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Manchmal nervt es, was die Menschen meinen, einem mitteilen zu müssen.

© pa/dpa

Print vs. Online: Druck mir das Wichtigste aus!

Wieso dürfen 50-Jährige über das Internet meckern, 25-Jährige nicht? Maris Hubschmid wundert sich über Gereiztheiten bei ihren Kollegen und will mit dem gleichen Recht offline leben wie ihre älteren Mitmenschen.

Von Maris Hubschmid

Dieser Text ist dazu angetan, mich unglücklich zu machen. Um mir und Ihnen, die vielleicht lieber aussteigen wollen, eine Chance zu geben, will ich den Schock vorwegnehmen und den Beitrag ausnahmsweise zu Beginn kurz zusammenfassen: Ich werde mich im Folgenden kritisch über das Internet äußern. Zur allgemeinen Beruhigung sei vorangeschickt, dass ich niemanden bekehren möchte, ich spreche allein für mich, darüber, wie ich die Dinge sehe. Sie sagen vielleicht: Das interessiert doch keinen Menschen. Aber das ist falsch, mindestens eine Person interessiert das sehr, das ist unser Redaktionsleiter Online. Er versucht seit längerem, mich zu verstehen und bat mich, ihm meine Gedanken schriftlich darzulegen. Tatsächlich bewegt meine Sicht der Dinge sogar noch viel mehr Menschen, scheint es.

Was bisher geschah

Ich hatte die Ehre, von einem Magazin befragt zu werden, wieviel mir die gedruckte Zeitung noch bedeutet. Sie bedeute mir nach wie vor mehr als Berichterstattung im Internet, habe ich erklärt, und dann zugegebenermaßen einen etwas unglücklichen Satz von mir gegeben: „Online schreibt ja jeder Hans und Franz“. Gemeint habe ich: Im Internet kann jeder alles veröffentlichen und verbreiten. Der Platz am Kiosk ist dagegen begrenzt. Ich habe Gedrucktes immer geliebt. Als erstmalig eine Rezension von mir gedruckt wurde, hat mir das mehr bedeutet als die Tatsache, dass sie online zu finden war, wo es unzählige selbst ernannter Literaturkritiker bei Amazon gibt. Bis heute hat sich an dieser Wertschätzung nichts verändert. Einen Artikel auf einer der rarer werdenden Zeitungsseiten gedruckt zu sehen, erfüllt mich mit mehr Zufriedenheit als einer von tausenden Links im Netz. Soweit die Eitelkeit und das wie gesagt vollkommen subjektive, emotionale Erleben der Autorin.

Ein Freudsches Missverständnis?

Eine nicht unerhebliche Anzahl von Kollegen hatte den Eindruck, ich nähme Online-Journalismus nicht für voll. Mehrere Online-Journalisten haben mir entrüstete Mails geschrieben. Unser Online-Chef warf mir Arroganz vor. Ich hatte mich nie damit beschäftigt, Print- und Onlinejounalismus zu trennen geschweige denn gegeneinander aufzuwiegen. Offenbar habe ich aber einen Nerv getroffen: Die einen ächteten mich, andere gratulierten mir zu meiner Einschätzung, die ja gar keine Einschätzung war. Ein äußerst online-affiner Kollege, den ich sehr schätze, titulierte mich als Holzfrau. Frau mit Wurzeln? Hat er wohl nicht gemeint. Ein anderer machte sich den Spaß, wann immer ich ihm über den Weg lief einen imaginären Hut zu ziehen: „Gestatten, mein Name ist Franz.“ „Verlogenes Pack, das sich so künstlich echauffiert: Jeder Spiegel-Online-Redakteur würde lieber beim Spiegel Magazin arbeiten!“ schrieb mir dagegen jemand. Das sei mal so dahingestellt. Ich jedenfalls wurde mit einem Mal zur Vorkämpferin in einem Krieg, von dem ich bis dato nicht gewusst hatte, dass er geführt wird. Was mich jedoch am meisten irritierte: Besonderen Anstoß nahmen meine "Gegner" daran, dass die vermeintliche Herabwürdigung von einer ausging, die Mitte zwanzig ist. „Solchen Unsinn kenne ich sonst nur von älteren Kollegen, die beschlossen haben, blind zu sein gegenüber der neuen Welt“, nahm ein Kollege auf mich in einer Rede bei einer Preisverleihung Bezug. „Ausgerechnet von einer jungen Frau, das darf doch nicht wahr sein“ wurde die Äußerung bei Twitter kommentiert.

"Ich mag das starre Format der Zeitung"

Manchmal nervt es, was die Menschen meinen, einem mitteilen zu müssen.
Manchmal nervt es, was die Menschen meinen, einem mitteilen zu müssen.

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Generation Facebook

Wieso schert es keinen, wenn die Fünfzigjährigen zuhauf über das Internet jammern, wenn aber eine Redakteurin das tut, die halb so alt ist, sind alle entsetzt? Es ärgert mich, dass viele zu glauben scheinen, als Angehörige meiner Generation müsse ich in Bits denken, mich von Apps ernähren, noch im Schlaf posten. Natürlich nutze ich das Internet. Und ich will es nicht missen! Ich recherchiere im Internet, ich shoppe im Internet (wunderbar! Kein Schlangestehen vor der Kasse!), ich kontaktiere meine Freunde via Facebook. Aber ich bin nicht 24 Stunden am Tag online. Ich will mit dem gleichen Recht offline leben wie meine älteren Kollegen. Und auch mal genervt sein dürfen von "der neuen Welt". "Vielleicht bin ich ein Spätzünder", habe ich einem Kritiker geantwortet. Das hat ihn milde gestimmt. Die ganze Wahrheit ist:

Ich verpasse 99 Prozent der Statusmeldungen meiner Kontakte. Das macht mir nichts! Ein Mitschnitt aus dem restlichen Prozent: J. steigt jetzt aus der Wanne, ehe er ganz verschrumpelt ist. M. freut sich auf die nächste Staffel Doctor’s Diary. S. sehnt sich nach Sonne. Dass die Hemmschwelle, Irrelevantes mitzuteilen, im Internet niedriger ist als andernorts, darüber ist schon viel geschrieben worden. Nein, ich fürchte nicht, den Anschluss zu verlieren, zu vereinsamen. Aber: Ich fürchte, es würde meine Beziehung zu einigen netten Menschen verschlechtern, wenn ich mir täglich reinzöge, was sie meinen, mir mitteilen zu müssen.

Ich besitze seit sechs Monaten ein Smartphone (ein abgelegtes), ohne mir auch nur eine App runtergeladen zu haben. Ich lehne das nicht kategorisch ab. Ich bin bloß noch nicht dazu gekommen. Immer war mir irgendetwas anderes wichtiger. Ich hole mir morgens auf nüchternen Magen die Zeitung hoch in den vierten Stock, obwohl ich bequem und kostenlos ein E-Paper haben könnte. Jetzt denken Sie: gleich schwärmt sie von dem „haptischen Erlebnis“ des Zeitungslesens. Der Grund ist simpler: Ich bin es Leid, auf die immer gleiche Art - am Display - zu konsumieren.

Ich mag das starre Format der Zeitung, ihre Übersichtlichkeit. Online ist da immer noch ein Link, der irgendwo hinführt, schreit: lies mich! Das macht mich nervös. Was jetzt ganz oben auf der Seite steht, muss noch lange nicht das aus Sicht der Redaktion wichtigste Thema sein. Vielleicht sind alle wichtigeren Themen nur schon oben gewesen. Alles dreht sich! Rein psychologisch tut mir das Zeitunglesen gut: Es gibt mir das befriedigende Gefühl, fertig zu werden.

Mut zur Lücke

Ich nehme es in Kauf, dass nicht alles, was passiert ist, mich sofort erreicht, manches gar nicht. Ich wähle die Zeitungen und Magazine aus, denen ich zutraue, dass sie das Wichtigste für mich aus dem Internet ausdrucken. Das muss man sich mal klarmachen: Diesen Service gibt es schon für etwas mehr als einen Euro am Tag! Es macht mich traurig, dass einige das Internet als Alibi nutzen. "Wir abonnieren keine Zeitung. Wir informieren uns online, da steht doch alles", sagen Freunde von mir. Aber sie informieren sich nicht. Sie leiten mir Videos von sprechenden Hunden weiter, aber sie haben vom arabischen Frühling kaum was mitbekommen.

Täglich auf dem Weg zur Arbeit ärgere ich mich über das Internet: Früher habe ich in der Bahn beobachtet, was die Fahrgäste lesen. Der mit der Bommelmütze blättert in der Konkurrenz, der junge Mann dort drüben ist vertieft in den kleinen Hobbit. Diese so voyeuristische wie inspirierende Beschäftigung fällt mehr und mehr weg, weil alle nur auf ihren Tablets herumwischen.

Ja: Ich wünsche ich mir ehrlich, dass Print überlebt. Damit bin ich sicher nicht repräsentativ für meinen Jahrgang, das weiß ich, aber hoffentlich auch nicht allein. Möchte mir jemand zustimmen, ein paar aufmunternde Worte schreiben? Für den Fall: Ich freue mich mehr über eine handschriftliche Weihnachtskarte, als über eine Rundmail, in der es singt und blinkt.

Ob diese Befindlichkeitsstudie den Erfolg hat, den sich unser Online-Chef davon verspricht, weiß ich nicht. Eine 24-Jährige, die sich pro Print äußert, das bietet ja fast so viel Reibungsfläche wie Henryk M. Broder, glaubt er wohl. Wenn mein Text auch nur halb so viele Klicks und Kommentare provoziert, hat er sich gelohnt. Dann ist die Online-Seele des Journalismus vielleicht ein bisschen versöhnt.

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