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Medien: „Ein Klima der Angst“

Moskau-Korrespondent Boris Reitschuster über den journalistischen Alltag unter Putin

BORIS REITSCHUSTER, 32, leitet seit 1999 das

„Focus“Büro in Moskau, wo er seit 1990 lebt.

Bei Rowohlt Berlin ist

gerade sein Buch „Wladimir Putin – Wohin steuert er

Russland?“ erschienen.

Seitdem Präsident Putin im Amt ist, hat es immer wieder massive Angriffe auf die Pressefreiheit gegeben. Sind Russlands Medien auf dem Weg zurück in die Sowjetunion?

In der Sowjetunion wussten alle, dass die Medien lügen. Heute erheben die Medien in Russland dagegen nach außen den Anspruch, sie würden objektiv berichten. Sie haben eine Potemkin’sche Fassade aufgebaut. In Wirklichkeit wird in der Berichterstattung oft auf die alten sowjetischen Methoden zurückgegriffen. Und vielleicht ist es noch gefährlicher als in der Sowjetunion. Denn damals war es eine Farce, die jeder durchschauen konnte.

Kann von Pressefreiheit im heutigen Russland dann überhaupt noch die Rede sein?

Im Fernsehbereich gibt es keine Pressefreiheit mehr, bei den Zeitungen ist sie sehr eingeschränkt. Einige Blätter, die allerdings nur wenig gelesen werden, können noch relativ unabhängig berichten. Aber sie werden ständig eingeschüchtert.

Wie sieht das konkret aus?

Nach der Geiselnahme im Moskauer Musical-Theater haben Geheimdienstleute in martialischer Aufmachung Redaktionen besucht, Computer beschlagnahmt und Journalisten verhört. So was hat Signalwirkung: Es reicht, wenn das in einer Redaktion passiert. Dann werden die anderen schon vorsichtiger. Manche Redaktionen werden mit Klagen überzogen, die sie wirtschaftlich ruinieren können. Es gibt aber auch physische Übergriffe. Vor kurzem wurde einer der bekanntesten Journalisten, Otto Lazis, auf brutalste Weise zusammengeschlagen. Unter den Journalisten macht sich ein Klima der Angst breit.

Welche Rolle spielt da freiwillige Selbstzensur?

Sie spielt eine ganz enorme Rolle. Die meisten Journalisten trauen sich kaum noch, etwas Kritisches zu schreiben.

Wie hat sich der Alltag von Journalisten in den letzten vier Jahren verändert?

Die beim Kreml akkreditierten Journalisten werden heute knallhart zensiert. Sie unterliegen ganz genauen Vorschriften, was sie berichten dürfen und was nicht, was sie fragen dürfen und was nicht. So ist es nicht gestattet, Fragen an Präsident Putin zu richten, die vorher nicht abgesprochen wurden. Außerdem geben sich die Behörden heute wieder verschlossener, was die Recherche erschwert. Unter Putin gab es geradezu eine Renaissance der Bürokratie. Gerade ausländischen Journalisten werden ständig Stolpersteine in den Weg gelegt. Viele Vorschriften sind so, dass man sie eigentlich nicht einhalten kann.

Was bedeuten Zensur und bedrohte Pressefreiheit für die Berichterstattung über Tschetschenien?

Journalisten dürfen nur mit einer Sondererlaubnis des Kremls und mit Begleitung in die Kaukasus- Republik reisen. Vor Willkür schützen aber selbst die Aufpasser des Kremls nicht: Im Jahr 2000 waren wir mit einer Gruppe von Journalisten in Tschetschenien. Im Armeelager Chankala begrüßte uns der Pressechef und sagte: Leider ist über Nacht der Hubschrauberflug um 4500 Dollar teurer geworden. Ihr müsst nachzahlen. Wir haben ihn gefragt, wie wir dort an Geld kommen sollten – man kann ja nicht einfach zum Bankautomaten gehen. Er antwortete, das sei ihm egal. Notfalls könnte das Geld in Moskau übergeben werden. Aber bis wir nicht bezahlt hätten, kämen wir von dort nicht wieder weg. Das war ein klarer Fall von Freiheitsberaubung.

Dann mussten Sie sich freikaufen, um nach Moskau zurückkehren zu können?

In dem Lager war auch ein Kollege von NTW. Damals war der Sender noch nicht gleichgeschaltet. NTW war bereit, uns direkt in die 22-Uhr-Sendung zu schalten – mit der Meldung, ausländische Journalisten würden gegen ihren Willen in Tschetschenien festgehalten. Eine halbe Stunde vor der Sendung kam der Pressechef und sagte, das Ganze sei ein Missverständnis und natürlich könnten wir das Lager verlassen. Heute hätten wir in so einer Situation keine Chance mehr.

Wie gehen die russischen Behörden mit der Kritik von ausländischen Journalisten um?

Es kommt vor, dass man nach kritischen Berichten aufgefordert wird, seinen Ton ein wenig zu mäßigen. Andere Kollegen haben konkrete Schwierigkeiten bekommen – bis hin zur Drohung, die Akkreditierung werde nicht mehr verlängert. Das gefährdet die gesamte berufliche Existenz.

In Russland wird also sehr genau wahrgenommen, was in deutschen Medien berichtet wird?

Die deutschen Medien stehen unter besonderer Beobachtung, weil Putin deutsch spricht. Er wählt selbst aus, was er sich ansieht. Bei den anderen Sprachen entscheidet der Pressedienst, was ihm vorgelegt wird.

Was kann der Westen tun, um bedrohten russischen Medien zu helfen?

Wenn Schröder sagt, dass Putin eine echte Demokratie in Russland will, dann wird das im Kreml als Argument dafür gewertet, dass man nichts ändern muss. Der Kreml registriert viel sorgfältiger, was im Ausland gesagt wird, als viele im Westen glauben. Eindeutige Signale an Russland würden auch der Pressefreiheit helfen.

Das Gespräch führte Claudia von Salzen.

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