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© DAVIDS/Darmer

Relaunch: Die Formatfrage

Für die Nachrichtenseiten des Internets zählt Aktualität – das gilt genauso für das Layout. Ein Vergleich führender Portale wie Spiegel.de, Stern.de und Zeit.de

Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern. Diese Erkenntnis gilt ohne Einschränkung für das Internet. Stärker noch als bei den gedruckten Nachrichten altern im Netz aber auch die Seiten selbst sehr schnell. Alle vier, fünf Jahren setzt das Design Staub an: Ein Relaunch muss her. Die reichweitenstarken Portale Stern.de, Spiegel.de und Zeit.de haben ihr Layout darum komplett überarbeitet, nicht zuletzt, weil der Erfolg der mobilen Netbook-Computer mit ihren kleineren Bildschirmen eine Anpassung nötig gemacht hat.

SPIEGEL.DE: ES LEBE DAS SCROLLRAD
Kaum hat Spiegel Online Mitte August seine Seiten neu gestaltet, brechen die Zahlen ein. Deutschlands bisher reichweitenstärkstes Newsportal verliert seine Spitzenposition an Bild.de. Das Portal der Boulevardzeitung erzielte 103,2 Millionen Besuche, während Spiegel Online nur 102,7 Millionen Besuche verzeichnete, was einem Minus von rund zehn Millionen Besuchen entspricht. Zwar ist der Rückgang nur zum Teil auf den Relaunch zurückzuführen, sondern vielmehr auf die vielen Wochenenden im August, denn das Portal wird überwiegend wochentags genutzt. Dennoch haben anscheinend einige Nutzer Schwierigkeiten, sich an das neue Design zu gewöhnen. Die Seite ist zwar breiter geworden, passt aber immer noch auf einen Netbook-Bildschirm. Doch ist auf der Startseite jetzt zumeist nur ein Thema auf den ersten Blick zu sehen, für alle anderen Themen muss stärker als sonst gescrollt werden. Einen besseren Überblick verschaffen dafür die Ressorts. Hier sind die Texte von links nach rechts gerutscht, alle Zusatzinfos wie Hintergrundtexte, Videos und Grafiken sind dafür nun in der linken Spalte gebündelt. In den Ressorts werden die Topthemen größer aufgezogen, die folgenden Artikel wirken mit kleineren Bildern teilweise aufeinandergequetscht. Insgesamt bleibt Spiegel Online an Unterhaltungswert, Informationstiefe und Akualität weiterhin eines der besten deutschsprachigen Newsportale. Sonja Pohlmann

STERN.DE: BILDSTARKE NACHRICHTEN
Stern.de hat sich mit dem Relaunch am 8. August gleich eine neue Vision mit auf den Weg gegeben: Stern.de sei eine „Antwortmaschine“ von Menschen für Menschen. „Das wird Sie interessieren“, so der Kampagnenslogan. Alle Nachrichten sollen auf ihre Bedeutung für den Nutzer fokussiert werden. Dieser Anspruch unterscheidet den Netzauftritt der „Gruner + Jahr“-Zeitschrift von den anderen Nachrichtenportalen, wird aber nur bedingt eingelöst. Auch bei stern.de wird das wichtigste Thema oben auf der Seite multimedial aufbereitet, samt Web-TV-Kolumne von Hans-Ulrich Jörges. Politik- und Wahl-Verdrossene dürfen gleich weiter scrollen in der Online-Wundertüte. Stern.de ist und bleibt neben Bild.de die bildstärkste Nachrichtensite: Barbara Beckers Hochzeit, ein „unmoralisches Angebot für George Clooney“ und der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan gleichgewichtig nebeneinander, dazu Leserservice, die unvermeidlichen Gastarife und Gehaltsrechner, und das hat dann vielleicht wirklich Bedeutung für den User. Bei allem Unterhaltungswert – auf 54 Themen kommt die erste Seite, plus Newsticker, das ist des Informativen eher zuviel. Vor dem Relaunch wirkte die Seite aufgeräumter. Genutzt hat der bislang auch nichts: 14,9 Prozent der Juli-Besuche gingen Stern.de laut IVW im August verloren, ein herbes Minus. Markus Ehrenberg

ZEIT.DE: FORUM STATT NEWSTICKER
Bei der Webseite des Wochenmagazins „Zeit“ liegt der Relaunch gerade einmal sieben Tage zurück. Die Texte lesefreundlicher gestalten, opulentere Bilderstrecken und verbesserte Community-Funktionen, das waren für Zeit-Online-Chef Wolfgang Blau die entscheidenden Stellen von Zeit.de, an denen ein Jahr lang gearbeitet wurde. Die auffälligste Änderung betrifft das Format. Durch eine variable Seitenautomatik bekommen selbst die besonders agilen Netbook-Besitzer die Texte im Vollformat auf den Schirm. Von den Webseiten, deren gedruckte Ausgaben nur einmal wöchentlich erscheinen, bleibt die Zeit-Webseite näher als andere am Mutterblatt. Ein Newsticker ist Zeit.de nicht, trotz tagesaktueller Themensetzung und Beiträgen vom Tagesspiegel, der wie die Zeit zur Holtzbrinck-Gruppe gehört. Analyse geht bei Zeit.de vor, begleitet von der Diskussion der Nutzer. Als nach dem Relaunch einige Community-Funktionen kurzzeitig nicht zur Verfügung standen, war das Forum verständlicherweise in hellem Aufruhr. Die IVW-Abrufzahlen für August haben indes keinerlei Aussagekraft, wie die Neugestaltung beim Publikum ankommt. Dafür ist der Relaunch noch zu frisch. Mit 10,3 Millionen Besuchen liegt das Hamburger Wochenmagazin derzeit auf Platz neun der deutschen Nachrichtenportale. Das Minus von sechs Prozent bei den Visits passt ins allgemeine Bild. Eine opulentere Optik erlaubt das neue Layout indes nicht nur bei den sehenswerten Bilderstrecken, auch Anzeigen sind nun im XXL-Breitformat möglich. Kurt Sagatz

BILD.DE: NACKTE WAHRHEITEN
Bild.de bietet eine geringe Informationsdichte, bedient aber erfolgreich eine Klientel, die schnelle und kurze Berichte will. Im August 2009 konnte das Portal erstmals mehr Besuche verzeichnen als Spiegel Online. Grund hierfür dürfte nicht nur der Spiegel-Relaunch sein – bei solchen Veränderungen gibt es fast immer Einbußen –, sondern auch die üppige Präsenz nackter Haut. Wer Hintergründe, Analysen oder lesenswerte User-Debatten sucht, ist bei Bild.de falsch. Ein großes Plus in der Darstellung ist der rasche Seitenaufbau. Die daraus resultierende schnelle Navigation lädt zum vielen Hin- und Herklicken ein. Hinter der Flut an Bildern und Videos verbirgt sich auch viel leichte Kost, Marke: „Hält China den endgültigen UFO-Beweis zurück?“ Schlecht platziert ist zudem die Werbung – sie lässt sich nicht immer von redaktionellem Inhalt unterscheiden. Stefan Niggemeier, Betreiber des „Bildblogs“, behauptete allerdings, dies sei Absicht bei Bild.de. Eine zukunftsträchtige Innovation ist die Verknüpfung der Bild-Community mit dem sozialen Netzwerk Facebook. Der Nutzer besitzt die Möglichkeit, mit seinem Facebook-Account ohne Umwege Artikel bei Bild.de zu kommentieren und Multimedia-Inhalte hochzuladen. Diese Aktivitäten werden dann in Facebook-Manier den befreundeten Usern präsentiert. Ein Zehn-Zoll-Netbook stellt für die recht schmale Ansicht kein Problem dar. Unter der neun Seiten langen Homepage leiden dagegen die Übersicht – und das häufig benutzte Scrollrad der Maus. Wer zu Bild.de geht, bekommt das, was er erwartet. Puren Boulevard. Klicken auf eigene Gefahr. Atila Altun

NEW YORK TIMES UND GUARDIAN: VON DER MASSE ERSCHLAGEN
NewYorkTimes.com ist die meistbesuchte Online-Zeitung der Welt – den Markforschern von Comscore zufolge zog sie allein im Juli 45 Millionen Besucher an, die dann für ein Vielfaches an Besuchen stehen. Doch neue Nutzer finden sich nicht schnell zurecht: Etwa 100 Schlagzeilen und Überschriften tummeln sich allein auf der Startseite.  Der Relaunch 2006 war behutsam, die Seite erinnert immer noch an eine sechsspaltige Zeitungsseite. Auch die Onlineversion des britischen Qualitätsblattes „The Guardian“, mit ihren Blogs stilprägend für viele Medien, setzt auf Kleinteiligkeit. Farbige Balken erleichtern jedoch seit dem schrittweisen Relaunch ab 2006 ein wenig die Orientierung. „Fortschritte bei Web-Browsern und Bildschirmen erlauben besser lesbare Texte, größere und bessere Fotos sowie mehr Videos“, bloggte damals Guardian-Kreativchef Mark Porter. NYTimes.com setzt auf mehrere Startseiten, eine für US-Nutzer und eine „Global Edition“ – bis März noch die Seite des Schwesterblatts „International Herald Tribune“. Unter „Times Extra“ werden auch Inhalte anderer Seiten und Blogs angezeigt – der Trend geht zum Webportal. Dazu passt die Suchmaschine für das Times-Archiv, die aussieht wie Google. Guardian.co.uk baut auf Community- und Kommentar-Sektionen für Leser. Beide Seiten haben links und rechts weiße Ränder, damit kleinere Bildschirme keine Inhalte abschneiden. Leider gibt es kaum Spiele oder Live-Inhalte. Dominik Bardow

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