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Medien: Eine Droge für zwei

„Netzwerk Recherche“ zu Journalismus und Politik

Was die Themenvielfalt betrifft, fühlte man sich ein bisschen wie auf dem Evangelischen Kirchentag. Reichte in Hannover die Themenpalette von sadomasochistischem Sex bis zu Urlaub im Kloster, ging sie auf der Jahrestagung von „Netzwerk Recherche“ in Hamburg vom Niedergang des Sportjournalismus bis zum Leichenhandel des Gunter von Hagens. Und so wie auf Kirchentagen der Eindruck entstehen kann, es versammle sich dort der bessere Teil der Menschheit, versuchte man bei diesem Treffen streckenweise, den besseren Teil der Journalisten zu repräsentieren. Nämlich jene, die die Tugend der Recherche noch in Ehren halten.

Doch in den Veranstaltungen rühmte man nicht nur die investigativen Erfolge, sondern setzte sich auch wie jedes Jahr kritisch mit dem eigenen Tun auseinander. Ein brisantes Thema ist dabei stets das Verhältnis zwischen Politikern und Journalisten. „Die zwei Flügel der politischen Klasse“, nannte sie „Spiegel“-Redakteur und Buchautor Jürgen Leinemann („Der Höhenrausch“) in seiner Eingangsrede. Der ehemals enge Freund von Gerhard Schröder beschrieb, wie auch Journalisten auf der Suche nach Selbstbestätigung und Privilegien der Droge Macht verfallen können, wie sie Politiker nicht mehr nur begleiten, sondern meinen, sie jagen zu müssen, und dabei selbst stets in der Deckung bleiben. „Auch ich habe Zivilcourage nie geübt, nur gefordert“, sagte er. Schlimmer als jede Beeinflussung von außen sei „die weiche Knechtschaft einer eitlen Selbstverliebtheit“; statt der Schere gebe es viel öfter ein Sofa im Kopf.

Gerade jetzt im Wahlkampf lässt sich diese spannungsreiche Beziehung wieder hervorragend besichtigen. Von den Neuwahlen genauso überrascht wie viele Politiker, seien die Medien schnell auf den anfahrenden Zug aufgesprungen, um auf der Seite der vermeintlichen Siegerin zu sein, hieß es bei der Podiumsdiskussion „Inszenierung ohne Inhalte? Die Verantwortung der Medien im Wahlkampf 2005“. Den „Mainstream Merkel“ besprachen Michael Spreng, ehemaliger „Bild am Sonntag“-Chef und Stoiber-Berater, MDRChefredakteur Wolfgang Kenntemich, Kommunikationsberater Klaus Kocks und der frühere „Bild“-Chefdakeur Udo Röbel. Während sich alle einig waren, dass es dieses Mal wohl weniger um die beiden Personen als vielleicht tatsächlich um Inhalte gehen könne, beschrieb Kocks Merkels „Aschenputtel-Strategie“ und erklärte, dass es neben den gut bezahlten PR-Beratern eben auch Journalisten als „schlecht bezahlte Helfer des Wahlkampfs“ gebe. Und Spreng, der glaubt, dass Merkel ihren Wahlsieg nur noch selbst gefährden könne, wies darauf hin, wie gut die Pressekonferenz der Union zur Kandidatinnen-Nominierung als Jubelveranstaltung inszeniert war.

„Im Grunde ist der Wahlkampf schon vorbei“, sagte Udo Röbel. „In atemberaubendem Tempo wurde die Regierung analysiert, beerdigt und ins Archiv überführt.“ Das beurteilte Thomas Steg, stellvertretender Regierungssprecher, im Abschlussforum naturgemäß ganz anders. Er sehe in der Hurra-Stimmung für Merkel ein „Augenblicksphänomen“ und setze auf wechselnde Stimmungen nach dem Motto „Abwarten und weiterarbeiten“. Tagesspiegel-Redakteurin Tissy Bruns prognostizierte, dass wie bei einer Achterbahnfahrt nach der Jubelphase unweigerlich eine Zeit kommen werde, in der die Journalisten wieder besonders kritisch auf Merkel blicken.

Eine der am meisten missglückten Polit-Inszenierungen war auf dem Programmheft der Tagung abgebildet: Joschka Fischer im Januar vor der Parteizentrale der Grünen, umringt von einem Journalistenpulk, der gerade lange in der Kälte ausgeharrt hatte, um erstmals von Fischer selbst etwas zur Visa-Affäre zu erfahren. Es war das vorerst letzte Mal, dass der Politiker in gewohnt herablassendem Ton mit den Medienvertretern sprach. Was folgte – so beschrieb man es auf diesem Podium – war ein lustvoller Rachefeldzug gegen den einstmals so beliebten Politiker.

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