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Daten sind der Rohstoff, mit dem die Informationsgesellschaft angetrieben wird. Auf der Internetkonferenz re:publica in Berlin wurden von Montag bis Donnerstag die Licht- und Schattenseiten dieser Entwicklung behandelt. Foto: dpa

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Netzpolitik auf der re:publica: Wenn der Kühlschrank ständig twittert

Informationsüberlastung, Big Data, Überwachungsängste – die re:publica diskutiert über viele alte und einige neue Gefahren durch die zunehmende Vernetzung.

Kein Handy, kein Fernsehen, kein Internet, dafür Bücher, Spiele und ein Häkelkurs – so sieht das Programm aus, das ein Hotel in der Steiermark seinen erholungssuchenden Gästen anbietet: „Ankommen und Abschalten“, zitiert der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen auf der re:publica das Versprechen der österreichischen Hoteliers. Pörksen will den Teilnehmern der Internetkonferenz zeigen, wie sie von der Informationsüberlastung zur Informationssouveränität gelangen. Der Wunsch danach ist groß: In Oakland hat man sich auf die Sehnsucht vieler Menschen nach Entschleunigung und Muße ebenfalls eingestellt. „Disconnect to reconnect“, heißt hier das Abschaltprogramm, inklusive Umarmen von Redwood-Tannen.

Um die Informationssouveränität zurückzugewinnen braucht es nach Pörksens Einschätzung neue Strategien im Umgang mit den Informationsvermittlern. Problematisch dabei sind vor allem die unsichtbaren Auswahlentscheidungen von Internet-Giganten wie Google, Facebook, Amazon und Twitter. „Wer den Algorithmus programmiert, der bestimmt, welchen Realitätsausschnitt wir zu sehen bekommen“, sagt Pörksen. „Wir brauchen einen Filterwechsel“ rät der Medienwissenschaftler und fordert die Nutzer auf, durch die „systematische Organisation von Überraschungen“ dieser Realitätsverzerrung entgegenzuwirken.

Die klassischen Medien, aber auch die Blogger bilden nach Darstellung Pörksens hingegen eine „Welt der prinzipiell bekannten Auswahlentscheidungen“. Hier herrsche mehr Transparenz, sagte der Tübinger Professor und fügte hinzu: „Wir alle folgen längst unseren persönlichen Trüffelschweinen im Informationsuniversum, denen wir Relevanzvertrauen schenken.“ Der Wissenschaftler stellt die These der ständigen Informationsüberflutung infrage. Diese stehe in einer Tradition des Kulturpessimismus und verkenne, „dass Filter nach wie vor überall sind, dass der wichtigste Filter am Ende des Tages wir selbst sind“.

Mehr Netzpolitik war auf keiner re:publica zuvor

Die Internetkonferenz re:publica, die von Dienstag bis Donnerstag in Berlin stattfand, war von politischen Themen durchdrungen wie nie zuvor. Ein Jahr nach dem Beginn der Veröffentlichungen von Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden über den größten Überwachungsskandal in der Geschichte der Menschheit, wie ihn re:publica-Mitveranstalter Markus Beckedahl nennt, stehen die netzpolitischen Themen weit oben auf der Agenda. Zu den nach wie vor unterschätzten Gefahren gehört für Yvonne Hofstetter Big Data. Irrtümlich würden viele Menschen diese Datensammlungen als abgeschlossene Silos betrachten. Tatsächlich aber sind diese Daten nur der Rohstoff, mit denen bereits jetzt zahllose Maschinen gefüttert werden, um mithilfe der Künstlichen Intelligenz in Echtzeit Kontrollentscheidungen zu treffen, sagte Hofstetter, deren Firma Teramark Technologies sich auf die intelligente Auswertung großer Datenmengen und Datenfusionssysteme spezialisiert hat.

Big Data habe nur darauf gewartet, dass moderne Hardwareinfrastruktur ihre maximale Rechenkapazität erreicht und die Datenmengen so zugenommen haben werden, dass sie für Maschinen einen Sinn ergeben, sagt sie. Als Beispiele führt Hofstetter den Hochfrequenzhandel an den internationalen Börsen an. Der Parketthandel mit realen Händlern stelle nur noch einen kleinen Teil des Marktes da, der Großteil des Geschäfts werde inzwischen von Maschinen bewegt, die in direkter Nähe zu den Betreibern der Börse aufgebaut sind, um vollautomatisiert in Mikrosekunden untereinander handeln. Zu den Folgen dieser Entwicklung gehören so Börsencrashs durch fehlerhafte Systeme. Aber auch die Gefahr von Manipulationen nehme durch die Technisierung des Handels zu. Mithilfe von Big Data versuchen Hofstetter zufolge inzwischen weitere Wirtschaftszweige wie Banken und Versicherungen über Netzwerkanalysen Entscheidungshilfen bei der Beurteilung ihrer Kunden zu erhalten.

Aus Datenbergen werden alpine Formationen

Dass der Datenberg mit jeder Statusmeldung und jedem neuen Blogeintrag weiter wächst, ist den Internetnutzern freilich auch schon vor der re:publica 14 bekannt gewesen. Noch jedoch handelt es sich dabei höchstens um Mittelgebirge, die durch das Internet der Dinge erst zu hochalpinen Formationen wachsen. „Wenn der Kühlschrank twittert“ lautete der Vortrag von Martin Vesper, Chef der digitalstrom AG. Bei dieser Technik können die von kleinen Sensoren ermittelten Daten von Haushaltsgeräten ins Internet übertragen werden. Jedes Gerät hat seine eigene Internetadresse, sein eigenes Profil und demnächst auch seinen eigenen Zugang zur Welt der sozialen Medien. Wenn möglichst viele Geräte ihre Verbrauchsdaten auf Twitter veröffentlichten, könnte so zum Beispiel festgestellt werden, ob die Herstellerangaben zum Stromverbrauch mit der Realität übereinstimmten, so Vesper. Zugleich könnten die Geräte aber auch auf Ereignisse reagieren, die wiederum über eigene Sensoren ans Internet gemeldet werden, beispielsweise auf Wetterdaten.

Ein Interesse an solchen Techniken hat die Energiewirtschaft, wie der Blogger Jens Scholz erklärt. Bis zum Jahr 2020 sollen in Europa 80 Prozent der Haushalte mit Stromzählern ausgerüstet werden, die ans Internet angeschlossen sind. Smart Meter heißt die Technologie, die zu einer effizienteren Energieauslastung führen soll, aber zugleich auch immer mehr Informationen über die Verbraucher produziert. Um die Souveränität über diese Daten zurückzuerlangen, hilft kein Urlaub in der Steiermark oder in Oakland. Kurt Sagatz

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