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Unverschämter Propagandacoup.  Berlins Polizeichef Wolf-Heinrich Graf von Helldorf (Gotthard Lange, links) im Olympischen Dorf.

© WDR/Martin Valentin Menke

Doku-Drama "Traum von Olympia": Flohzirkus vor dem Inferno

Ein unverschämter, aber leider ziemlich erfolgreicher Propagandacoup: Das Doku-Drama „Traum von Olympia“ beschäftigt sich mit den Nazi-Spielen 1936 in Berlin.

Der Diktator veranlasste, dass Deutschland aus dem Völkerbund austrat. Seine noch schwache Wehrmacht war vertragswidrig ins entmilitarisierte Rheinland einmarschiert. Juden wurden zunehmend diskriminiert, Rassismus in Nürnberg zum Rechtsinstitut erhoben. Da drückte Hitler auf die Stopptaste: Olympiade in Berlin. Kurze Pause auf dem Marsch in den Weltkrieg.

Flötentöne vor dem großen Totentanz. Die Nazibonzen warfen den Schafspelz über. Märchenstunde Olympia, Kreide statt Krakeelen. Hitler schaute landesväterlich milde. Nur wenn der minderwertige „Neger“ Jesse Owens siegte (viermal schaffte das der schwarze US-Leichtathlet) und das jubelnde Publikum unbotmäßig Klasse über Rasse stellte, verlor der Diktator die diplomatische Contenance und vibrierte nervös mit eingeschnappter Miene.

Die auf die Führerloge gerichteten Filmkameras entlarvten ungewollt einen kindischen Mann, der aus ideologischer Verblendung nicht begreifen wollte, was das Wesen des Sports und seiner Siege ist: kein Ergebnis des fanatischen Willens, sondern des Könnens. Eigentlich hassten die Nazis die Olympische Bewegung: zu internationalistisch, zu „rasselos“, zu pazifistisch.

Hitlers Getreue wollten keine sportlichen Ersatzkriege, sie wollten richtige Kriege. Goebbels spottete in seinem Tagebuch über den Frack tragenden Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, Henri de Baillet-Latour: „Die Olympier sehen aus wie Direktoren von Flohzirkussen“.

Doch der Erste-Weltkrieg-Offizier Carl Diem hatte während der zwanziger Jahre im Flohzirkus Funktionärskarriere gemacht und die Chance eröffnet, die Olympiade nach Berlin zu holen. Hitler griff zu. Ein Auftritt auf der Weltbühne schmeichelte ihm, der Terror im eigenen Reich ließ sich camouflieren. Im Vertuschen sind Diktatoren bis heute Meister.

Alle scheinen auf der Flucht in eine sorglosere Welt

Das Doku-Drama „Der Traum von Olympia – Die Nazi-Spiele von 1936“ (Buch: Florian Huber, Regie: Mira Thiel, Florian Huber) zeigt den unverschämten, aber leider ziemlich erfolgreichen Propagandacoup. Vor allem wegen seiner historischen Aufnahmen ist das sehenswert. Produzent Spiegel TV vermag es gut, sich im braunen Louvre von Nazi-Propaganda-Filmen umsichtig zu bedienen.

Es wurde alles herausgeholt, was es zum Thema Olympia 1936 in einer Doku-Fiktion mit propagandistischen Originalaufnahmen zu illustrieren gibt. Ein entlarvender Bilderbogen, der vom Leni-Riefenstahl-Pathos bis hinein in das Spießertum des gewöhnlichen Faschismus reicht.

Alle scheinen auf der Flucht in eine sorglosere Welt und verdrängen, dass sie längst untergegangen ist. „Juden unerwünscht“-Schilder sind abgeschraubt, die „Zigeuner“ aus der Stadt vertrieben, Hakenkreuzfahnen flattern neben Olympischen Ringen. Der Führer steht auf der Potemkin-Bühne, sein Volk applaudiert, das Ausland lässt sich täuschen, der Terror geht weiter.

Das zu zeigen, braucht die Doku einen fiktiven Kern, eine Erzählung, die die lügnerische Bilderpracht der Propagandafilme konterkariert. Hier beweist die Produktion ein nicht so sicheres Händchen wie beim Aufbau des historischen Panoramas. Der Lebenslauf zweier Menschen wird geschildert, die das Olympia-Glück verpassen. Der eine heißt Wolfgang Fürstner (Simon Schwarz) und hat seine nicht-arischen Flecken im Stammbaum vollkommen verdrängt. Der Erste-Weltkrieg-Hauptmann ist ein deutsch-nationaler Hitlerbegeisterter und Vertrauter des Olympia-Funktionärs Diem.

Fürstner hat sich in der Wehrmacht bei der Organisation von sportlichen Soldatenwettspielen mit Granatenweitwurf und Turmspringen in Uniform bewährt. Die Olympiade in Berlin hat ihm, dem zum Leidwesen seiner ehrgeizigen Frau eigentlich erfolglosen Mann, die Chance seines Lebens eröffnet. Er ist zum Kommandanten des Olympischen Dorfes ernannt worden. Er begleitet den von der Wehrmacht verantworteten Aufbau des Camps für Athleten aus aller Welt.

Das Dorf soll keine muffige Kaserne werden, kein umzäuntes Männerlager voller Hakenkreuz-Aufpasser, sondern ein Symbol deutscher Gastfreundschaft. Zwar ohne Frauen und Alkohol, aber von, wie wir heute sagen würden, ökologischer Eleganz mit steinernen Pavillons verstreut unter Bäumen, mit einem künstlichen See, in den man Schwäne eingesetzt hat.

Ein weltweit gefeierter Erfolg. Die Aufnahmen des NS-Fernsehens zeigen entspannte junge Kerle, die sich körperbewusst auf Sonnenliegen fläzen, einen Ort für ungedrillte Jugendlichkeit, ein Dorn im Auge der NS-Überwacher.

Die Sportlerin wird zerrieben von einer deutschen Verbandswelt

Die werden Rache an dem olympiabegeisterten Streber Fürstner nehmen, der gar nicht begreift, wie er, der gehorsame Führerdiener, von seinem Förderer Diem unolympisch unfair fallen gelassen und letztlich in den Selbstmord getrieben wird. Der Fürstner-Figur wird das Schicksal der jüdischen Hochspringerin Gretel Bergmann (schön zornig gespielt von der Vicky-Leandros-Tochter Sandra von Ruffin) gegenübergestellt.

Die Sportlerin wird zerrieben von einer deutschen Verbandswelt, die zum Geist der Hitlerschen Judendiskriminierung übergeht, aber gleichzeitig auf keine Deutsche Goldmedaillen-Chance verzichten will. Gretel Bergmann emigriert nach England, lässt sich um ihrer in Deutschland lebenden Familie willen mit einer Berufung in einen Olympiakurs zur Rückkehr locken. Eine Gemeinheit sondergleichen.

Die Aufstellung für den olympischen Hochsprungwettbewerb wird ihr am Ende doch verweigert, ihre Hoffnung, dass ein Star wie Owens ihre Diskriminierung anprangern würde, zerschlägt sich. Nichts passiert. Und als die jüdische Fechterin Helene Mayer, Silber-Gewinnerin für Deutschland, bei der Siegerehrung den Hitlergruß zeigt, verzweifelt Gretel vollends, wandert in die USA aus.

Besonders die Verzweiflungsgeschichte des am Ende degradierten Olympiadorfschulzen Fürstner wirkt überanstrengt. Die Figur erzählt, so beginnt der Film, aus dem Jenseits: „Das bin ich. Nein, das war ich.“ Die Leiche Fürstners treibt in Galauniform kurz nach dem Ende der Spiele im See des Olympischen Dorfs. Ein Selbstmörder erzählt sein Leben, und, als wäre das nicht genug, spricht er in den Spielszenen zum Zuschauer in die Kamera, ohne je mehr zu sagen als das, was der Zuschauer längst begriffen hat.

Er bleibt trotz aller solcher Verfremdungskünste ein eigentlich uninteressantes armes Würstchen, Spielball seiner ehrgeizigen Gattin. Wer das schummrige Zwielicht miterleben will, das zwischen den Illusionen von einer vielleicht doch noch in die westliche Zivilisation zurückfindenden Diktatur und der Wolfsrealität des Regimes entsteht, dem sei Oliver Hilmes’ Buch „Berlin 1936 – Sechzehn Tage im August“ empfohlen. Ein nicht ganz unsentimentaler Abschiedsspaziergang durch ein Berlin, in dem die Goldenen Jahre noch einmal aufleuchten, bis der August direkt in den schrecklichen Winter übergeht.

„Der Traum von Olympia. Die Nazi-Spiele von 1936.“ Samstag, Arte, 20 Uhr 15. Montag, ARD, 21 Uhr 45.

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