nachahmer. Immer wieder haben deutsche Unternehmer amerikanische Dienste und Geschäftsmodelle kopiert. Obwohl ihr wahres Businessmodell eigentlich ist, von den amerikanischen Originalen aufgekauft zu werden.

Ich liebe Deutschland (auch wenn das für viele Amerikaner überraschend klingen mag): Es gibt keinen Ort der Welt, den ich lieber besuche. Ich habe viele Freunde in Deutschland, ich treffe immer wieder sehr talentierte, den neuen Technologien aufgeschlossene Experten, ich bewundere die deutsche Buchkultur und den – allerdings schwer unter Druck stehenden – Markt für seriösen Journalismus.

Aber heute mache ich mir Sorgen um Deutschland. Es ist schon ein industrielles Wunder in einer postindustriellen Zeit, wenn Regierung und Medienunternehmen sich gegenseitig umarmen, um alte Institutionen gegen neue Herausforderungen und Chancen zu verteidigen. Wie schon in meinem Buch Mehr Transparenz wagen! beschrieben, sehe ich mit Sorge, dass der Wille der Deutschen, ihre Privatsphäre zu schützen, kein Versagen zu riskieren, vor allem kein Öffentliches, letztlich zu großen Nachteilen führt. In einem unternehmerischen Zeitalter, in dem gelegentliches Versagen ein notwendiges Beiwerk experimentellen Mutes ist, können die Deutschen so nicht gut mithalten. Ich fürchte, dass Unternehmer, Investoren und – vor allem amerikanische – Internetfirmen sich von Deutschland abwenden, weil sie hier nicht mit Gastfreundschaft, sondern Feindschaft empfangen werden.

Ich bin enttäuscht, dass das Land des Buchdruckers Gutenberg, das Land, in dem die Möglichkeit, Wissen zu teilen, erfunden wurde, das Land, in dem ein Massenpublikum Zugang zu Gedanken erhielt, die sonst nur wenigen vorbehalten waren, sich nun in Kleinkriegen verfängt – um die Kontrolle über einige wenige Worte. Schade!

Zuerst erschienen auf Zeit Online. Mehr über Jeff Jarvis hier.

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