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Dschungelbuch (8): Sechs Lektionen des Lebens

Penisneid, Charakterstärke, häusliche Gewalt: Wenn selbst Uni-Wissenschaftler schon das Camp analysieren, lernt auch die einschaltkräftige jugendliche Zielgruppe jede Menge dazu. Unsere Autorin Annette Kögel hat die sechs wesentlichen Lektionen aus dem Dschungelcamp zusammengefasst.

Man lernt doch nie aus, RTL sei Dank. Jetzt wissen Eltern und Lehrer, warum der TV-Gucker-Nachwuchs morgens kaum die Augen aufbekommt. Kitakinder, Grundschulkameraden und noch Oberstufenschüler gucken vergleichsweise besonders häufig heimlich bis Mitternacht am Bildschirm oder mit dem Smartphone unter der Bettdecke Dschungelcamp. Deswegen am Anfang - Boulevarddenke nur mal kurz aus, Taschenrechnerhirn an - ein paar Statistiken: Die Quotenmesser von Media Control im von Australien weit entfernten Baden-Baden haben herausgefunden, dass vor allem das weibliche Publikum für "die tollen Werte" verantwortlich ist. Mit rund 210 000 Mädchen zwischen drei (!) und 13 Jahren gucken rund 50000 Zuschauerinnen, also 30 Prozent mehr Töchter „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“. Schalteten vergangene Runde noch 3,57 Millionen Frauen ab 14 Jahre ein, so waren es 2013 allein während der ersten drei Folgen je 4,07 Millionen – rund eine halbe Million mehr. Gemeinsam mit den 14- bis 19-jährigen Frauen (56,6 Prozent) holen die Dschungelprinzessinnen am Schirm die mit Abstand höchsten Marktanteile.

Ob all die Mädchen und jungen Frauen traurig sind, dass Poser Silva Freitagnacht als erster der elf Pseudofreunde rausgewählt wurde? Aber - halt: Die Mädels haben den so oft angestrengt wirkenden Salvenlachsack ja selbst aus dem Programm entsorgt. Und so hält das Dschungelcamp 2013 doch überraschend wieder einige Lektionen in Sachen Lebenskunde bereit.

Gender Studies - Tränen lügen nicht
Keiner weint im Camp so schön wie Camp-Benjamin Joey und sammelt damit zugleich so viele Sympathiepunkte. Jungs dürfen also auch Taschentücher zücken - oder ein breites Tropenblatt, wir sind ja im Dschungel. Da kommen auch Patrick in der Große-Bruder-Rolle wie Freitagabend in Deutschland die Tränen. Also: Schwach ist stark.

Kommunikationswissenschaft - Trau dich
Wer Probleme nicht ausspricht, bleibt mit ihnen alleine sitzen. Joey fühlt sich schwächer, nur weil er jünger ist, gab er zu. Sein Körper ist von Narben übersät, weil sein Vater ihn als Kind "durch die Küchenscheibe geboxt hat" und ihm - der Sänger hebt die linke Hand - "vier Finger gebrochen hat". Darüber weint auch Claudelle, von der RTL den Zuschauern bislang noch nicht wirklich viel zusammengeschnitten hat. Sie offenbart am Freitag aber, dass sie drei Jahre lang auf einen Heiratsschwindler hereingefallen war. 100 000 Euro hat das sie und ihre Familie gekostet. Jetzt seien ihre Antennen aber aufgestellt und sie gucke anders hinter die Kulissen. Also immer raus mit der Sprache, Mädels und Jungs, andere haben hinter cooler Fassade auch Probleme.

Menschenkenntnis - vom Außenseiter zum Spitzenreiter
Georgina haben die Zuschauer doch nur sieben Mal in die Dschungelprüfung gewählt, um sie weltrekordmäßig leiden zu sehen, sagt das abgemagerte "Hundeknochenmodel" Fiona (Läster-O-Ton Iris) am Freitag. Und irrt. Die Frau ist zwar nicht der Sympathiebolzen, aber sie weiß, was sie will und kann eigene Grenzen setzen. Das ist im Leben schon mal viel wert. Zur aktuellen Camp-Halbzeit geht sie, immer mutiger, bei ihrer siebten Dschungelprüfung schon mit Krokodil, Schlange, Spinne und Strauß auf Tuchfühlung, nur der ekelig stinkend, mit totem Fleisch ausgekleideter "Dschungelhotel-Zimmer" ist ihr zu viel.

Trotz schwüler Trockenheit herrscht sexueller Notstand

Weil sich Georgina auch schon höhenangstunempfindlich und schwindelfrei vom Flughafenflugzeug im Wipfel einem Stern entgegen in die Tiefe stürzte, hat sie jetzt Aufwind bei den Zuschauern. Und sagt noch cool zum Ende des vorerst letzten Test: "Jetzt habe ich mich genug prostitutiert."

Sozialwesen - Chamäleon Olivia
Die Transen-Mutti muss langsam Sympathiesterne abgeben, weil sie im Doppelpack mit Iris immer übler lästert und sogar fies dem stillen Dagobert-Arno seinen glühenden Mückenkringel-Zeitmesser für die Nachtwache hinterhältig verkürzt. So gar nicht Mutti. Hat Olivia einen Penisgrößenkomplex? Gestern ging es wieder mal um Silvas angeblich zu Kleinen, das Würstchen in Cornichongröße, den inneren Werz. Muss sie ja nun nicht mehr drunter leiden.

Sexualkunde - die Pubertät hört nie auf
Langsam herrscht trotz der Schwüle Trockenheit im Camp, sexueller Notstand. Deswegen feixen die Alten auch nicht weniger peinlich mit F-Wörtern über Steckspiele und Stöhnschallwellen, fachsimpeln über operative Vagina-Vereengung und Selbstbefriedigung. Die Hand sei, höflich ausgedrückt, doch zum Popo abwischen, Tellerwaschen und einkaufen gehen da, meint Mädchenschwarm Joey, und für nichts anderes. "Gott hat Adam und Eva, aber nicht eine dritte Hand geschaffen." Er legt die hier also nicht in den Schoß. Mal "No Sex". Die Vorlage für einen großen Moment des Dirk-Bach-Nachfolgers Daniel Hartwich: "In Deutschland heißt so was Ehe".

Mathematik - die neue Zeitrechnung
Bitte aufgepasst und folgendes mal eruieren, liebe junge Zuschauer: Wie viel verdient Iris-Tochter Daniela Katzenberger pro Minute für die Poco-Domäne-Werbung? Wie oft hat Fiona am Freitagabend Allegra Curtis vorm Zeckenentfernen aus dem Ohr "Du schaffst das" zugeraunt? Und: Was haben die RTL-Werbefensterkundenbank Ing-Diba"du" und eine Dschungelcamp-Folge gemeinsam? Sieben Millionen Kunden beziehungsweise Zuschauer. Das sind so viele wie nie zuvor. Wenn nun auch immer öfter Uni-Medienwissenschaftler mithilfe des Dschungelcamps gesellschaftstheoretische Gruppenanalysen vornehmen, gemeinsames Fremdschämen und hämisch-sadistisches Gewese des Menschen an sich untersuchen, haben auch die Schulkinder vor der Glotze während der 2013er Staffel die beste Ausrede fürs Campgucken der Welt.

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