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Wii-Fit: Der zu lange Weg zum besseren Ich

Wer spielt, will sich selbst vergessen. Neue Fitnessspiele aber sollen bei der Selbstoptimierung helfen, nicht bei der Realitätsflucht. Glücklich macht das nicht.

Nun also sollen Computerspiele nicht mehr nur unterhaltsamen Zwecken dienen, sondern auch fit und klug machen. Solange die Spielfigur ein putziges, comicartiges Männchen ist wie bei Wii Sports Resort, und man durch Wuhu Island tobt, um Bogenschießen zu lernen oder Jetboot zu fahren, mag das noch in Ordnung gehen.

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Ernster mit dem körperlichen Training meint es da schon Ubisoft mit seinem Spiel New U, das diesen Monat auf den Markt kommt. Der Spiele-Hersteller hat sich mit der Sportkette Fitness First verbündet, um Spielern auf den schlaffen Pelz zu rücken: "New U bringt einen gesunden und dynamischen Lebensstil direkt Ihr Wohnzimmer!", verspricht man. Der Nutzer soll nicht weniger tun als sein "altes Ich hinter sich lassen und ein neues, gesundes Leben führen". 

Nintendo hat es mit der Wii und mit einfachen und seriöseren Games geschafft, größere Bevölkerungsschichten an das Medium Computerspiele heranzuführen. Und gesünder ist es vermutlich auch, dabei ein bisschen im Wohnzimmer herumzukaspern, statt nur vor dem Controller zu hängen, Pizza und Chips womöglich in Greifnähe. Aber Realitätsflucht war bislang ein konstituierender Moment von Computerspielen. Gleichzeitig war sie eine umstrittene Begleiterscheinung von Medien und Kunst, oft kritisiert, gering geschätzt; aber dennoch unverzichtbar für jede funktionierende Gesellschaft. Während die ältere Generation Fernsehen oder Bücher nutzt, um sich gelegentlich aus der Realität zu lüpfen, spielt die jüngere Generation dazu in der Mehrzahl am Computer.

Diesen Eskapismus aber bieten die neuen Fitness- und Gesundheitsspiele nicht mehr. In dem Trend will Guardian-Blogger Keith Stuart gar schon einen Hinweis auf den der Pop-Kultur latent innewohnenden Körperfaschismus sehen. Auf jeden Fall passen die Angebote wunderbar zum postmodernen Hang permanenter Selbstoptimierung.

Mii nennt sich das Spielerprofil in der Wii, wenn es der eigenen Person ähnlich sieht. Reggie Fils-Aime, die Amerika-Chefin von Nintendo, hat vor der Veröffentlichung von Wii Fit in den USA zugegeben, dass sie durchaus "mit negativem Feedback rechne". Schließlich bescheinigt die Konsole ihrem Käufer bei der Profilerstellung im Zweifel, dass er zu fett ist. Und auch der Mii präsentiert sich als pummelig geratenes Kerlchen, wenn man ihn mit den eigenen, übergewichtigen Daten gefüttert hat. Georg Valtin, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsstuhl Mediennutzung der Universität Chemnitz, betont allerdings, dass die Grafikqualität und die Möglichkeiten der Gestaltung des Mii bislang vergleichsweise beschränkt seien. "Das ist der 'schwachen' Technik der Wii geschuldet", sagt Valtin. Noch, muss man sagen.

Regelrecht bedrohlich werden die Möglichkeiten der Selbstdarstellung, wenn man diesen Spielansatz mit weiteren technischen Steuermöglichkeiten kombiniert. So ist Medienforscher Valtin kritisch, was Natal von Microsoft und Sonys Motion Technology dem Spielspaß antun könnten. "Gerade bei Natal sind wir skeptisch, da der Einsatz des ganzen Körpers als Controller den Unterhaltungswert des Spielens nicht in jedem Fall steigert", sagt er. Dafür aber wachsen die Möglichkeiten, den eigenen Körper und dessen Defizite im Spiel präsentiert zu bekommen.

Doch wir sehen erst den Anfang der Woge. Zur Weihnachtszeit schmeißt Ubisoft den Titel Your Shape hinterher. Bei diesem liegt eine Kamera mit im Karton, die einen "kompletten Körper-Scan" durchführt, wie der Hersteller verkündet. Sie "erstellt eine persönliche Diagnose und ermöglicht die Erstellung individualisierter Trainingspläne mit detaillierten Kontrollmöglichkeiten".

Kontrolle und Körper-Scan? Im weitesten Sinne lasse sich das noch als Computerspiel definieren, sagt Valtin. "Wenn man es denn nutzt, weil man Spaß dabei hat." Wenn man es aber als Trainingsprogramm einsetzte, um fit zu werden, dann erfülle es nicht mehr die Funktion eines Spiels. Grundprinzip des Spielspaßes ist es, Knöpfe zu drücken und Aufgaben zu meistern, um so ein Erfolgserlebnis zu haben. Unterhaltsames, auch einmal gänzlich zweckfreies Spiel aber ist nicht mehr möglich, wenn das Erfolgserlebnis so lange auf sich warten lässt, wie es eben dauert, bis die Waage im Badezimmer sich nach unten bewegt.

Schon bei vielen gängigen Titeln ist oft die Klage zu hören, dass sie regelrecht in Arbeit ausarten, weil sie zu kompliziert sind und Erfolgserlebnisse zu lange auf sich warten lassen, da es hundert Anläufe braucht, um in den nächsten Level vorzurücken. Von Davide Jaffe, dem Erfinder des oft gefeierten Spieles God of War ist das Zitat überliefert: "Ich will von meinem Spiel nicht herausgefordert werden –, hier sind meine 60 Dollar, unterhalte mich oder lass mich in Ruhe." Wie groß ist die Unterhaltungsbremse gar, wenn sich der gewünschte Erfolg in der Realität nicht einstellt, wenn der Zeiger auf der Waage hartnäckig behauptet, man wäre zu schwer für diese Welt?

Noch scheinen die Verkaufserlöse dem japanischen Hersteller allerdings Recht zu geben. Nach den Erfolgen von Wii Fit und Wii Sports ging jetzt auch die neue Folge Wii Sports Resort im ersten Monat nach dem Verkaufsstart mehr als eine Million Mal über die europäische Ladentheken. Wenig bekannt ist indes darüber, wie lange die Sportwilligen tatsächlich am Ball bleiben. Auch Rudergeräte und Bauchweg-Gürtel werden gerne gekauft – aber selten benutzt.

Ein beruhigendes Anzeichen liefert die Teilnahme von Fitness First an der Produktion des Ubisoft-Titels New U. Schließlich wären es doch eigentlich die Fitnessstudios, die am meisten Umsatzeinbrüche zu fürchten hätten, würden die Menschen tatsächlich in ihren Wohnzimmern bleiben, um ihre Körper zu optimieren. Aber sie scheinen zu ahnen, dass es den Spielen so ergehen wird wie den Heimtrainern. Die meisten fristen nach kurzer Zeit ein Dasein als Staubfänger.

Trotzdem könnte die Spielewelt von diesen Titeln profitieren. Wenn Wii Fit nämlich als Einstiegsdroge funktioniert, um beim Käufer Interesse an Weiteren zu nähren. Zu genießen in völliger Selbstvergessenheit und mit Tüten von Chips auf dem Sofa, versteht sich.

Tina Klopp

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