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Medien: Ein Platz für Helden

Wenig Aufwand, große Wirkung: Der Kinderkanal wird zehn Jahre alt

Als ARD und ZDF am Neujahrsmorgen vor zehn Jahren endlich ihre gemeinsame Tochter „Kinderkanal“ aus der Taufe heben konnten, gab es das Internet natürlich schon; aber nur wenige werden geahnt haben, dass es gerade bei der jungen Zielgruppe dereinst zum großen Konkurrenten für das Fernsehen werden würde. Heute wäre ein Kindersender ohne Internetstandbein undenkbar. Eindrucksvolle 15 Millionen Besuche verzeichnet die Web-Adresse www.kika.de im Monat. Kaum vorstellbar, dass beim Kika gerade mal zwei Menschen mit der Wartung der Website betraut sind. Mehr wäre einfach nicht drin, obwohl Frank Beckmann das für bitter nötig hält. Für den Programmgeschäftsführer ist die Internetpräsenz Teil des öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrags: „Wir sollen ausdrücklich Medienkompetenz vermitteln, nicht bloß Fernsehkompetenz.“

Ohnehin schwebt dem 41-Jährigen, der den Kika seit Juli 2000 leitet, ein ganz anderes Medienmodell vor. Er würde sich am liebsten vom klassischen Modell des „linear broadcasting“ verabschieden und Programme so zur Verfügung stellen, dass Eltern und Kinder sie nach eigenen Vorlieben nutzen können. Als Beispiel nennt er die Vorschulbastelreihe „MitMach-Mühle“. Gedacht ist sie als Sendung, die Eltern und Kinder gemeinsam anschauen sollen. Erfahrungsgemäß haben Mütter oder Väter vormittags jedoch kaum Zeit. Nachmittags aber richtet sich das Kika-Programm an eine ältere Zielgruppe. Könnte man sich die „Mit-MachMühle“ im Internet runterladen, so Beckmanns Vision, wäre nicht nur der Bastelbogen gleich mit dabei, sondern auch noch nützliche pädagogische Tipps. Technisch wäre das ohne weiteres machbar. Aber auch der Kika unterliegt der öffentlich-rechtlichen Selbstverpflichtung, nur 0,75 Prozent der Gesamtausgaben in Online-Aktivitäten zu investieren. Da die Sendung zudem nicht allein stehen würde, müsste also eine regelrechte „Vorschulwelt“ auf der Website aufgebaut werden. Das ist mit bloß zwei Mitarbeitern in der Online-Redaktion allerdings nicht zu machen. Anderswo abziehen kann Beckmann weiteres Personal auch nicht: „Wenn ich etwas Neues machen will, muss etwas Altes sterben.“

Fürs Programm gilt das erst recht. Der Kika-Etat ist von 2003 bis 2008 mit 75 Millionen Euro jährlich nahezu eingefroren. Auch ohne Erhöhung der Mehrwertsteuer steht dem Sender seither faktisch also immer weniger Geld zur Verfügung. Selbst die Ausweitung der Sendezeit bis 21 Uhr, eine sinnvolle Maßnahme, um sich etwa mit der Krimireihe „Krimi.de“ abends an junge Jugendliche richten zu können, musste ohne Etaterhöhung realisiert werden. Eine andere Zahl belegt die Motivation des Kika-Personals: Die täglich 15 Programmstunden werden mit knapp 50 festangestellten Mitarbeitern in Erfurt gestemmt; Sekretärinnen und Produktionsassistenten inklusive. Zum Vergleich: Etwa die gleiche Anzahl ist beim Konkurrenten (und Marktführer) Super RTL allein fürs Marketing zuständig.

Gemessen daran ist die Leistung der Kika-Crew beeindruckend. Wie ansprechend das Programm ist, zeigt nicht zuletzt der Erfolg bei erwachsenen Zuschauern. In Statistiken wird zumeist bloß die Zielgruppe (drei bis 13 Jahre) gemessen. Dabei wäre der Kika, würde er Werbezeit verkaufen, ein ernst zu nehmender Konkurrent für andere Sender. Im November hatte das Programm in der werberelevanten Zielgruppe der Zuschauer zwischen 14 und 49 Jahren einen Marktanteil von 3,8 Prozent. Zum Vergleich: RTL 2 erreichte gerade mal 1,3 Prozent mehr. Der Altersdurchschnitt des Kika liegt bei 24 Jahren. Dabei kostet das Programm jeden gebührenzahlenden Haushalt bloß 18 Cent pro Monat.

Aber Beckmann sieht keinerlei Veranlassung, sich auf Lorbeeren auszuruhen, dafür empfindet er die derzeitige Ruhe in der Medienlandschaft als viel zu trügerisch: „Fernsehinhalte werden auf neuen Wegen zur Verfügung gestellt. Mit neuen Verbreitungswegen drängen auch neue Ideen auf den Markt.“ Beckmann denkt dabei auch an das Handy-TV, ein Bereich, der gerade bei „Kids“ ohne Frage große Zukunft haben wird. Er rechnet daher nicht nur „mit neuen finanzkräftigen Konkurrenten“, sondern mahnt auch, der Kika dürfe „keinesfalls von den technologischen Entwicklungen abgekoppelt werden: Die Kika-Inhalte gehören auf alle Plattformen, mit denen wir Kinder erreichen können. Kinderfernsehen war schon immer mehr als das Programm auf der Mattscheibe“. Entscheidend sei es, die Kinder da zu erreichen, wo sie sich medial aufhielten.

Wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang ist die Interaktivität. Auch in dieser Hinsicht könnte das Internet viel stärker genutzt werden. Beim allabendlichen „Kika.live“ um 20 Uhr zum Beispiel können telefonisch fünf oder sechs Kinder mitwirken. Auf jedes von ihnen kommen laut Beckmann tausend andere, die nicht mitmachen können; via Internet hätten sie diese Chance, von Chats und Diskussionsforen zu aktuellen Themen ganz zu schweigen.

Neben der technologischen Entwicklung machen dem Kika-Chef derzeit vor allem die demografischen und sozialen Veränderungen zu schaffen. Die Zielgruppe potenzieller Kika-Zuschauer schrumpft zusehends: 2002 gab es noch gut neun Millionen Kinder, 2007 werden es gut 8,5 Millionen sein. Und für viele von ihnen ist das Wort „Armutsgrenze“ nicht bloß ein abstrakter Begriff: „Allein in den neuen Bundesländern leben 25 Prozent der Kinder auf Hartz-IV-Niveau.“ Für einen Kinderkanal muss das ein Thema sein; zumindest dann, wenn man seinen Job so versteht wie Beckmann. Aber was kann er dagegen machen? Nicht viel, räumt er ein. „Aber wir können jede Gelegenheit nutzen, um etwa bei Veranstaltungen stetig auf das Problem hinzuweisen“. Und im Programm wird die Reihe „Platz für Helden!“ ausgebaut, ein Projekt, das immer wieder aufs Neue beweisen soll, dass man mit wenig Geld, aber großem Engagement auch viel bewegen kann. Damit werde man nicht die Welt verändern, aber ein Signal setzen: „Es ist mehr möglich, als man denkt“. Beckmanns Traum: „Überall ‚Plätze für Helden‘ zu schaffen“.

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