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Familienpatriarch. Bundeskanzler Konrad Adenauer (Joachim Bißmeier) und seine Tochter Elisabeth, genannt Libeth (Ina Wagner).

© SWR

Doku-Drama über Konrad Adenauer: Der Alte

Die Leistungen Konrad Adenauers sind ebenso unbestritten wie seine Fehler und Fehleinschätzungen. Jetzt widmet sich ein Doku-Drama dem Leben des Bundeskanzlers und zeigt ihn als einsamen Staatenlenker. Sein unwürdiger Abstieg wird in dem Film allerdings verschleiert.

Wer es je in der Realität gehört hat, dem geht es nicht mehr aus dem Ohr, wie Konrad Adenauer von den „Soffjetts“ sprach und von „Soffjettrussland“. Was die Intonation angeht, dieses Honoratioren-Rheinisch, ist Joachim Bißmeier eine gute Wahl, den „Alten" zu spielen, in der Doku-Fiction „Konrad Adenauer. Stunden der Entscheidung“ von Stefan Schneider (Regie) und Werner Biermann (Buch), eine Produktion von SWR, WDR und Arte.

Was die Person im Ganzen angeht, die physische Präsenz, dürfte es schwer, ja unmöglich sein, einen Schauspieler zu finden, der dieser Rolle gewachsen wäre. Überzeugend ist Bißmeier als Strickjackenpensionär, den Adenauer während der Nazizeit gezwungenermaßen abgab. Den Machtmenschen, als der Adenauer im Alter von 73 Jahren zum ersten Bundeskanzler aufstieg und es 14 Jahre lang blieb, den Strategen der unbedingten Westbindung der jungen Bundesrepublik um den Preis der nationalen Einheit – den glaubhaft zu machen, übersteigt die Möglichkeiten dieses Films.

Die „Stunden der Entscheidung“ beginnen mit dem 13. August 1961, dem Anruf beim Kanzler, sonntags um sechs Uhr früh, dass Berlin abgeriegelt werde, dann seinem Eintreffen im Kanzleramt im Bonner Palais Schaumburg – und dem Satz „Ich bin nicht zu sprechen, Herr Globke – für niemanden“. Franz Josef Strauß (gespielt von Bernhard Ulrich), damals Bundesverteidigungsminister, ruft aus München an und reagiert entsetzt: „Ja, seid’s ihr denn komplett narrisch?“ Und dann klingelt auch noch Rudolf Augstein (Johannes Zirner) und wird von Kanzleramtschef Globke abgewimmelt. „Jetzt kriegen wir die Quittung für zwölf Jahre falsche Politik“, tönt der gefürchtete „Spiegel“-Chef: „Der Alte muss weg!“

Das hätte nun ein Kammerspiel werden können, mit Adenauer, der um des Wahlkampfes zur anstehenden Bundestagswahl willen nicht nach Berlin fliegen will, mit seinem Hofstaat, der den Starrsinn des „Alten“ nicht ändern kann; wo es zuging „wie im Taubenschlag“, wie sich Adenauers Sekretärin erinnert. Stattdessen holt der Film aus, und statt der „Stunden der Entscheidung“ wird die ganze Biografie erzählt, vom Kölner Oberbürgermeisteramt von 1917 bis 1933 und der Fehleinschätzung der Nazis – „Dieser Hitler ist in spätestens sechs Monaten am Ende“ – über die ruhigen, familiären Jahre im inneren Exil in Rhöndorf, die kurzzeitige Verhaftung nach dem 20. Juli 1944 und unmittelbar nach Kriegsende die erneute OB-Amtszeit, die nach wenigen Monaten von einem hochfahrenden Offizier der Briten beendet wird.

Lange Zeit hat es den Anschein, als erfülle sich der Film in dieser Rückblende, so breit wird das ausgespielt, was wohl auch dem Umstand geschuldet ist, dass als wichtigste Zeitzeugen die beiden Adenauer-Kinder, die wunderbar präsente Libet Werhahn (geboren 1928) – Stichwort „rheinischer Kapitalismus“! – und der jüngste Sohn Georg (geboren 1931), über den Familienpatriarchen Konrad Adenauer erzählen dürfen. Was demgegenüber jüngere Historiker wie der in Potsdam lehrende Frank Bösch, der sich einzig in seiner Dissertation von 2001 mit der „Adenauer-CDU“ beschäftigt hat, zu sagen haben, fügt dem Bekannten kein Jota hinzu. Hans-Peter Schwarz, den Adenauer-Biografen, den Kenner schlechthin, erwartet man vergeblich.

Ja, was will der Film mitteilen – Persönliches oder Politisches? Die Politik wird auf die Perspektive des Rhöndorfer Privatiers verengt; doch zugleich sollen historische Fernziele glaubhaft werden, am Schluss des Films die Aussöhnung mit Frankreich, zelebriert in der Kathedrale von Reims. Dass Adenauer damit einen jahrelangen, lähmenden Streit zwischen „Atlantikern“ und „Gaullisten“ heraufbeschwor, findet ebenso wenig Erwähnung wie der Umstand, dass bereits 1957 mit den Römischen Verträgen das vereinte Europa Gestalt anzunehmen begann.

Zum Kanzlerkandidaten der CDU wird Adenauer, weil er die Granden der Partei in seinem Rhöndorfer Haus üppig bewirtet. So wird es breit ausgespielt. Dass Adenauer anfangs mitnichten der große Zampano der eben begründeten CDU war – geschenkt. Dieser Film erzählt aus der Sicht des Siegers. Adenauers größte Leistung ist die Heimholung der letzten 10 000 Kriegsgefangenen aus „Soffjettrussland“ 1955, ganz allein auf die mündliche Zusage Bulganins hin, weil sich die sowjetische Seite auf keinen Vertrag einlassen will. Das ist das Adenauer-Bild, das der Film zeichnet: der einsame Staatenlenker, turmhoch über den Kleinmütigen, die ihn in Bonn umgeben, unter denen allein Strauß – „Ich will die neue Wehrmacht aufbauen!“ – herausragt.

Dem Wahltriumph von 1957 folgt ein schrittweiser Abstieg, den der Film nicht recht wahrhaben will. Das unwürdige Spiel um die Bundespräsidentenkandidatur 1959 wird gleich ganz ausgelassen. Adenauer klebt jetzt am Amt, macht seinen jahrelang im Wartestand verharrenden Nachfolger Erhard madig und versagt in der Berlin-Krise. „Erst neun Tage später fliegt Adenauer nach Berlin – viel zu spät“, kommentiert der Film und zeigt den Kanzler an der Mauer: „Er steht da wie der falsche Mann am falschen Platz.“ Und so flüchtet sich die Regie in die Inszenierung von Reims, wo sich in Wirklichkeit zwei Männer der Vergangenheit ihrem Traumbild vom katholisch-karolingischen Abendland hingeben.

Zu viel gewollt, zu viel in anderthalb Stunden gepackt. Über Adenauer ist unendlich viel geschrieben worden. Angefangen von ihm selbst, der nach 14 Jahren Kanzlerschaft seine vierbändigen „Erinnerungen“ schrieb, in ebenjenem Rhöndorfer Haus, in dem jetzt große Teile der Spielszenen entstanden. Die Leistungen des „Alten“ sind ebenso unbestritten wie seine Fehler und Fehleinschätzungen. Am schlimmsten hinsichtlich des Mauerbaus. Berlin kam in seiner politischen Geografie nicht vor. Stattdessen wird Rudolf Augstein zitiert, der im Film als eine Art dramaturgische Klammer fungiert: „Adenauer war der größte Politiker, dem ich je begegnet bin.“ Danach Abspann.

„Konrad Adenauer – Stunden der Entscheidung“, Arte, 20 Uhr 15; am 5. August in der ARD, 21 Uhr 45

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