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Vom Kohle-Waggon in die Freiheit.

© ARD

Doku: Prag – Hof, einfache Fahrt

Die ARD-Doku „Zug in die Freiheit“ schildert die Erlebnisse der Botschafts-Flüchtlinge vor 25 Jahren. Schade, dass das Bild nicht vollständig ist.

Er habe die Furcht der Menschen förmlich riechen können, erinnert sich Wolfgang Ischinger. Und ergänzt drastisch: „Es stank vor Angst in diesem Zug.“ Der bundesdeutsche Diplomat, der später Botschafter in den USA wurde, begleitete die DDR-Flüchtlinge, die Anfang Oktober 1989 mit Sonderzügen aus Prag nach Hof in die BRD ausreisen durften. Die Züge fuhren durch DDR-Gebiet, unterwegs stiegen Grenzpolizei und Stasi-Mitarbeiter zu, um die Personalausweise einzukassieren. Was, wenn sie Einzelne doch noch aus den Zügen holten? Menschen wie Christian Bürger, der ohnehin keinen Ausweis mehr hatte, weil ihm die DDR-Behörden die Papiere längst abgenommen hatten? „Da wurde mir noch einmal ganz schön bang“, sagt Bürger.

Die Dokumentation „Zug in die Freiheit“ rekonstruiert die Ereignisse vor 25 Jahren mit Zeitzeugen-Interviews, vielen fiktionalen Szenen und dem reichlich vorhandenen Original-Material rund um die Besetzung der Prager Botschaft. Natürlich dürfen die eigentlich zu dunklen, unscharfen Bilder von Außenminister Hans Dietrich Genschers umjubeltem Balkon-Auftritt nicht fehlen. Journalisten waren an diesem 30. September in die hoffnungslos überfüllte Botschaft nicht hereingelassen worden, als Einziger richtete Stephan Radke seine Kamera über den Zaun in den Garten. Und vielleicht sind sie gerade wegen ihrer wackligen Unprofessionalität zu einer Bild-Ikone der Wendezeit geworden.

Die Politik der DDR-Führung, der die eigenen Bürger zu Zehntausenden davonliefen, war unübersehbar gescheitert. Aber man wäre wohl auch ohne die eingespielte Fanfaren-Musik wieder aufs Neue ergriffen. Botschafter-Gattin Jacqueline Huber, die sich gemeinsam mit ihrem Mann unermüdlich um die Flüchtlinge gekümmert hatte, erinnert sich in ihrem reizenden französischen Akzent: „Ich könnte noch heute weinen. Lachen Sie nicht, das hat mich erinnert – Paris, 1944.“

Lückenhaftes Bild

Die Drehbuchautoren Sebastian Dehnhardt und Matthias Schmidt greifen diesen schiefen Vergleich glücklicherweise nicht auf, doch auch ansonsten setzt die historische Einordnung im Film keine Maßstäbe. Anwalt Gregor Gysi, der an der Seite Wolfgang Vogels nach Prag geeilt war, um die Flüchtlinge zur Rückkehr zu bewegen, äußert sich dazu gar nicht, darf aber immerhin durchblicken lassen, dass er das Politbüro schon damals für ziemlich weltfremd hielt. Hans Modrow, vor 25 Jahren erster SED-Mann in Dresden, wo es am 4. Oktober aufgrund der Durchreise der Sonderzüge rund um den Bahnhof zu Auseinandersetzungen gekommen war, redet so lange, bis man den Eindruck bekommt, er habe sowieso immer nur das Beste gewollt. Und warum genau hat Genscher eigentlich die Bedingung der DDR-Führung, dass die Züge durch DDR-Gebiet fahren mussten, „sofort akzeptiert“, wie der Ex-Minister selbst sagt? Auch ergibt die Beschränkung auf Prag das gewohnt lückenhafte Bild. Dass sich im polnischen Warschau ebenfalls tausende DDR-Flüchtlinge in die bundesdeutsche Botschaft begaben und später in den Westen ausreisen durften, wird nur mit einem Nebensatz erwähnt. Denn davon gibt es eben kaum Bilder – und schon gar keinen Genscher auf dem Botschafts-Balkon.

Ihr sollt duschen

Dehnhardt und Schmidt halten sich vor allem an die vielen emotionalen und existenziellen Momente, die der Sommer 1989 zu bieten hatte. Ihr Puzzle aus Einzelschicksalen, mit dem sich die Abläufe vor und in der Botschaft sowie später in den Zügen und an der Strecke chronologisch erzählen lassen, ist tatsächlich eindrucksvoll und bewegend. Da ist zum Beispiel die Geschichte von den drei jungen Männern, die sich am Bahnhof Reichenbach im Vogtland noch in den Sonderzug Richtung Westen schmuggelten. Und weil sie sich zuvor in einem Waggon voller Kohle versteckt hatten, gibt das auch für die Spielszenen was her. „Duschen, ihr solltet duschen“, empfiehlt der Stasi-Mann, der die Pässe einsammelt. Ob dieser Spruch tatsächlich fiel, ist allerdings zweifelhaft. Belegt ist dagegen, dass sich verhaftete Demonstrantinnen in Dresden nackt vor Polizisten ausziehen und Kniebeugen machen mussten. Aber warum inszeniert man das? Auch in der hier gezeigten dezenten Form bleibt der Beigeschmack eines unnötigen Voyeurismus.

„Zug in die Freiheit“; ARD, Freitag, um 18 Uhr 30

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