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Ein Plädoyer: Ist der „Polizeiruf 110“ nicht der bessere „Tatort“?

Wer einen Krimi im Krimi sehen will, der ist mit dem "Polizeiruf" besser bedient.

Wie halten Sie es, lieber Freund des deutschen Fernsehkrimis? Geht ein Schauer der Enttäuschung über den rund gesessenen Rücken, wenn für Sonntag um 20 Uhr 15 ein „Polizeiruf 110“ angekündigt ist? Also kein „Tatort“, sondern ein Krimi aus München, Brandenburg, Rostock oder Magdeburg. Da kommen sie her, die Fernsehstücke mit der DDR-Tradition im Rücken. Selbst der „Polizeiruf 110“ aus Bayerns Hauptstadt biegt ein in die Tradition, die das untergegangene Ost-Fernsehen ins gesamtdeutsche Medium einbringen konnte.

Der „Polizeiruf 110“ ist sehr viel weniger Spektakel als der „Tatort“. Dort werden die ganz großen Zahlen geholt, dort konkurriert ein Til Schweiger mit dem Münsteraner Klamauk-Duo aus Axel Prahl und Jan Josef Liefers um die Quotenkrone. Beide Krimis erreichten fast 13 Millionen Zuschauer.

Die Hysterie um den „Tatort“ hat die beteiligten ARD-Anstalten ein bisschen verrückt gemacht. Kinostars wie Schweiger werden gelockt, der HR-Kommissar des Ulrich Tukur redet gar zu gerne mit seinem Tumor im Kopf, das Privatleben nicht nur einer Charlotte Lindholm alias Maria Furtwängler schiebt sich vor die Ermittlung, die Themen wie Zwangsprostitution müssen knallen, wie dpa-Autor Gregor Tholl zu Recht feststellt. Der große Erfolg des vielleicht letzten TV-Lagerfeuers der Nation führt zu großer Vielfalt im Format und zu neuer Unübersichtlichkeit, was die ermittelnden Fahnder angeht. Mehr als 20 Teams werden demnächst antreten – und das bei 39 Neuausstrahlungen in einer Saison. Der einzelne „Tatort“ soll ein Event sein, was der Stringenz, der Klarheit und dem Fokus der Reihe nicht nur guttun muss.

Vom „Polizeiruf 110“ gibt es übers Fernsehjahr nur sieben Stück. Das ist eine bescheidene Zahl, die der Wucht des Formats entgegenstehen müsste. Trotz der schwächeren Publikumsnachfrage im Vergleich mit dem „Tatort“ ist das aber nicht so. Die Münchner Spielart mit Matthias Brandt braucht keine weitere lobende Erwähnung (siehe obenstehende Rezension), was mit mit Alexander Bukow (Charly Hübner) als Rostocker Ermittler angeboten wird, das ist fesselndes Fernsehen. Der zwischen Gesetz und Gesetzesübertretung chargierende Bukow ist ein Kommissar mit Geheimnis, da will der Zuschauer bei jedem neuen Fall mehr wissen, als er erfährt. Eine Figur, die sich untergründig weiterentwickelt, eine Ausnahme unter den Schablonen-Ermittlern. Und Horst Krause als Horst Krause in Brandenburg? Kult oder Katastrophe, je nach Zuschauermeinung, auf jeden Fall eine Nummer.

Was den gesamten „Polizeiruf 110“ durchzieht: Die Filme konzentrieren sich mehr auf den Inhalt und den Anspruch einer Krimihandlung. Für Puristen des Genres eine Wohltat. Ist der „Polizeiruf“ nicht der bessere „Tatort“? Joachim Huber

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