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Programmieren ist keine Zauberei.

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Programmieren für Kinder: Technik, die begeistert

Mathematik ist klar, Deutsch ist klar – aber JavaScript? Kinder lernen programmieren, freiwillig im Klub oder bald per Lehrplan in der Schule. In Deutschland ist es zwar noch die Ausnahme, im Ausland aber schon im Vormarsch.

Kugelrunde Augen hat der Hund, blau-weißes Fell, die Zunge hängt ihm aus dem geöffneten Maul. Sekundenlang hetzt er auf dem Bildschirm dem kleinen, grünen Fisch hinterher. Dann verschwinden die Flossen von der Bildfläche, das kläffende Comictier aber rennt weiter. „Das ist ein Fehler!“, bemerkt Mia Graf-Altiok. Im Konferenzraum eines Gemeinschaftsbüros im Berliner Stadtteil Gesundbrunnen sitzen sie und 50 weitere Kinder und Erwachsene vor ihren Laptops.

Ein Fehler im Programm. Es ist ihr Programm und ihre Idee. Neun Jahre ist das Mädchen erst alt, aber sie lernt bereits zu programmieren – in ihrer Freizeit. Ein Trainer hat ihr hier dabei geholfen, das Programm mit dem Hund und dem Fisch zu schreiben.

Dass Kinder im Grundschulalter programmieren lernen, ist in Deutschland noch eine Ausnahme. „Das fängt gerade erst an und schwappt aus dem internationalen Bereich zu uns rüber“, sagt Carsten Schulte, Professor für Didaktik der Informatik an der Freien Universität in Berlin. Nur schwer lässt sich ermitteln, inwieweit an deutschen Schulen bereits im Kindesalter programmiert werde, sagt Schulte. „Oft ist es die reine Bedienung von Tabellenkalkulationsprogrammen oder Präsentationssoftware. Es gibt aber auch Konzepte, bei denen ein Computer auseinandergenommen wird bis hin zu Programmierkursen.“

In Schulen anderer Länder programmieren Kinder bereits

Andere Länder sind bereits weiter. In Großbritannien steht von September 2014 an Programmieren auf dem Lehrplan der Grundschulen. In Estland wird bereits an einem Sechstel der Grundschulen programmiert. Die Tiger Leap Foundation liefert Unterrichtsmaterialien und bereitet Lehrer auf ihre neue Aufgabe vor. Die Stiftung wurde von der estländischen Regierung und privaten Trägern gegründet.

Bunt und knallig wie Cartoons kommen die Lernprogramme für Kinder oft daher. Die Auswahl im Internet ist erstaunlich groß und etwas unübersichtlich, viele Angebote sind kostenlos. Mia lernt mit Scratch. Die Programmierumgebung für Kinder wurde vom Massachusetts Institute of Technology entwickelt. Das Prinzip: Statt komplexe Befehlszeilen aus Buchstaben, Zahlen und Sonderzeichen mit kleinen Fingern mühsam in die Tastatur zu hacken, werden einfache Befehle als farbliche Blöcke mit der Computermaus in ein Feld gezogen. Kinderleicht. Begabte Programmierer werden die Kinder dadurch zwar noch nicht, aber sie lernen, wie ein Programm aufgebaut ist. Seit der Veröffentlichung von Scratch 2007 wurden fast eine halbe Million Projekte auf der Community-Seite online gestellt, sie ist in 61 Sprachen verfügbar: ein steuerbares Trampolin, auf dem eine Katze hüpft, ein gestaltbares Kaleidoskop, einfache Jump-and-Run-Spiele.

Programmieren ist keine Zauberei

Gebannt schauen Mia und ein anderes Mädchen auf den großformatigen Laptop. Sie spielen nicht. Mit konzentrierter Miene malen sie ungleichmäßig geschwungene Linien für ihr nächstes Projekt mit dem Mauszeiger in ein weißes Feld. Es motiviert, wenn andere Kinder dabei sind – und Erwachsene, die erklären können. Tiffany Conroy hat im vergangenen November in Berlin einen Programmierklub für Kinder zwischen fünf und 17 Jahren, einen sogenannten CoderDojo gegründet. „Die Kinder lernen bei diesen Treffen, das Programmieren Spaß sein kann, normal ist und keine Zauberei“, sagt die 35-jährige Programmiererin. Zudem bekämen sie ein Verständnis dafür, dass man Computern Anweisungen geben kann und diese vom Computer ausgeführt werden.

Die Idee zu CoderDojo stammt aus Irland, mittlerweile realisieren Kinder in Asien, Afrika, Australien, Nord- und Südamerika und Europa ihre eigenen Programmierprojekte. Die Arbeit für CoderDojo erfolgt ehrenamtlich, jeder kann einen Programmierklub ins Leben rufen – ohne entsprechende Kenntnisse. Die sind nicht notwendig, wohl aber andere Freiwillige, die den Kindern helfen können. In Deutschland gibt es CoderDojo seit Juni 2012, das erste Treffen fand in München statt, es folgten Klubs in Würzburg, Köln und seit November in Berlin.

Mia und ihre Eltern leben in Braunschweig. Einmal im Monat nehmen sie die zweieinhalbstündige Autofahrt nach Berlin in Kauf. Der Vater ist Netzwerkadministrator, die Mutter Buchhalterin. Ein Blog-Eintrag im Internet machte sie auf CoderDojo aufmerksam. „Das war als Papa-Tochter-Ausflug nach Berlin gedacht“, erklärt der 42-jährige Vater, „am Ende waren wir alle begeistert und Mia wollte wiederkommen und weitermachen.“ Sorge, dass Mia zu viel Zeit vor dem Rechner verbringt, haben die beiden bisher nicht: „Das hat sie gut im Blick“, sind sie sich einig.

In den USA kümmert sich die Stiftung Code.org um das Thema

Auch in den USA wird diskutiert, inwieweit Programmieren auf dem Stundenplan stehen sollte. Die Stiftung Code.org setzt sich dafür ein. Jeder Schüler sollte die Möglichkeit haben, programmieren zu lernen. Eine Herausforderung, denn in den USA sind die einzelnen Bundesstaaten für die Bildungspolitik zuständig. Daneben gibt es die vom Bundesstaat unabhängigen Schulbezirke, die über die Schulstufen entscheiden. In einem Video der Stiftung engagieren sich unter anderem Microsoft-Gründer Bill Gates, Präsident Barack Obama, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und die Sängerin Shakira.

Sollten Kinder nicht nur die Knöpfe bedienen können, sondern verstehen, wie die Technologien dahinter funktionieren, Programmieren zu einer Art Fremdsprache in Schulen werden? Französisch, Spanisch und JavaScript auf dem Lehrplan? Skeptiker fürchten, dass Kinder dann auch in der Freizeit noch mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen würden, statt draußen herumzutollen.

Das möchte auch Linda Liukas nicht. Sie hat „Hello Ruby“, ein Programmierbuch für Fünf- bis Siebenjährige geschrieben und über die Plattform Kickstarter.com finanziert. Ursprünglich als kleines Kunstprojekt mit einem Finanzierungsziel von 10 000 US-Dollar angedacht, wurde ihre Idee mit 380 747 Dollar unterstützt – dem 38-fachen Betrag. Ob Deutschland, Brasilien, Japan, Spanien: „Menschen von überall aus der Welt zeigen Interesse an meinem Projekt“, erzählt die 27-jährige Finnin.

JavaScript und Co. – Sprachen des 21. Jahrhunderts

Die Idee zu dem Buch kam Linda Liukas, die weder Informatik noch Illustration studiert hat, vor circa dreieinhalb Jahren, als sie sich selbst das Programmieren beibrachte. „Jedes Mal, wenn ich vor einem Problem stand, fragte ich mich: Wie würde ein kleines Mädchen das erklären?“ Heraus kam ein von ihr illustriertes Buch, eine Abenteuergeschichte über Ruby – einem klugen und frechen kleinen Mädchen mit feuerroten Haaren. „Das Buch ist als Gute-Nacht-Geschichte gedacht und soll Kinder und Eltern für die magische und kreative Welt der Computertechnologien begeistern“, erklärt Liukas.

Zusätzlich hat sie ein Lehrbuch zum „Kritzeln und Zeichnen“ konzipiert. Damit lernen Kinder die Grundlagen der Programmiersprache Ruby, bevor sie sich überhaupt vor einen Bildschirm setzen. Die Papierausgabe habe sie aus gutem Grund ausgewählt. „Wir verbringen so viel Zeit vor dem Bildschirm. Es ist wichtig, verantwortungsvoll zu sein, wenn man Kindern neue bildschirmbasierte Aktivitäten vorstellt.“

Das Buch war eine Herausforderung: An das Lernniveau von Fünf- bis Siebenjährigen angepasst und spannend genug, dass sie dranbleiben, sollte es sein. „Dazu muss man auch den Humor von Kindern verstehen, es war ein großer Lernprozess für mich.“ Als Sprachen des 21. Jahrhunderts bezeichnet Liukas Programmiersprachen wie JavaScript und Co. „Sie nehmen eine immer wichtigere Rolle in unserem Leben ein“, meint die Finnin, „dadurch wird es immer wichtiger, dass viele Leute sie zu nutzen wissen und nicht nur ein kleiner Teil der Gesellschaft.“

Sandra Rudel

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