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Musikdienst Vevo in Deutschland gestartet: Youtubes knallroter Konkurrent

Der Musikdienst Vevo hat sich mit der Verwertungsgesellschaft Gema geeinigt. Das bedeutet: Auch deutsche Nutzer können endlich wieder Musikvideos im Internet ansehen. Die Optik ist frisch, das Design übersichtlich - doch es gibt eine kleine Macke.

Musikfreunde atmen seit dem 1. Oktober auf. Sie können wieder mitreden, wenn alle Welt darüber diskutiert, wie dekorativ die Tränen der Sängerin Miley Cyrus an ihren Wangen herunterkullern, so dass die ältere Generation sich sofort an Sinead O’Connor erinnert – die seinerzeit mit einem authentischen Heuler-Video die Welt fesselte. Oder wenn der Facebook-Freund aus den USA den neuen Prince-Clip postet und sich niemand in Deutschland nur anhand der Kommentare zusammenreimen kann, was da eigentlich zu sehen ist. Vevo Deutschland sei Dank.

Die Plattform im Internet leistet das, was Youtube hierzulande nicht darf und MTV nicht mehr will: Sie ist buntes Popmusik-Fernsehen. Youtube streitet mit der Gema um Lizenzgebühren und darf einstweilen nicht alle Videoclips ausstrahlen, MTV hat sich im Kernprogramm längst von seinen Ursprüngen verabschiedet und zeigt Reality-Shows.

Dass trotzdem ein Bedarf an reinen Musikkanälen vorhanden ist, zeigen Neugründungen im Internet. In Deutschland hat sich tape.tv als unabhängiges Medium etabliert, das rund 45 000 Videos auf Abruf bereithält und dank Kooperationen mit ZDFkultur oder Spiegel Online den Aktionsradius ständig erweitert. In den USA wurde 2009 Vevo gegründet, das sich dort laut Comscore zum Marktführer gemausert hat. Zwei Jahre hat Vevo mit der Gema um eine Einigung gerungen. Nun können die deutschen Nutzer auf rund 75 000 Clips zugreifen.

Wie funktioniert Vevo? Ehrlich gesagt, kinderleicht. Entweder kommen Zuschauer über die Website oder sie laden sich eine App für das Tablet und das Smartphone herunter. Der Videoanbieter spielt sein Programm in gestochen scharfer HD-Qualität ab. In einer einwöchigen Tagesspiegel-Testphase kam es nur zwei Mal zu sekundenlangen Aussetzern, in denen der Clip neu berechnet wurde. Die übersichtlichen Menüleisten machen es selbst Laien einfach, sich durch das Programm zu navigieren.

Auf der Startseite wirbt Vevo mit brandneuen Clips. Wer will, kann sich die am meisten abgespielten Videos aller Zeiten anschauen (Rihanna, Justin Bieber, Jennifer Lopez). Mit der Suchfunktion lassen sich Künstler, Titel oder hauseigene Inhalte finden. Das sind teils exklusive Konzertmitschnitte oder peinliche Dating-Shows. In „Lyric Lines“ sollen Kandidaten eine Angebetete mit Texten von Popstars verführen. Wie wäre es mit Rammstein? „Du hast, du hasst mich.“ Aber die deutsche Rockband gibt es ja sowieso nicht. Wie auch beim Musikstreamingdienst Spotify verweigert sie sich dieser Verwertungskette.

Bei Spotify schätzen viele Kunden die Möglichkeit, Abonnements abzuschließen und dadurch nervige Werbung zu umgehen. Vevo bietet solche Pakete noch nicht an. Der Dienst ist kostenfrei und finanziert sich über Anzeigen. Nach drei oder mehreren Videos schaltet der Kanal einen Werbeclip zwischen, auf der Tablet-App hat sich allerdings im Test nicht einmal nach sechs Clips eine Unterbrechung eingeschlichen. Nicht nur wegen der niedrigen Belästigungsquote empfiehlt sich daher die Tablet-Option. Die knallrote Optik mit den wegwischbaren Videos wirkt auf diesem Format besser.

Das einzige Manko, das wir finden konnten: Es gibt keine Überraschungsmomente, wenn der Zuschauer sich einmal für einen Clip entschieden hat. Vevo erstellt auf Grundlage der Auswahl eine Playlist, die nicht einmal in ein anderes Genre ausschert. Wer die schottische Indieband Franz Ferdinand anklickt, wird danach mit Videos der Editors, Kaiser Chiefs oder Interpol berieselt. Böse Zungen würden sagen: Alles dieselbe Sauce.

Wer allerdings auf Madonna nach Kylie Minogue hofft, kann lange warten. Vevo ist ein gemeinsames Unternehmen der Unterhaltungskonzerne Google, Universal Music und Sony Music (mit Abu Dhabi Media als Partner). Musiker des Plattenmultis Warner sind kaum vertreten. Madonna? Sieben Videos spuckt die Ergebnisliste aus, davon kein offizielles, sondern Teaser- und Lyric-Videos – so bezeichnet man zusammengebastelte Filmchen, in denen der Text wie beim Karaoke eingeblendet wird. Peter Fox? Kennt die Suchmaschine erst gar nicht.

Von der Deutschland-Zentrale in Berlin lädt Vevo jeden Tage internationale und nationale Inhalte hoch. Am 1. Oktober begann Vevo mit der Premiere des neuen Fettes-Brot-Videos „Kannste kommen“, später folgten Popsänger Adel Tawil und Rapper Capo. Tina Funk leitet das Berliner Büro, sie arbeitete vorher bei Mute Records und verfügt über beste Kontakte in die Musikindustrie. Dass es ein Depeche-Mode-Special nur für den hiesigen Markt geben wird, kann man getrost ihr zuschreiben.

Wird Vevo das Musikvideo als Kunstform revolutionieren? Vielleicht. Auf jeden Fall heizt es die Diskussion um ästhetische Inhalte neu an. Der Clip findet nicht mehr unter Ausschluss der (deutschen) Öffentlichkeit statt. Hm, wozu brauchen wir noch mal Youtube?

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