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Medien: Ein Mann spricht Skat

Ein WDR-Porträt scheitert an Müntefering, liefert dafür ein scharfes Bild der SPD

Heute ist bei den Sozialdemokraten schon Tag zwei nach der kurzen Ära Platzeck, und man wird sich fragen, kurz bevor man diese Sendung einschaltet: Soll man das noch ansehen, muss diese Geschichte nicht in weiten Teilen neu geschrieben, gedreht werden?

Muss sie nicht. Denn dieses Feature ist, anders als der Titel suggeriert, nicht die Geschichte von Franz „Münte“ Müntefering – glücklicherweise, denn wirklich viel oder gar süffigen Stoff gibt der Herr der kurzen Sätze nicht her, als „Mensch hautnah“, wie der Serientitel behauptet, erweist sich Münte genau als der schwere Brocken, für den man ihn ohnehin hält. Erzählt wird vielmehr die jüngere Geschichte von Münteferings Partei, der SPD. Und der Rücktritt des Mannes, der nach ihm kam und nach nur fünf Monaten aufgeben musste, ist womöglich die Pointe nach dem Abspann. Die konnte man kaum voraussehen, aber der Film läuft geradewegs auf sie zu.

Der Film zeichnet die Partei Müntes, die natürlich auch die Partei Schröders war (ist?), in starken Bildern und Sätzen. Starke Bilder: Da steht Parteisoldat Müntefering beim Parteitag vor dem Bergmannschor und singt mit fester Stimme jede Zeile des Traditionsliedgutes mit – während der Kanzler neben ihm ganz offensichtlich nicht annähernd so textfest ist bei „Glückauf, der Steiger kommt“. Und da klammert sich Münte schließlich, mit einem Schwächeanfall kämpfend, noch am Rednerpult fest, bevor er den Helfern entgegenfällt. Starke Sätze: Einen der stärksten liefert er selbst, als er im Interview seinen Zusammenbruch erklärt: „Da hat man nicht mehr großartig an anderes gedacht, da hat man sich reingeschmissen.“ Man hat und es hat. Münteferings Fazit nach unerwartet knapp verlorener Bundestagswahl: „Und es hat sich ja gelohnt. Um Haaresbreite hätten wir die Nase vorn gehabt.“ Für die Partei, so hört der Zuschauer deutlich, ist kein Menschenopfer zu groß. Zweifel? „Nein“, heißt die prompte Antwort, und irgendwo im Off bleibt ganz leise ein „Nie“ hängen. Glückauf!

Die anderen starken Sätze kommen von Beobachtern, Parteifreunden und -feinden. „Franz Müntefering steht für wenig Diskussion und viel Verschwiegenheit“, sagt der frühere SPD-Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag, Friedhelm Farthmann. Wenn man Menschen vor allem in Krisensituationen verstehen könne, sagt die „Zeit“-Korrespondentin Tina Hildebrandt, dann entdecke man da einen Müntefering, der sich zurückzieht, der im „Hier wir Sozis, da die andern“ lebe und militärisch denke. „Das ist das Unangenehme an ihm.“ Und Ex-SPD-Vorstand Christoph Zöpel formuliert fein: Wenn Führung Integration und Kommunikation bedeute, dann sei „seine Art nicht integrativ“. Müntefering, um Selbsterklärung gebeten, spricht Skat: „Wenn man die Karten dicht am Mann führt, kann einem nicht jeder reingucken.“

Die lehrreichsten Sätze sagt der frühere Finanzminister Hans Eichel: Natürlich sei es „eine sehr einsame Entscheidung“ der Spitzenmänner Müntefering und Schröder gewesen, nach dem Verlust der roten Burg Nordrhein-Westfalen im Mai 2005 die Bundestagswahl vorzuziehen. Sehr geärgert habe ihn das, aber: „Man ist doch Profi genug“, um zu wissen, was das Medienzeitalter von Politik verlange.

Der Film ist ein glückliches Missverständnis. Er hat sich einen Menschen ausgeguckt, den er nicht erklärt und im Untertitel auch noch verklärt: „Der rote Vizekanzler“. Es wird nicht viel Rotes sichtbar, und die Rolle des Vizekanzlers bleibt ebenso sehr Randerscheinung im Abgefilmten und Montierten wie der private Franz Müntefering. Aber das macht nichts, denn dafür wird in erstaunlicher optischer Schärfe deutlich, wie eine Partei tickt, die sich Franz Müntefering zum Chef erwählte und ihn nicht nur ertrug, sondern ihm zujubelte, ihn zu ihrem Herzen und ihrer Seele erklärte. Lauter Parteisoldaten, die „Profis genug“ sind, sich, weil’s die Macht oder deren Verlust gilt, jeder einsamen Entscheidung beugen? Man habe die Demokratie gebraucht, um an die Regierung zu kommen, heißt es in der Persiflage des Kabarettisten Mathias Richling. Um dran zu bleiben, brauche man sie nicht. „Schluckauf!“

Und jetzt Platzeck. Dem haben Körper und Seele einen Strich durch die Rechnung gemacht, den hat der unmenschliche Druck, der auf den Parteivorsitzenden alten Typs lastet, aus dem Amt geworfen. Wie viel Müntes Kultur des Schweigens, der einsamen Entscheidungen auch Platzecks Vorsitz noch prägte, wird im Film nur angedeutet. Mehr als dreißig Jahre nach Herbert Wehners Verdikt gegen Willy Brandt („Der Herr badet gern lau“) wäre es vielleicht an der Zeit, die Disziplin aus der Zeit der Arbeiterbewegung ins Parteimuseum zu schicken.

„Menschen hautnah: Macht.Mensch. Münte – Der rote Vizekanzler“; WDR, 22 Uhr 30

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