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E-Books: "Marsch in eine Nebelzone"

Das E-Book kommt. Ein Gespräch mit Verleger Malchow über Autoren, faire Preise - und gedruckte Bücher.

Herr Malchow, Amazon stellt den neuen Kindle vor, Sony bringt im März sein Lesegerät "Reader" nach Deutschland. Ist das der große Durchbruch des E-Books?

Die neuen Geräte haben die Mängel ihrer Vorläufer überwunden, der E-BookMarkt nimmt Fahrt auf. Aber wir sind ganz am Anfang, und wir werden Ende 2009 nicht in einer anderen Welt leben, was die Buchproduktion betrifft. Wie viel Prozent Marktanteil die elektronischen Bücher mittelfristig erobern werden, ist völlig offen.

Genau aus diesem Grund halten sich viele Verlage noch zurück und warten ab, wie sich das Geschäft mit elektronischen Büchern entwickelt.

Das ist verständlich, denn der Einstieg ins E-Book-Segment ist mit gewaltigen Kosten und viel Arbeit verbunden, ohne dass absehbar ist, ob Verlage damit mehr Umsatz erzeugen werden. Es ist wie ein entschlossener Marsch in eine Nebelzone. Mir bereitet das aber ein Gefühl von Abenteuer, und ich würde mich sehr unwohl fühlen, wenn ich nicht ganz vorne mit dabei wäre.

Wie gut sind Sie auf das bevorstehende Manöver vorbereitet?

Wir möchten zum Start des "Readers" von Sony bis zu hundert Buchtitel als E-Book bereitstellen - sowohl aktuelle Werke, die besonders stark nachgefragt werden, als auch ältere Bücher von wichtigen Autoren wie Böll, Remarque, Roth, Garcia Marquez. Seit einem halben Jahr ergänzen wir dazu die Autorenverträge, nun kümmern wir uns verstärkt um die technischen Fragen. Nach dem Start möchten wir das Angebot schrittweise ausweiten.

Was haben denn Ihre Autoren gesagt, als Sie ihnen neue Verträge für die digitale Veröffentlichung auf den Tisch legten?

Da gibt es wie so oft im Leben drei Varianten. Die einen haben gesagt: Neue Chancen, neues Glück! Die anderen meinten: Oh je, was das wohl werden wird - aber wir werden wohl nicht umhin können, mitzumachen. Und die Dritten: Die Musikindustrie ist untergegangen - jetzt wollt ihr auch noch untergehen! Viel Spaß dabei, aber mit mir nicht!

Haben die Skeptiker nicht vielleicht recht? Ihre E-Books könnten bald im Internet herumgeistern - ohne Kopierschutz.

Die Gefahr will ich nicht leugnen. Mit dem Aufkommen des Internets ist eine Art späte Welle des Kommunismus aufgebrochen, ein Freibrief für kollektiven Mundraub. Diese Mentalität müssen wir durchbrechen. Darum streiten wir beim Gesetzgeber für die Rechte der Urheber. Und wir möchten möglichst spannende legale Angebote zum Download von Büchern schaffen. Denn wenn die Handhabung stimmt und die zusätzlichen Funktionen von E-Books attraktiv sind, werden Bücherkäufer im Internet bereit sein, einen fairen Preis zu bezahlen.

Wird das der gleiche Preis sein wie beim gedruckten Buch?

Im Augenblick gehen wir davon aus. Die Investitionen, die nötig sind, um Bücher elektronisch bereitzustellen, sind so enorm hoch, dass zumindest am Anfang die Kosten pro verkauftem Exemplar nicht niedriger sein werden als bei klassischen Büchern. Das müssen wir der Öffentlichkeit allerdings noch erklären. Die meisten denken: Da wird nichts mehr gedruckt, da wird nichts mehr verschickt - E-Books müssten also viel billiger sein.

Bringt die zusätzliche Vertriebsstruktur den Verlagen am Ende sogar mehr Kosten als Einnahmen?

Verschiedene Vertriebsstrukturen sind für uns nichts Neues, schließlich sind Buchverlage nicht zuletzt Agenturen für die Verbreitung von Inhalten. Unsere Inhalte werden in Radiosendungen verarbeitet, werden verfilmt, in Hörbüchern vertont und in Zeitungen abgedruckt. Nun kommt eine neue Technologie und damit ein neuer Kanal hinzu. Das ist ein sehr interessanter Vorgang, bei dem ich mich als Verleger weigere, mich als Opfer zu betrachten.

Ist der Moment für den Aufbau des E-Book-Vertriebs nicht schlecht gewählt, mitten in der Wirtschaftskrise?

In der Tat ist die Euphorie des vergangenen Jahres verebbt, weil die Branche heute mit ganz anderen Problemen zu kämpfen hat. Das kann die Einführung des E-Book-Geschäfts bremsen und sich auch auf die Zahl der verkauften Endgeräte und auf die Preisgestaltung auswirken. Insgesamt dürfte das Geschäftsfeld 2009 kleiner ausfallen, als 2008 gehofft.

Für welche Leser sind die elektronischen Lesegeräte denn attraktiv?

Man muss sehr genau auf den Buchtypus schauen. Leser von Fachbüchern werden das E-Book schnell schätzen lernen. Bei den literarisch-belletristischen Ausgaben wird das gedruckte Buch dagegen auch langfristig Bestand haben. Ich selbst lese einen guten Roman lieber auf echtem Papier. Gar kein Gefühl habe ich, was die billige Massenware betrifft: Werden sich Taschenbücher, wird sich Unterhaltungsliteratur auf das E-Book verlagern? Ich weiß es nicht und bin selbst sehr gespannt.

Geht mit dem Lesen auf dem Display nicht Qualität verloren?

Einerseits verlieren wir vieles: Das Haptische, die dreidimensionale Leseerfahrung, das Buch als ästhetisches Objekt, das Buch als Geschenk. Andererseits gewinnen wir ganz neue Möglichkeiten: Ich bin zum Beispiel sehr neugierig, wie sich die Kombination von Texten, Tönen und bewegten Bildern entwickeln wird. Es könnten ganz neue Hybridprodukte entstehen, die wir heute noch gar nicht richtig beschreiben können. Das ist ein epochaler technischer Wandel, den es zuletzt vor 500 Jahren mit Gutenberg gegeben hat.

Wird das Buch auf bedrucktem Papier Bestand haben?

Mein Gefühl sagt mir: Wir erleben derzeit nicht das Verschwinden des Buches. Die Einführung elektronischer Lesegeräte wird bei vielen Lesern erst wieder ein Bewusstsein dafür schaffen, welche Schönheit das traditionelle Datenträgersystem Buch hat. Die Qualität von Papier, Typographie und Verarbeitung wird viel stärker ins Gewicht fallen. Als man die Technik der Filmaufzeichnung entdeckte, wurde vielen bewusst, welche Qualität das Theater eigentlich hat. Und der Film wiederum, der als Theater auf der Leinwand begann, entwickelte parallel dazu ganz eigene neue Ausdrucksformen. So wird es auch mit dem elektronischen Buch sein.

Das Interview führte Andreas Menn.

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