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Offenherzig: "Bild"-Chef Kai Diekmann weiß sich zu inszenieren, digital wie analog. Hier umarmt ihn Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) bei einem der vielen Politikerbesuche bei Springers in Silicon Valley. Auch aus dem Foto wurde unausweichlich Kult im Netz.

© dpa

Vom Netz genommen (16): Mehr Transparenz wagen!?

Die "SZ" legt Onlinezahlen offen, ein bayerischer Chefredakteur ist brutal ehrlich und der "Bild"-Chef rät zu Blogs über redaktionellen Umbau. Journalisten entdecken Transparenz auch für ihre eigene Arbeit. Die Frage ist: Interessiert das die Leser? Diskutieren Sie mit!

Von Markus Hesselmann

Kai Diekmann hat den eigenen Umbau schon geschafft: vom Boulevard-Buhmann zum Helden der Netzwelt. Wenn schon nicht digital native, dann wenigstens nicht mehr digital naive wie so viele andere Medien-Protagonisten in Deutschland. Ein Haarwasser-, Schuh- und Oberbekleidungswechsel sowie eine kalifornische Hospitanz reichen, um jetzt ganz vorn zu sein. Der Springer-Verlag schafft es jedenfalls mit seiner digitalen Offensive und deren Galionsfigur, "Bild"-Chef Diekmann, seine einst eher als staubig und rückständig geltenden Marken im Internet freizupusten. Die aktuellen Bezahlschranken-Vorstöße machen sogar einen Berufslinken wie Jakob Augstein zum Springerfan. Dafür Respekt. Und dazu die Ahnung, dass die Springersche Konkurrenz noch gar nicht weiß, was dieser Imagewandel für sie bedeutet...

In Turnschuhen erscheint der einst glatt und abgehoben wirkende Diekmann auf einmal nahbar, jovial, offen. Als Twitterer, also ohne den ganzen redaktionellen Apparat davor und dahinter, trägt er Spontanes und Spannendes bei. Etwa einen Tweet, den der "Bild"-Chef diese Woche absetzte, der aber im Promi-Gewimmel rund um die Springer-Repräsentanz im Silicon Valley - toll, jetzt kommt auch noch Hannelore Kraft! - fast unterging: Darin fordert Diekmann, lektüre-unterfüttert durch einen Beitrag des Medienexperten Steve Buttry, dass mehr Chefredakteure bloggen. Und zwar über die digital befeuerte Umstrukturierung in ihren Redaktionen. "Bloggen bestärkt die Transparenzkultur, die wichtig ist für Sie und Ihre Community", schreibt Buttry in dem von Diekmann verlinkten Text.

Bei Tagesspiegel.de sind diese Kolumne hier (alle Folgen siehe rechts) oder auch unser täglicher, persönlich gehaltener Newsletter Unternehmungen in diese Richtung, die wir gern noch ausbauen. Die ehrliche, entscheidende Frage aber ist: Interessiert Sie das alles eigentlich, liebe Leserinnen, liebe Leser?

Das Transparenz-Portfolio wird derweil breiter: "Süddeutsche.de" legt jetzt auf der eigenen Homepage Live-Zugriffszahlen offen. Es ist nun jederzeit zu erkennen, welche drei Beiträge gerade am meisten und von wie vielen Lesern aufgerufen werden. Auch auf die Gefahr hin, dass diese Zahlen womöglich enttäuschend klein wirken. Das im Hausblog mit dem üblichen Innovationsgetöse angekündigte Infotool, wurde prompt vom Branchendienst "Meedia" als "Gimmick" verspottet. Doch vielleicht ist es mehr als das. Vielleicht schafft es ein Gefühl für Community, zu erfahren, was auch andere gerade in dem Moment interessiert. Vielleicht bringt es ein bisschen von der Fokussierung zurück, die durch das interaktive, dezentrale Netz zersplittert und zerstreut wurde. Was meinen Sie?

Fast schon brutal transparent ging unterdessen der Chefredakteur des Nordbayerischen Kuriers, Joachim Braun, in seinem Blog vor. Ein überaus ehrlicher Eintrag zu einem misslungenen Versuch seines Verlages, die Nähe der Leser zu suchen, erregte einiges Aufsehen im Netz und wurde nicht zuletzt vom Bayerischen Journalisten-Verband euphorisch weiterverbreitet. Auch die "Spiegel"-interne, aber öffentlich geführte Auseinandersetzung zwischen Thomas Tuma und Annette Bruhns um "Pro Quote" ist ein Beispiel für Transparenz, die sich für Beteiligte und Beobachter auch schon mal unangenehm anfühlen kann.

P.S.: Die fünf meistgelesenen Texte der vergangenen sieben Tage auf Tagesspiegel.de: Internationale Presseschau zum Champions-League-Finale (64.840 Aufrufe), unser Live-Blog zum Champions-League-Finale (39.512), Stephan Wiehlers persönlicher Beitrag über Anti-Gentrifizierer in Berlin (25.042) Nachruf auf Hildegard Krekel, (22.595), Gerichtsbericht zum Prozess um die Tötung von Jonny K. am Alexanderplatz (19.914).

Und jetzt sind Sie wieder dran, liebe Leserinnen, liebe Leser. Was meinen Sie? "Mehr Transparenz wagen" - sollten wir Journalisten uns stärker an die an Willy Brandt angelehnte Forderung des US-Internetexperten Jeff Jarvis halten? Wollen Sie mehr Einblick in unsere Arbeit? Mehr darüber wissen, wie unsere Zeitung, unsere Internet-Seite und unsere Social-Media-Auftritte produziert werden? Nehmen Sie Anteil am Medienwandel im Allgemeinen und interessiert Sie die digitale Umstrukturierung in unserer Redaktion im Besonderen? Gefällt Ihnen, wie wir unsere Arbeit machen, in der gedruckten Ausgabe, auf Tagesspiegel.de, bei der Moderation unserer Lesercommunity, mit unseren Auftritten in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und Google+? Was gefällt Ihnen daran, was gefällt Ihnen nicht? Kommentieren und diskutieren Sie mit. Bitte nutzen Sie dazu die einfach zu bedienende Kommentarfunktion etwas weiter unten auf dieser Seite.

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