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Medien: Ein Ehemaligen-Treffen

Auch der Zweiteiler „Im Schatten der Macht“ kann den Rücktritt Willy Brandts nicht klären

Ein mehrdeutiger Titel: „Im Schatten der Macht“. Willy Brandt, um dessen Rücktritt es in dem Zweiteiler geht, kann kaum gemeint sein, denn der stand als Kanzler im Zentrum der Macht, in ihrem Lichtkegel. Spielt der Titel auf Günter Guillaume an, den Spion, der aus dem Osten kam und seinen Chef zu Fall brachte? Oder auf Helmut Schmidt, der mit der Nachfolge erst gar nichts im Sinn hatte, sich dann aber doch berufen fühlte? Auf Herbert Wehner, der im populären Kanzler am Ende nur noch ein Sicherheitsrisiko für seine Sozialdemokratie sah? Man weiß nicht so recht. Erst gegen Ende des zweiten Teils, im großen Disput zwischen Brandt und Wehner, fallen die beziehungsreichen Worte: „Wer sind wir denn, wir Mächtigen? Wir sind Schatten …“ Aha. Ging es also um eine Macht ohne Licht(gestalt), um Politik, die kein Menschsein zuließ, um ein Theater ohne Scheinwerfer, eine dunkle Geschichte?

Der Rücktritt Willy Brandts im Jahr 1974 ist bis heute von einem Geheimnis umgeben. Abdankungen sind alltäglich in der Politik, und der Stein, über den ein Politiker gestolpert ist, hat im Normalfall deutliche Kontur. Bei Brandt war es anders. Dieser Kanzler besaß die Sympathien der Regierten, er hat eine ganze Generation, sofern sie nicht unrettbar konservativ geprägt war, begeistert und ermutigt; sein „mehr Demokratie wagen“ war vielleicht das berühmteste Kanzlerwort der letzten fünf Jahrzehnte, und sein Kniefall von Warschau hat die Nation entsühnt. Und so ein Mann, so ein starker und beliebter Staatschef, geht einfach nach Hause, nur weil ein DDR-Spitzel in seinem Beraterstab gesessen hat, von dem nicht mal klar wurde, was der denn an heißen Infos gesammelt und verraten hatte? Und wie um zu unterstreichen, dass die Gründe für Brandts Rücktritt offen geblieben sind, schob man Frauengeschichten hinterher und Streitigkeiten mit Parteiführer Wehner. Das Volk aber weiß: Wo gleich mehrere Ursachen genannt werden, trifft keine zu. Also: Warum gab Willy Brandt auf?

Knapp dreißig Jahre später könnte ein Fernsehfilm die Geschichte so erzählen, wie sie war oder doch hätte sein können. Die Frage: „Wer sind wir denn, wir Mächtigen?“ gab ja eine Devise aus, unter der man den Film hätte inszenieren können: als Konflikt zwischen der politischen Figur und dem Menschen Brandt, zwischen Machterhalt und Lebenslust, Parteidisziplin und Utopie. Der Egon Bahr des Films fasst es so zusammen: „Brandt war mehr als ein Politiker. Jetzt (kurz vor dem Fall) ist er weniger.“ So einen Schatten der Macht, wie er auf das Leben desjenigen fällt, der sie gewonnen hat und nutzen will, hätte ein Brandt-Film vorführen können.

Das aber ist nicht geschehen. Autor und Regisseur Oliver Storz lässt seine Zuschauer so ratlos zurück wie einst Brandt sein Volk. Wir erleben alles noch einmal: den charismatischen Kanzler (Michael Mendl), von dem man viel erhofft und der aus nicht nachvollziehbaren Gründen die Brocken hinwirft; einen spießigen Guillaume (Matthias Brandt), dessen Gefährlichkeit nicht einleuchtet; einen knorzigen Wehner (Jürgen Hentsch), der sich samt seiner berüchtigten Taktik hinter Pfeifenrauch geradezu verschanzt. Storz erzählt die Geschichte von außen, so als sei er dabei gewesen, habe aber nur Details und Indizien und keine Zusammenhänge und Beweise sichern können. So spricht dieser Film mit abgesenkter, raunender Stimme. Eine inner-circle-Atmosphäre entsteht, ein gehobener Stammtisch, ein Ehemaligen-Treffen. Dabei geht es nicht etwa lustig zu. Keiner traut hier dem anderen, weder Brandt seinen Ministern, noch Storz seinen Figuren. Brandt ist schon amtsmüde, als er erstmals auftritt, der Rest der Herrenriege trägt sich entweder mit dunklen Absichten oder quälenden Skrupeln – es ist wie im Albtraum: Alle wollen das Äußerste verhindern, aber keiner ist im Stande, den entscheidenden ersten Schritt zu tun. Um die fehlende Dramatik durch Tiefsinn zu ersetzen, fallen Sätze wie: „Was Wehner will, weiß man immer erst, wenn’s passiert ist.“ Und als (selten genug) eine Frau mal was sagen darf, eine Geliebte Brandts (Ann-Kathrin Kramer), kommt der Kitsch hinzu: „Du bist alles andere als weltfremd. Du bist ein Fremder in der Welt.“ O weh. Ähnlich verboten die wortlose Message in Genschers (Dieter Pfaff) düsterem Büro: ein Schachbrett, und der König fällt … Anspielungen liefert dieser Film genug, aber kein Spiel. Er bleibt im Vorzimmer der Macht stecken, kriegt die Tür nicht auf. Vielleicht war es ja so, damals in den 70er Jahren, vielleicht ist wirklich etwas passiert, was niemand gewollt hat. Dann aber ist die Geschichte als Film nicht erzählbar, jedenfalls nicht mit den Mitteln des herkömmlichen Politthrillers.

Als eine Art Alter Ego des Autors Storz geistert der „Spiegel“-Journalist Hermann Schreiber durchs Geschehen, der für diesen Film auch als Berater tätig war. Die Szenen mit dem jungen Schreiber in einer Bonner Journalistenkneipe (auch hier viel Schatten und Rauch), das Warten auf irgendwo hinter gepolsterten Türen neben brokatbezogenen Telefonen zu fällende Entscheidungen, die Ängste, der Schock, als es dann amtlich ist: Brandt geht – sie fassen die Stimmung von damals recht gut zusammen. Man wusste nichts, fürchtete alles, reimte sich manches zusammen und konnte das Ende nicht glauben. In genau diese Stimmung versetzt der Film sein Publikum erneut. Es wird mit einer dunklen Geschichte abgespeist, „dunkel“ hier im Sinne von unklar. Das Geheimnis bleibt wohl gehütet im Schatten der Macht. Bisschen wenig für einen Zweiteiler mit so einem TV-Staraufgebot.

„Im Schatten der Macht“, Arte, am 23. und 24. Oktober, jeweils um 20 Uhr 45 mit anschließendem Themenabend

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