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Gefühle kennen keine Grenzen. Gregor (Peter Schneider) ist Tischler in Halle, Elke (Katharina Wackernagel) Hausfrau in Coburg. Zusammen sind sie ein Liebespaar.

© MDR

Eine deutsch-deutsche Liebesgeschichte: Im Schutz der Mauer

Jedes Jahr im Juni treffen sich Elke und Gregor in Halle. Die Frau aus dem Westen und der Mann aus dem Osten bändeln an, obwohl sie beide vergeben sind. Ein Arte-Film über eine deutsch-deutsche Liebesgeschichte.

Die TV-Romanze „Jedes Jahr im Juni“ ist ein Zwei-Personen-Stück. Es gibt ein paar Nebenfiguren, aber es geht einzig um Elke und Gregor, ein West-Ost-Liebespaar, das sich 1971 das erste Mal lange anschaut. Elke (Katharina Wackernagel) ist eine Hausfrau aus Coburg, Gregor ein Tischler aus Halle. Elke besucht jedes Jahr die Familie ihres Schwagers und bringt Westwaren mit. Gregor gehört zum Freundeskreis dieser Verwandten. Er ist verheiratet und hat Kinder, ganz wie Elke. Aber das hindert Eros nicht, seine Pfeile abzuschießen.

Romeo-und-Julia-Geschichten, in denen die deutsche Teilung Liebesbindungen zerreißt, gibt es zuhauf. In Markus O. Rosenmüllers Film ermöglicht und schützt die innerdeutsche Grenze eine Liebe, die es sonst nicht gegeben hätte, allerdings eine Liebe mit großen Pausen. Doch immer wenn es Juni wird, kommt Elke angereist, und Gregor wartet in der Datscha. Die Schwägerin weiß Bescheid und spielt mit – diskreter Hinweis darauf, dass in Sachen Moral die DDR ein paar Freiheitsgrade mehr kannte.

Und dann wird Elke schwanger

Das ist der Reiz an diesem kleinen Film: Er projiziert Einstellungen, Vorstellungen, Lebensziele und Liebesspiele in Ost und West auf die Wandlungen dieser Juni-Affäre. Nie sieht man die Zentralfiguren bei ihren Familien in Coburg oder Halle, die Zuschauer werden mit Haut und Haaren auf die Spur der geheimen Liebschaft gezogen. Die darf plötzlich nicht mehr sein, weil der Schwager beruflich aufsteigt, was bei seinem Job, er macht was mit Stasi, Westbesuch ausschließt. Jetzt trifft sich das Paar in Prag. Elke tauscht D-Mark auf der Straße und kriegt polnische Zloty angedreht. Gregor lässt sich die Jacke mit dem Portemonnaie klauen, die beiden prellen die Zeche. Aber solche Kleinigkeiten setzen ihrer Liebe nicht zu. Heikel wird es erst, als Gregor erfährt, dass die Geliebte daheim noch einen weiteren Freund hat. Er ist empört.

Elke hat sich verwandelt. Die Protestgeneration hat auch diese biedere Hausfrau mit ihrer Libertinage angesteckt, für Gregor gab es eine solche Chance kaum. Aber als Elke schwanger wird und ihr Liebhaber meint, das müsse sie ja nicht bleiben, sagt sie: „Ich lebe in Bayern. Was du da sagst, darf ich nicht mal denken.“

„Es wird immer etwas geben, was uns trennt"

Es ist nicht so einfach mit den Freiheiten in Ost und West. Und Regisseur Rosenmüller wie auch Drehbuchautorin Silke Zertz haben es verstanden, im Medium einer ungewöhnlichen Lovestory einiges über die DDR und die BRD und die 70er, die 80er bis in die 90er zu erzählen, ohne irgendwo draufzudrücken. Auch die Ausstattung (Petra Albert) erfreut durch Stimmigkeit. Und so bietet „Jedes Jahr ...“ nicht nur die Geschichte von Elke und Gregor, sondern auch die zweier Teilstaaten, zweier Kulturen, zweier Dekaden in charakteristischen Ausschnitten. Einmal sagt Gregor: „Es wird immer etwas geben, was uns trennt.“ Als die Mauer gefallen ist, zeigt sich, dass er recht hat. Aber man kann den Satz auch in seiner Allgemeingültigkeit verstehen. Jede und jeder Liebende muss sich damit abfinden, dass es keine völlige Verschmelzung gibt.

Katharina Wackernagel spielt Elke mit ihrem Down-to-Earth-Charme, sie sieht erst mal wie eine echte Coburgerin aus, der man gar nicht zutraut, dass sie eine Art Doppelleben führt. Umso erstaunlicher und erfreulicher, dass sie es dann trotz ihrer anfänglichen Skrupel macht, die Leidenschaft ist eben stärker als die Familienpflicht und das dazu passende Frauenbild. Peter Schneider als Gregor hat das gewisse Schmunzeln, mit dem man erotische Abenteuer assoziieren mag, von ihm erwartet man eher den Seitensprung. Aber das mit Elke ist bald weit mehr, es ist ein Schauplatz des Lebens, ein Nebenschauplatz zwar, aber voller seltener Freuden – im Schutz der Mauer. Auch dieser Satz fällt: „Zu irgendwas muss die Mauer ja gut sein.“ Barbara Sichtermann

„Jedes Jahr im Juni“, Arte, Freitag, 20 Uhr 15

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