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Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo.

© Khaled Desouki/AFP/Getty Images

Netzsperre: Ägyptens Netz ist tot – es lebe das Netz

Das Internet auszuknipsen, ist kontraproduktiv. Dies erfährt gerade Ägyptens Regierung. Die USA, die den Kill-Switch einführen wollen, sollten davon lernen.

In der Nacht vom 27. auf den 28. Januar ging Ägypten vom Netz. Alle Provider des Landes schalteten innerhalb von vielleicht zehn Minuten ihre Router aus und blockierten jeden Datenverkehr. Alle, bis auf einen: Noor Group blieb online. Wohl um die Wirtschaft nicht völlig zu ruinieren, denn über diesen Anbieter laufen auch die Leitungen der ägyptischen Börse. Beziehungsweise liefen, denn seit Montagnacht ist auch Noor tot.

Nie zuvor hat ein so großes Land sich so konsequent von der Moderne abgeklemmt. Und es ist gut möglich, dass das so schnell nicht wieder passiert. Denn der  Fall Ägypten zeigt, wer damit eigentlich getroffen wird: alle. Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak hat das Internet abschalten lassen, um die Protestierer zu isolieren und zum Schweigen zu bringen. Doch ohne Internet kann eine Gesellschaft heute kaum noch funktionieren.

Inzwischen gibt es Berichte, die Preise für Lebensmittel seien teilweise um bis zu 50 Prozent gestiegen, Banken seien zu, Krankenhäuser würden nicht mehr beliefert, Firmen seien geschlossen. Ein Twitterer fasst es auf wenigen Zeichen zusammen: "The market has crashed, tourism collapsed, nothing's working. What more can Mubarak destroy?" Was kann Mubarak noch zerstören, alles sei bereits hin, bedeutet das.

Firmen wie Microsoft oder Hewlett Packard haben ihre Abteilungen in Ägypten verlagert oder geschlossen, auch deutsche Unternehmen ziehen sich zurück, Millionen an Investitionen sind gestoppt.

Das zeigt vor allem eins: Wer heutzutage das Internet abschaltet, riskiert, sein Land in die Steinzeit zu bomben. Damit schadet Mubarak auch sich selbst. Ein Grund der Proteste ist schließlich die hohe Arbeitslosigkeit und die Perspektivlosigkeit der Jugend. Arbeitsplätze zu vernichten, noch dazu in einer wachsenden Industrie, wird die Lage auf längere Sicht also garantiert nicht beruhigen.

Zyniker könnten argumentieren, eine Abschaltung des Netzes sei noch aus einem anderen Grund dumm: Das Regime nimmt sich selbst die Möglichkeit, seine Gegner zu finden. Der weißrussische Netzanalytiker Evgeni Morozov warnt seit Langem, soziale Netze seien für Protestbewegungen gefährlich, da sie dank der öffentlich sichtbaren Verbindungen ausgespäht werden könnten.

Das war der tunesische Weg. Die Regierung versuchte, die Logindaten eines ganzen Landes zu stehlen. So beobachteten Analytiker bei Facebook in den USA, dass tunesische Netzbetreiber einen Code einsetzten, um diese Daten abzugreifen, wenn sich ein Tunesier bei Facebook und anderen Diensten anmeldete.

Wie das Magazin Atlantic schreibt, programmierte Facebook so schnell wie möglich einen Weg, um das zu stoppen. Das gelang wohl auch, wie viele Accounts jedoch geknackt und überwacht werden konnten, weiß niemand.

Chaos-Computer-Club-Sprecher Frank Rieger schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die Protestseiten in Ägypten seien zu zahlreich gewesen, um sie zu überwachen, der Sturm zu schnell groß geworden – deswegen habe das Regime den Stecker gezogen.

Trotzdem versiegen die Informationen aus Ägypten nicht. Die Telefonleitungen sind noch aktiv, zumindest in Gegenden, in denen gerade nicht demonstriert wird. Möglicherweise, um das Land nicht vollends in die Anarchie und in die Auflösung zu treiben. Mobilfunk und Telefon aber genügen im Zweifel.

Google beispielsweise hat hastig einen Dienst aufgesetzt, um Botschaften aus Ägypten zu verbreiten. Über drei internationale Rufnummern kann eine Mailbox erreicht werden, die jede aufgesprochene Nachricht sofort mit dem Hashtag #egypt twittert.

Ähnlich dem Dienst Audioboo wird dabei die Sprachnachricht verbreitet, nicht nur eine schriftliche Botschaft von 140 Zeichen. Denn inzwischen lässt sich jede Kommunikationsform weltweit streuen, seien es Bilder durch Streamingdienste wie Ustream, Schrift oder eben Sprache. Nötig ist nur ein Mobiltelefon. Und davon gibt es in Ägypten viele, mehr als 70 Prozent der Ägypter haben eines, viele auch zwei.

Entsprechend seltsam wirken Forderungen beispielsweise amerikanischer Politiker nach einem sogenannten Kill Switch für das Netz, einem Not-Aus-Schalter. Denn die Beispiele Tunesien und Ägypten zeigen, dass vor allem Autokraten darin eine Option sehen, um Informationen und Demokratie zu unterdrücken. Und dass es nicht funktioniert.

Nichtsdestotrotz existieren solche Pläne. In Österreich beispielsweise. Auch der amerikanische Präsident beispielsweise soll das Internet im Fall eines landesweiten Cyber-Notstands abschalten können, das Gesetz dazu ist bereits fertig. Vier Mal wurde es gestoppt, einmal von Präsident Barack Obama selbst. Doch die Erfinder, allen voran Senator Joe Lieberman und andere Mitglieder des Senatsausschusses für Innere Sicherheit, geben nicht auf und wollen es in den kommenden Tagen ein fünftes Mal einbringen.

Beim amerikanischen Protecting Cyberspace as a National Asset Act of 2010 geht es inzwischen nicht mehr um das gesamte Netz, vor allem kritische Infrastruktur wie Wasser, Energie oder Militär soll bei einem Angriff vom Netz abgeklemmt werden können. Allerdings ist das Gesetz so unklar formuliert, dass der Stoppschalter bei jeder Bedrohung gedrückt werden dürfte – mit unabsehbaren und im Zweifel katastrophalen Folgen, wie Ägypten zeigt.

Das Netz ist inzwischen mit all unseren gesellschaftlichen Strukturen so verwoben, dass ein Abschalten einem Hirntod gleichkommt. Die eher satirische Drohung, die derzeit im Netz herumgeschickt wird, ist deswegen nicht weit hergeholt: "If your government shuts down the internet, shut down your government" – wenn Deine Regierung das Netz abschaltet, dann schalte Deine Regierung ab.

Quelle: "Zeit Online"

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