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Ist die Stunde der Rache gekommen? Salvatore (Fabrizio Bucci) überwältigt Stockinger (Peter Simonischek). Er will ihn mit seinen Kriegsverbrechen konfrontieren.

© Ziegler Film/Epo Film/Petro Dome

Drama mit Peter Simonischek: In der Alpenfestung

Wo sich das Böse als Dorfopa maskiert: „Bergfried“, ein Film von Jo Baier über verdrängende Naziverbrecher. Irgendwann schlägt die Stunde der Rache.

Ein österreichisches Bergdorf Anfang der achtziger Jahre. Noch ist das Gasthaus fest in der Hand der Einheimischen. Am Stammtisch wird unter ihresgleichen gebechert. Das lässt man den Fremden spüren. Die Frauen dienen, Ehemänner prügeln sie ungeniert, Erotik findet im Gefängnis der Lügen statt. Aber die Freiheitsverheißungen der Janis-Joplin-Songs wetterleuchten in die Seelen junger Dorfbewohner.

Jo Baier ist ein Meister der Beschreibung und der Entlarvung von Idyllen. Er zeigt einerseits wunderbar zärtlich Heimatlandschaften und die dazu passenden Mentalitäten und andererseits Menschen, die diese Geborgenheit selbst zerstören.

Sein Film „Hölleisengretl“ (1994) mit Martina Gedeck spielt im herrlichsten Bayern, aber die bucklige Heldin geht an der Engstirnigkeit ihrer Umgebung um der Liebe wegen zugrunde. Die Erwin-Strittmatter-Verfilmung „Der Laden“ (1998) schwelgt golden im Sorbenland, aber verschweigt keine Sekunde die Herzlosigkeit seiner Bewohner. Eine vergiftete Idylle, fast als hätte Jo Baier geahnt, dass sich unter Strittmatters Fabulieren das Geheimnis seiner schändlich verschwiegenen SS-Mitgliedschaft verbirgt.

Auch im neuen Film „Bergfried“ wohnt das Böse urig und scheinbar unschuldig. Der Film hebt immer wieder die Augen auf zu dem Berg, der über dem Dorf thront. Von dort kommt allerdings keine Hilfe, höchstens Entsetzen, was da unten die Menschen treiben. Erzählt wird in Rückblenden das Leben eines weißbärtigen Einheimischen namens Stockinger („Toni Erdmann“- Maskenmann: Peter Simonischek).

Wir kommen zu seiner Beerdigung. Der Enkel Bertl ist mit Kranz und Anzug gekommen. Eine leicht wunderliche alte Frau (Gisela Schneeberger) leert am Grab des ehrenwert Verblichenen eine Bierflasche und übergibt dem Nachfahren die Abschrift eines Tonbandmitschnitts. Keine freundliche Post vom Berg, sondern eine Nachricht aus dem tiefsten menschlichen Abgrund. Der Zuschauer darf mitlesen.

Die Verstockten spielen die Unschuld vom Lande

Da hält einer, sein Name Stockinger passt, Anfang der achtziger Jahre an überkommenen Lebensregeln fest, als hätten der Krieg und die Naziverbrechen nicht die Seele des dörflichen Zusammenlebens für immer zerstört. Die Verstockten spielen die Unschuld vom Lande.

Opa Stockinger erklärt dem Enkelkind Bertl das Dorf. Geht mit ihm zum malerischen Friedhof, in die Pilze und zum Zauberschatz tiefkatholischer Legenden wie der vom Rotkehlchen, das dem Heiland das Tragen der Dornenkrone erleichtert haben soll und, heiliges Gezwitscher, als Zeichen für die gute Tat mit dem roten Brustfleck auf dem Gefieder belohnt wurde. Legenden, Stammtischwelt, unterdrückte Frauen – das Bergdorf könnte seinem Modernisierungstod entgegengehen und die Bewohner lustig bleiben.

Aber der Italiener Salvatore (Fabrizio Bucci) ist gekommen, der Fremde, damals wie heute der ewige Störenfried. Er fotografiert, zieht Erkundigungen ein, kommt, wie dem Zuschauer schnell klar wird, als Rächer einer Schuld, die das Bergdorf unter restaurativer Idyllen-Oberfläche verstecken will. Sein Schicksal hat sich Baier, der auch das Drehbuch schrieb, nicht ausgedacht. Am 12. August 1944 rächten SS-Schergen Partisanenangriffe und metzelten aus Rache im toskanischen Dorf Sant’Anna di Stazzema alle Bewohner, darunter allein 140 Kinder, nieder. Ein bis heute ungesühntes Verbrechen.

Salvatore war damals vier Jahre alt. Aber die brutalen Geschehnisse haben sich unauslöschlich in seine Erinnerung eingebrannt. Wir sehen in der Rückblende, wie der Vierjährige aus dem Versteck kommt, seine hingemordeten Verwandten sieht und vor die Pistole des SS-Oberscharführers tritt. Dessen Waffe klemmt, die Munition ist alle, und der Böse aus dem Norden sagt: „Glück gehabt, kleiner Spaghetti.“

Doch dann schlägt die Stunde der Rache. Salvatore bringt Stockinger in seine Gewalt, fesselt ihn, bedroht ihn mit einer Pistole und will, dass er die Wahrheit von damals zugibt. In einer langen, großartigen Szene läuft Salvatore gegen die verlogene Alpenfestung Stockinger an.

Er ringt dem Alten das Geständnis ab, damals an der Partisanenbekämpfungsaktion beteiligt gewesen zu sein, mehr nicht. Keine Träne, keine Reue, ein Täter, der völlig versteinert wirkt. Salvatore verzweifelt. Es rührt, wie sein italienischer Akzent an dem Wort SS-Oberscharführer zerbricht. Er lässt den Alten frei. Vergeltung kann nicht für versagende Justiz einspringen.

Aber er hat seinen Kampf mit dem teuflischen Trotzkopf auf Tonband festgehalten. Enkel Bertl hat die Abschrift bei Stockingers Beerdigung gelesen. Der steckt ein ausgestopftes Rotkehlchen unter den Grabschmuck. Sollen doch die Toten mit ihren Lügen und Legenden leben. Asche zu Asche.

„Bergfried“, ARD, Mittwoch, um 20 Uhr 15

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