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Auf Nähe getrimmt. Gerhard Delling war während des EM-Turniers offiziell "Moderator Deutsches Quartier" der ARD. Da kam die Distanz auf jeden Fall zu kurz.

© WDR/Herby Sachs

EM-Berichterstattung im Fernsehen: Dreierkette, Viererkette, Fahrradkette

Das EM-Programm bietet starres System-Fernsehen - und Andacht ist die erste Journalistenpflicht.

Im Testament „Die unumstößlichen Kamellen des Fußballs“ sprechen die Heiligen. „Der Ball ist rund“, dekretierte Bundes-Sepp Herberger. „Tore zählen, und das ist gut so“, wusste Reporterurgestein Oskar Klose. „Grau Freund is alle Theorie – entscheidend is auf’m Platz“, entschied Adi Preißler, Gottvater aus dem Fußball-Pott. Das ist der Segen des Spiels und die ewige Verdammnis für die Medien. Da hoppelt Gottes Kugel, frech, gemein herum, kein Wörtlein und kein Bildlein können sie stoppen. Die Erkenntnis muss immer hinterher, die weise Eule der Minerva fliegt in der Dämmerung, irgendwann nach Abpfiff, wenn sie denn eine Startgenehmigung erhält und nicht in Beckmanns unsäglicher „Sportschule“, dieser Malenter Malefiz-Veranstaltung für Nachgeborene, Überheblichkeit zum Harzer Roller degenerieren muss. Auch wenn der letzte Sinn des Spiels auf ewig unerklärlich bleibt, ist doch die Sehnsucht nach Erklärung für Medien erste Bedienungspflicht. Zwingend sind die Nachbearbeitung des Geschehens auf dem Platz, die Empathie für Drama und Wahnsinn, für Glück und Unglück. Da muss dann die Ablaufroutine stoppen, da ist es an der Zeit, die Zeit anzuhalten.

Manches Spiel entzieht sich aller Planbarkeit

Das aber gelingt offenbar immer seltener. Nicht jedes, aber manches Spiel ist eine große Erzählung, sie entzieht sich der Planbarkeit. Mit den selbst gewählten Zwängen einer starren Vorab-Formatierung verpassten ARD und ZDF bisweilen das Abenteuer Fußball. Wenn die Privaten die Halbzeitpausen mit Werbung zuballern, ist das ihrer Geschäftsgrundlage geschuldet. Aber warum „heute-journal“ und „Tagesthemen" sich nicht auch mal in äußerster Kürze üben oder sogar für den Moment ganz die Klappe halten können, wenn nicht Weltstürzendes zu melden ist, bleibt nicht einsehbar. Selbst „Brexit“-Nachbearbeitung oder „Nein ist nein“-Diskussion oder das Wetter sollten warten können, wenn der Fußballfan nach Erklärung lechzt. Sie war besonders notwendig, als das Frankreich-Spiel in die Pause trat.

Das Beharren auf scheinbar unumstößlicher Ablaufform macht das Medium steril. Sind das Elemente einer Art neuer Selbstherrlichkeit an den Interessen des Publikums vorbei? Ein Hang, sich selbst zu entrücken? Fernsehen ist bereits dabei, sich als journalistisches, begeistertes oder erzürntes Subjekt aus dem Spiel zu nehmen, wenn es die von ihm bezahlten Matches begleitet. Oliver Welke, der sonst so herrlich grobianische Komikverbreiter, setzte die gnadenlos heitere Fahrdienstleittermine eines Anstaltsbeamten auf, als gingen ihn Gefühle nichts an. ARD-Pendant Matthias Opdenhövel gab den ganz Coolen und mimte den Behindertenbetreuer für seinen Experten Mehmet Scholl, dessen vorsichtige, noch unausgereifte Kritik an Löws Hasenfußaufstellung gegen Italien als Scholli-Grille niedergebügelt wurde. Sieg sei Sieg. Das ist der neue deutsche TV-Positivismus. Es zählt nur, was zählt.
Dreierkette, Viererkette, hätte, hätte, Fahrradkette – die modernen Moderatoren segeln lieber sorglos im tautologischen Flachwasser, als beim Nachdenken über fußballerische Taktik und fußballerisches Selbstbewusstsein zu helfen. Dabei gehört das Spinnen zum Unterhaltungs-Repertoire. Die „Krombacher Runde“ auf Sport 1 grub da tiefer.
Unverzeihlich auch, dass nicht sogleich das deutsch-italienische Elferdrama in seiner ganzen Größe nachgearbeitet und auf manche Schalte zu Fanmeilen, Funktionären und öden Spielerbefragungen verzichtet wurde. Die liefen oft auf die Blödsinns-Pleonasmus-Floskel hinaus: „Wie sehr empfinden Sie ...?“. (Die Antwort erfordert ja eigentlich eine, pardon, Sprachversehrung. Soll man antworten: „Ganz schön sehr?“) Ohne Print hätte man den Elferkrimi in seiner ganzen Wucht nicht begriffen.

Gelackte Willfährigkeit des TV-Journalismus

Der begleitende TV-Journalismus hat sich auf ein hohes Kaltblüter-Ross gesetzt. Von dort geht eine gelackte Willfährigkeit aus: Trainer, Spieler, DFB haben fast immer alles richtig gemacht. Aus kritischen Beobachtern werden so journalistische Bedienstete, die hausmeisterlich besorgt den deutschen Mannschaftsbus beim Einparken vor einem Hotel begleiten, die andächtig danebenstehen, wenn die Millionäre sich sonnen, radeln oder golfen. Katrin Müller-Hohenstein umsäuselte mit weiblichem Charme die teuren Jungs und ihren gnädigen Trainer. Dabei könnte sie gewiss mehr, wenn sie dürfte. Die Yogi-PKs wurden als Verkündigungstermine genommen. Sie folgten gehorsam dem Grundsatz: Das Erklärungsmonopol liegt beim Verursacher. Der hat unhinterfragt das Recht, etwaige Enttäuschungen umzudeuten. Glaube, der geglaubt werden soll: Wir haben unser Ziel erreicht. Da wird das Erreichen eines Halbfinals alternativlos. Andacht erscheint als erste Journalistenpflicht.
Dem System Fußball mit dem chaotischen Kern ist es gelungen, sein publizistisches Umfeld zu steuern, ein nahezu perfektes Spiel ohne Ball, den ewigen Verwirrer. Glatte Zeiten, schöne Zeiten? War früher mehr Lametta?
Die alte Moderatoren-Zeit des knorzigen deutschen Fußball-Chauvinismus ohne moderne Glattzeichnung polterte ausgerechnet in Markus Lanz’ ZDF-Talk los. Da vollzog sich Trauerarbeit nach dem Halbfinal-Aus als teutonische Wutrede, viel Dichtung und ein bisschen Wahrheit. Waldemar Waldi Hartmann machte ein Fass auf. Er erkannte den Bösewicht am Werke, auf den man während des Turniers ja verzichten musste: den italienischen Schiedsrichter Rizzoli, der die Deutschen benachteiligt hätte, um seine zu deutschfreundliche Haltung im brasilianischen WM-Finale zu büßen und der deshalb von Pierluigi Collina nominiert worden sei. Immer die Glatzköpfe, immer diese Italiener.

Fußball-Chauvinist Waldemar Hartmann

Und Schweinsteigers Handspiel, mit einem Elfmeter geahndet? Nun ja, für Waldi eine Herzlosigkeit so kurz vor der Halbzeit in einem solchen Spiel. Regeln müssen auf Befindlichkeiten Rücksicht nehmen, die Deutschen sind da sehr sensibel. Der Deutsche ist nun mal ewiges Schiedsrichteropfer. So war das Moderatorentum von früher geprägt. In der weit verbreiteten Reserve gegenüber dem Portugiesen-Spielmacher Ronaldo nahm Waldi kein Blatt vor den Mund: Diamant am Ohr, eitel wie eine Diva. Er mag ihn nicht. Er schimpfte es heraus. ARD-Kommentator Tom Bartels operierte da vorsichtiger. Er begann seinen Kommentar zum Spiel Portugal gegen Wales mit einem kritischen Unterton, bekam dann aber die Kurve: Das Kopfballsupertor des sprunggewaltigen Spielmachers beendete die Sehnsucht nach einem Sieg des Underdogs. Der moderne Moderator hält es letztlich immer mit den Siegern. Im dröhnenden Bariton des Béla Réthy ging dann alle Enttäuschung über das lahme Spiel der Deutschen unter. Müller-Hohenstein akzeptierte voller mütterlicher Zuwendung Trainer Löws Klage über die zu großen Anstrengungen seiner Stars in Liga und europäischen Wettbewerben. Haudegen Hartmann höhnte über diese Klage, Löw habe doch lauter unnötige Freundschaftsspiele akzeptiert, Fernsehen und DFB hätten sich über die Einnahmen gefreut. Alte Reporter-Schule, neue Reporter-Schule? Wie gut, dass die Wahrheit immer nur auf’m Platz liegt.

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