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Wie viel digitale Bürgerbeteiligung ist sinnvoll? Die Enquetekommission Internet hat damit experimentiert.

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Enquetekommission Internet: Bundestagsexperimente mit digitaler Bürgerbeteiligung

Wie verkraftet die Gesellschaft die digitale Revolution am besten? Eine Frage für die Enquetekommission Internet. Sie sollte Empfehlungen erarbeiten – und wurde dabei selbst zum digitalen Experiment.

Von Anna Sauerbrey

Zu Beginn dieser Legislaturperiode war ein deutscher Bundestagsabgeordneter 49,3 Jahre alt. Lebenserfahrene Persönlichkeiten sind sicherlich nicht schlecht für die Demokratie. „Digital natives“ allerdings, Ureinwohner des Internets, waren oder sind die meisten nicht, im Gegenteil. 2010 beschloss deshalb der deutsche Bundestag auf gemeinsamen Antrag von CDU, SPD, Grünen und FDP, eine Enquete-Kommission einzusetzen, ein fraktionsübergreifendes Gremium aus Abgeordneten und von den Fraktionen berufenen externen Sachverständigen, das den Bundestag auf komplexe Entscheidungen vorbereiten soll. Der Auftrag war umfassend: Die Enquete solle mögliche Auswirkungen der Digitalisierung untersuchen, von den Folgen der Informationstechnik für den Klimawandel über die Veränderung der Medienlandschaft bis hin zu Sicherheitsbedrohungen aus dem Netz. Sie sollte Strategien zum Schutz von Verbraucherrechten entwickeln ebenso wie Ideen zur Reform des Urheberrechts ausloten.

Nun, zweieinhalb Jahre später, schließt die Kommission ihre Arbeit ab. Im Januar wird sie ihre letzten Berichte vorlegen. Vorbei ist es damit nicht. Die Enquete hat das Thema im Bundestag bekannter gemacht. „Die Aufmerksamkeit ist gewachsen. Den meisten Abgeordneten und Politikern ist heute klar, dass das kein Spezialthema für Nerds ist“, sagt SPD-Enquete-Mitglied Lars Klingbeil. Die Wahrscheinlichkeit, dass in der nächsten Legislaturperiode ein eigener Internetausschuss im Bundestag eingerichtet und womöglich sogar die Stelle eines Staatsministers im Kanzleramt geschaffen wird, ist groß. Am Schluss wird es der Kommission aber wohl gehen, wie dem Internet auch: Eine Revolution werden ihre Vorschläge nicht auslösen – die Arbeit des Bundestags aber könnte sich langfristig schon ändern. Denn die Enquete war auch Labor für neue Ideen.

Ein bisschen revolutionär war die Stimmung schon im Frühsommer 2010, als die Enquete erstmals zusammentrat. Das Thema Netzpolitik hatte es aus der Nische schon ein paar Mal in die Abendnachrichten geschafft, die Piratenpartei war im Aufwind und die Fraktionen bemerkten, dass in ihren Reihen Abgeordnete saßen, die sich auskannten. Mit ihnen beschickten sie die neue Kommission, die meisten von ihnen sind deutlich unter 49,3 Jahre alt, viele zum ersten Mal im Bundestag.

Die Stimmung in der Enquete war von Anfang an weniger von parteipolitischen Querelen geprägt als andere Gremien. „Es gab sehr offene Diskussionen“, sagt Thomas Jarzombek, der für die CDU in der Enquete saß. Lars Klingbeil (SPD) erklärt sich die ungewohnt gute Zusammenarbeit so: „Wir sind als Netzpolitiker geprägt von der Erfahrung, in den Fraktionen um Aufmerksamkeit für das Thema kämpfen zu müssen. Das verbindet.“ Auch in anderer Hinsicht war die Enquete anders: Sie experimentierte als erstes Bundestagsgremium mit neuen Formen der Bürgerbeteiligung. Über die Online-Beteiligungssoftware „Adhocracy“ konnten Bürger der Kommission Textvorschläge zur Diskussion und zum Beschluss vorlegen und untereinander darüber diskutieren. Die Bilanz dieses Experiments mit dem vielköpfigen „Sachverständigen“ fällt allerdings durchwachsen aus. 3259 Personen registrierten sich, 493 Vorschläge gingen ein. Das war deutlich weniger, als viele der Abgeordneten und Sachverständigen erwartet hatten.

Ganz abstreifen konnten die Mitglieder ihre Partei-Zugehörigkeiten nicht

Wie viel digitale Bürgerbeteiligung ist sinnvoll? Die Enquetekommission Internet hat damit experimentiert.
Wie viel digitale Bürgerbeteiligung ist sinnvoll? Die Enquetekommission Internet hat damit experimentiert.

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Der Sachverständige Alvar Freude, ein freier Softwareentwickler, führt das mangelnde Interesse darauf zurück, dass in den Medien und auf Blog so wenig über die Arbeit der Enquete berichetet worden ist. Doch die Enquete machte auch gute Erfahrungen mit Adhocracy. Konstantin von Notz, Enquete-Mitglied der Grünen, sagt, es habe kaum durch Lobbygruppen gekaperte Diskussionen oder Trolle gegeben, also Einzelne, die Debatten boykottieren. Nur einmal, erinnern sich Enquete-Mitglieder, hätte eine Gruppe von Funkmastgegnern das Forum beinahe gesprengt. EinigeVorschläge aus Adhocracy haben sogar den Weg in die Empfehlungen der Kommission gefunden, etwa in den Bericht der Arbeitsgruppe Medienkompetenz. Die anonymen Mitarbeiter schlugen unter anderem vor, Computerspiele stärker als bisher in der Medienpädagogik zu berücksichtigen. Andere Vorschläge wiederum, so Bernhard Rohleder, seien „hanebüchen“ gewesen. Und noch eine Erfahrung machte die Kommission mit ihrem 18. Sachverständigen: Er ist sehr pflegeintensiv. Schließlich erwarteten die Menschen, die sich beteiligen, dass man sich mit ihren Vorschlägen auseinandersetzt, sagt Bundestagsmitglied Konstantin von Notz (Grüne).

Dennoch berfürworten die Enquete-Mitglieder generell auch für die Zukunft den Einsatz von Beteiligungsplattformen im Bundestag, zumindest bei Themen, die viele Bürger betreffen. Mehr Transparenz, meint Konstantin von Notz, könne aber auch durch ein anderes Instrument geschaffen werden, das erstmals von der Enquete getestet wurde: Alle öffentlichen Sitzungen und Anhörungen wurden live im Internet übertragen. Ähnlich durchwachsen sind auch die Ergebnisse der inhaltlichen Arbeit. Denn ganz abstreifen konnten die Mitglieder ihre parteipolitischen Zugehörigkeiten nicht. Das spiegelt sich in den Berichten der Kommission. Ihren umfassenden Auftrag attackierte die Kommission in zwölf Arbeitsgruppen, jede sollte Handlungsempfehlungen für den Bundestag erarbeiten. Thomas Jarzombek (CDU) gibt zu: „Es gibt einige Bereiche, da steht im Bericht wirklich gar nichts drin, da wurden großflächig alle Vorschläge für Handlungsempfehlungen abgelehnt.“

Ein gutes Beispiel für das Problem sind die Empfehlungen für den Datenschutz. Die Enquete meint, den Bürgern müsse ermöglicht werden, einen besseren Überblick zu bekommen, wem sie alles den Zugriff auf ihre Daten eingeräumt haben. Gleichzeitig empfiehlt sie, den „Datenbrief“ nicht einzuführen, mit dem Internetnutzer regelmäßig über die an verschiedenen Stellen gespeicherten Daten erinnert werden würden. Andere Empfehlungen lesen sich einfach oberflächlich. Dass das Urheberrecht reformbedürftig ist, ist wohl selbst denjenigen Bundestagsabgeordneten klar, die am meisten mit dem Internet fremdeln – auch ganz ohne Enquete-Arbeit.

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