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Dutschke

© ZDF

Dokufiction: Wie wird man Rudi Dutschke?

Bei der Verkörperung von Rudi Dutschke darf die Darstellung nicht zur Parodie werden. Mehr als buschige Augenbrauen und Lederjacke: Christoph Bach und die Rolle seines Lebens.

Es war im Mai, als Christoph Bach jeden Morgen in sein Kopfkissen brüllte. So lange, bis die Stimme heiser wurde. Danach fuhr er zum Dreh nach Berlin-Zehlendorf und setzte sich in die Maske. Dort legte man ihm die Haare zu einem Seitenscheitel, frisierte ihm die Augenbrauen zu breiten, buschigen Ungeraden und zog ihm eine Lederjacke über. Plötzlich war es nicht mehr 2008 und Christoph Bach auf einmal Rudi Dutschke. „Wenn eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden ist, erleichtert das dem Zuschauer sicherlich den Zugang“, sagt er. „Vor allem aber ist es wichtig, schauspielerisch einen Gestus zu treffen, der der Person nahekommt.“ Das ZDF zeigt im Herbst eine Dokufiction über „Rudi Dutschke“. Christoph Bach spielt die Hauptrolle. Der Film erzählt das Leben des Berufsrevoluzzers und wohl berühmtesten Redners der Studentenbewegung, dessen belegte Stimme nur eines seiner Markenzeichen war.

„Charakteristisch für ihn war definitiv seine Art zu sprechen“, sagt Christoph Bach. „Hochtheoretische, lange Sätze und die Weise, dabei mit den Händen zu agieren. Dutschke war immer ein sehr körperlicher Mensch.“ Ganz anders wirkt Christoph Bach. Ruhig sitzt der Schauspieler auf seinem Stuhl im Café „Markthalle“ in Berlin-Kreuzberg und redet konzentriert. Seine Haare sind kürzer als die von Dutschke, die Nase ist dünner, und die Klamotten sind eleganter. Weiße Hose, schwarzes Hemd, schwarze Schuhe. Die Zigarette bricht er vorne ab, damit sie sich besser ziehen lässt. Rudi Dutschke hat nie geraucht, er war Leistungssportler. Aber scheinbar bringt Christoph Bach etwas mit, was ihn hier zur perfekten Besetzung macht. Es ist nicht unbedingt der schmale Mund, der, wenn er lacht, die Wangen in Falten legt. Es ist vor allem die Ernsthaftigkeit, sich mit Dingen auseinanderzusetzen. Zu leisten, wozu man sich verpflichtet hat.

Der Film über den Studentenführer beginnt 1964, elf Jahre, bevor Christoph Bach geboren wurde. In Gomaringen, einem kleinen Ort am Fuße der Schwäbischen Alb kam er 1975 zur Welt. Die Gemeinde hat etwa 8500 Einwohner, ein Haus reiht sich an das nächste. Hier ist man so gut wie nie allein. Hier ist so gut wie nichts los. „Geht man in Gomaringen auf die Straße, sieht man immer einen, den man kennt oder der einen kennt“, erzählt Christoph Bach, „und um 24 Uhr werden nicht nur die Bürgersteige hochgeklappt, sondern wird auch komplett das Licht ausgeschaltet.“

Es war die kleine Welt, in der er zu Hause war, und die große, nach der er sich sehnte. Seine Kindheit und Jugend verbrachte der Schauspieler vorwiegend in der Natur und an Tankstellen, wo er sich vor der Waschstraße mit Freunden traf, um ein Bier zu trinken. In Gomaringen kam man nur sehr schwer von der Stelle. Es mangelte an Ablenkung. An Angeboten auch. Christoph Bach aber wollte sich bewegen. Vorwärtskommen. Wo nichts ist, muss man sich zu helfen wissen. Er fing an, selber Fanzine-Magazine zu gestalten. Er führte Interviews mit Hardcore-Bands, klebte Heftseiten zusammen, kopierte und vertrieb sie. Er nutzte alle Möglichkeiten, die es gab. Theater-AG an der Schule, Jugendgruppe am Landestheater in Tübingen. Kam er nach Mitternacht nach Hause, lag die Gemeinde im Dunkeln. Nur das gelbe Licht der Ampel und die Sterne am Himmel leuchteten noch. Das Herz pochte. In solchen Momenten, sagt er, „blieb man ganz bei sich“. In solchen Momenten packte einen aber auch das Fernweh.

Wenn sich Christoph Bach jetzt mit seinem Stuhl im Café einmal in alle Himmelsrichtungen drehen und auf diese zeigen würde, könnte er sagen: „Dort habe ich schon mal gewohnt.“ In den Jahren, die er in Berlin lebt, ist er etwa elf Mal umgezogen. Moabit, Kreuzberg, Schöneberg, Prenzlauer Berg, Mitte, Charlottenburg, wieder Kreuzberg. Er erinnert an einen Reisenden, der seinen Koffer nie richtig auspackt, um schnell wieder weg zu sein. Vielleicht ist es aber auch die Neugier, die ihn treibt. Mehr wissen zu wollen als nötig. Denn Wissen macht stark.

Er studierte erst ein paar Semester Theater, Film- und Fernsehwissenschaften, Germanistik und Philosophie, bevor er sich mit 23 Jahren an der Hochschule der Künste Berlin für ein Schauspielstudium bewarb. Er überstürzte nichts, sondern lernte. Berlin war ein Kaufmannsladen für Theorie, Kulisse – und das Leben schlechthin. Er sagt: „Die Stadt überfordert einen konstruktiv.“ Er drehte zusammen mit einem Freund eine zwölfteilige Serie, die auf MTV lief. In „Auftrag Moabit“ spielte er den Superhelden „Khaki Korea“, dessen Name zugleich eine Hommage an den Bezirk und an eine seiner Imbissbuden war.

Nach dem Schauspielstudium stieg er sofort ins Film- und Fernsehgeschäft ein. „Tatort“, „Donna Leon“, „Soko“, „Prager Botschaft“. In den beiden Kinofilmen „Close“ (2003) und „Katze im Sack“ (2004) fiel er als großstädtischer Einzelgänger auf, als Herumtreiber. Immer auf dem Sprung und auf der Suche nach seinen Grenzen. Mit diesen Filmen hat sich Christoph Bach einen Namen gemacht. Das ZDF widmete ihm 2006 im „Kleinen Fernsehspiel“ sogar eine eigene Nachwuchs-Reihe. Plötzlich schien da einer zu sein, der Eindruck machte und Ausdruck besaß. Präsenz. Oder so etwas wie Tiefe. Jemand, der nicht nur spielt, sondern seinen Figuren auf die Spur kommen will.

Christoph Bach hat für die ZDF/Teamworx-Produktion viel über Rudi Dutschke recherchiert. Er hat mit Zeitzeugen geredet, sich Dokumentarfilme angeschaut und Nachrichtenschnipsel studiert. Er kannte die Biographie von Gretchen Dutschke und Dutschkes Tagebücher. Aber das reichte ihm nicht. Er fing an, „unverhältnismäßig“ viel Sport zu treiben. In jeder freien Minute ging er laufen, um dem „physischen und sportlichen Menschen“ Rudi Dutschke näher zu sein. Er verbrachte mehrere Wochen in einem alten Fachwerkhaus in Vogelsberg in Hessen, „einer richtigen 68er Räuberhöhle“, wie er sagt. In diesem Haus, das er selber beheizen musste, fand er die passende Atmosphäre. Über dem Türbalken waren die Jahreszahlen „1789“ eingraviert, und bis unter die Decke standen Bücher über 1968. Draußen schneite es. Er igelte sich ein und fing an zu lesen.

Er sagt: „Ich hatte den Anspruch, wenn wir Diskussionen drehen, zu verstehen, was dort gesprochen wird.“ Man könnte das als ehrgeizig bezeichnen. Oder als äußerst gewissenhaft. Vor allem aber vermittelt es ein Gefühl der Sicherheit. „Ich würde mich nicht wirklich wohl fühlen, wenn ich mich inhaltlich nicht damit beschäftigt hätte“, sagt Christoph Bach. „Es ist ja etwas völlig anderes, wenn man sich auf die Rolle einer historischen Figur vorbereitet. Man hat ein reales Vorbild und eine intellektuelle Welt, in die man eintauchen muss.“

Christoph Bach war erst vier Jahre alt, als Rudi Dutschke 1979 starb. Für jemanden aus seiner Generation wirkt Bach manchmal sehr ernst. Mitunter sogar grübelnd. Als wisse er selbst nicht genau, wer er ist. Aufgewachsen ist er in einer Zeit, die viel ironischer war, als die der 68er. Jetzt einem wie Dutschke zu begegnen, der die große Welt bewegte, ist für Bach Faszination und Herausforderung zugleich. Die ungebrochene Leidenschaft Dutschkes kann heute leicht lächerlich wirken. „Man muss aufpassen, dass die Darstellung nicht zur Parodie wird“, sagt er, „nicht nur deswegen ist es eine der spannendsten und komplexesten Rollen, die ich bisher gespielt habe.“

Geradlinigkeit, Klugheit, Offenheit, Menschlichkeit – der Maulaufreißer Rudi Dutschke imponiert Christoph Bach. „Damals, als die meisten Menschen noch gehorsam und untertänig waren, war er einer der ersten, der sich lautstark in die Politik eingemischt und in der Öffentlichkeit etwas formuliert hat und das mit allen Konsequenzen.“ Das hat bei Christoph Bach nachhaltig Eindruck hinterlassen. Obwohl die Dreharbeiten längst beendet sind, konnte er sich bis jetzt nicht von dem Film lösen. In einer Drehpause zu seinem neuen Projekt ist Christoph Bach nach Vogelsberg zurückgekehrt, dorthin, wo er sich einst auf die Rolle einstimmte. Er sitzt auf der Aussichtsplattform und grüßt die vorbeigehenden Wanderer. Er sagt: „Ich habe mich noch nicht richtig verabschiedet. Der Film fordert mich auf, auch über mein Leben nachzudenken.“

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