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Medien: Ente mit Putin

Zeitungen in Russland: Die meisten haben sich dem Infotainment zugewandt

Das Management hatte Kassensturz gemacht und die letzten Rubel für Radiowerbung verpulvert: „Bleiben Sie hartnäckig, wenn die Kiosk-Verkäufer Ihnen sagen, unsere Zeitung gäbe es nicht mehr“. Gemeint war „Moskowskij Korrespondent“. Die Moskauer Boulevardzeitung hatte Mitte April gleich zweimal über angebliche Heiratspläne von Russlands scheidendem Präsidenten berichtet: Putin habe sich im Februar von Ehefrau Ljudmila scheiden lassen und wolle im Juni Olympiasiegerin Alina Kabajewa ehelichen. Die Faktenlage war allerdings – zumindest für die Urheber der angeblichen „Sensation“ – katastrophal. So katastrophal, dass Alexej Lebedjew, der Besitzer, seinem Herzblatt einen Relaunch verordnete: Der „Korrespondent“ werde künftig ohne politischen Teil erscheinen. Den würde ohnehin keiner vermissen.

In der Tat: Schon zu Sowjetzeiten als Leseratten bekannt, frönen die Russen ihrer Leidenschaft auch in der postkommunistischen Ära. Beim Frühstück am Küchentisch, an der Bushaltestelle und auf den Rolltreppen in der überfüllten Metro. Nur die Inhalte haben sich gründlich verändert. Die Auflagen der großen überregionalen Zeitungen sind seit Jahren rückläufig. Den Mantel lesen bestenfalls 15 Prozent. Davon knapp die Hälfte nur Wirtschaft, Finanzen und Aktienkurse. Der Konsument von klassischen politischen Nachrichten, Hintergründen und Kommentaren ist überdurchschnittlich gebildet, aber unvermögend, kritisch, männlich und um die Fünfzig. Meist auch mit nachhaltig gestörtem Verhältnis zu Computer und Internet. Dort sind fast alle Printmedien bereits seit Jahren präsent und buhlen mit zusammengestauchten Texten ihrer gedruckten Ausgaben um die nächste Lesergeneration.

Die Erfolge sind mehr als bescheiden. Junge Russen, die sich informieren wollen, klicken nicht die Homepages renommierter Printmedien an, sondern Blogs, die gegen den Strich bürsten. Mit einstigen Star-Journalisten, die vor Putins Rundumschlag gegen kritische Berichterstattung bei „Iswestija“, „Kommersant“ oder der „Nesawissimaja Gaseta“ bestimmten, was wo und vor allem wie ins Blatt kam: Sozialkritische Reportagen, Frontberichterstattung aus Tschetschenien, Enthüllungsstorys und Kommentare, die verdammt weh taten.

Die Mehrheit der unter 30-jährigen indes hat mit Politik nichts am Hut. Gut ausgebildet verdienen sie inzwischen – zumindest in den Großstädten – gutes Geld als Analysten, Juristen oder Betriebswirt. Mit Putins Demokratiedefiziten haben sie sich daher längst arrangiert und sich kollektiv in die Konsum- Gesellschaft abgemeldet. Medien hecheln hinterher. Ob Mode, Freizeit, Wellness: Leser haben die Qual der Wahl zwischen einem halben Hundert Hochglanz-Ausgaben, reich bebildert. Es gibt mehrere Dutzend Magazine für Computerfreaks, Auto-Narren, Manager. Je zahlungskräftiger die Zielgruppe, desto höher die Werbeeinahmen. Auch Exoten haben daher eigene „Organe“, wie Zeitungen und Zeitschriften seit der Sowjetära heißen.

Die Kaufkraft des Normalverbrauchers ist nach wie vor begrenzt. Auf die Segnungen der schönen neuen Medienwelt muss er deshalb keineswegs verzichten. Mann hält sich diverse Sportzeitungen, frau will einen gesunden Mix aus Kochrezepten, Haushalt und Tratsch aus den besseren Kreisen der Gesellschaft. Vor allem der russischen. Bloße Kopien westlicher Erfolgstitel, die in den Neunzigern den russischen Markt unter sich aufteilten, haben daher längst den geordneten Rückzug angetreten und machen Blättern Platz, die hier entwickelt wurden.

Politisch wird Souverän Volk von ehemaligen „Organen“ des kommunistischen Jugendverbandes wie „Komsomolskaja Prawda“ oder „Moskowskij Komsomolez“ auf Linie getrimmt. Beide wendeten sich Anfang der Neunziger zu Massenblättern mit Auflagen von bis zu 900 000 Exemplaren, die Themen kurz, knackig und ohne Polemik abhandeln und nur in Regional-Teilen Dampf ablassen. Eben diesem Markt wollte „Moskowskij Korrespondent“ mit der Meldung zum angeblich frisch verliebten Putin aufmischen. Auch, weil Eigentümer Lebedjew zusammen mit Gorbatschow die klamme „Nowaja Gaseta“, wo einst Anna Politkowskaja arbeitete, mit den Erlösen des Boulevardblättchens sanieren wollte. Daraus wird nichts. „Moskowskij Korrespondent“ ist am Kiosk nicht mehr erhältlich, weil angeblich unrentabel. Die Redakteure vermuten Druck. Putin hatte die Presse gewarnt, mit „Schnupfnase“ und „erotischen Phantasien“ in einem fremden Leben herumzuschnüffeln.

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