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Medien: Ewig im Herbst

Eine

von Gerrit Bartels

Letzte Woche konnte man sich in Berlin seines Lebens nicht mehr sicher sein, zumindest als „B.Z.“-Leser. „RAF-Terroristin läuft durch Berlin“ titelte das Boulevardblatt am Montag dieser Woche, „sie darf aus dem Gefängnis, um fotografieren zu lernen“, empörte es sich in roten Lettern und schilderte dann minutiös den Tagesablauf der im Neuköllner Frauengefängnis einsitzenden, ehemaligen RAF-Terroristin Eva Haule.

Die „Rote Armee Fraktion“ gibt es nicht mehr, aber sie ist zurück in den Charts, ganz oben, wie die aktuelle Debatte beweist. Besonders tut sich da zurzeit der Springer-Verlag hervor, so als schreibe man nicht das Jahr 2007, sondern 1977, so als sei der eigentlich durch die Begnadigung der letzten „RAF“-Inhaftierten nur seine Souveränität beweisende Rechtsstaat in höchster Gefahr. Kein Tag vergeht, an dem die „RAF“ nicht ein Topthema in den Boulevardblättern des Verlages ist: das Leben der RAF-Häftlinge Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar und Eva Haule, Mohnhaupts Freilassung Ende März nach 24 Jahren Haft, die Vernachlässigung der „RAF“-Opfer und so weiter.

Die Strategie ruht boulevardzeitungstypisch auf zwei Säulen. Zum einen soll Empörung entfacht werden über das vermeintliche Wohlleben der RAF-Häftlinge: „Brigitte Mohnhaupt: Hier macht die „RAF“-Terroristin Urlaub“ („BamS“, 18. 2.); „Sie trinkt einen Kaffee und blättert durch die Veranstaltungsflyer neben der Eingangstür“, fand die „B.Z.“ einen Tag später bei ihrer Eva-Haule-Verfolgungsjagd heraus. Zum anderen werden diese „Storys“ mit Informationen über den sich inzwischen herauskristallisierenden Kernpunkt der Debatte flankiert („Opfer nicht vergessen!“) und Unionspolitiker als Gewährsleute herangezogen: „Stoiber: ,RAF‘-Terroristen sollen Komplizen verraten“ (B. Z., 19.2). „Schäuble rechnet mit ,Mörderbande‘ RAF ab“ („Bild“ von gestern).

Fraglich ist, ob sich die Springer-Leserschaft tatsächlich dergestalt beeinflussen lässt: Wer hat Angst vor Brigitte Mohnhaupt? Ob sie sich tatsächlich darüber erregt, dass nach über zwanzig Jahren die letzten „RAF“-Häftlinge aus dem Gefängnis entlassen werden? Ob hier nicht viel mehr eine Debatte stattfindet, die die gern verpönte „schweigende“ Mehrheit nur am Rande interessiert, und die nebenbei noch einmal nach alten, überwunden geglaubten Links-rechts-Schemata zu verlaufen scheint und am erregtesten in und um die Rudi-Dutschke-Straße ausgetragen wird. Hier die Springer-Medien mit ihren Abrechnungsfantasien. Dort die „taz“, die mit Sorge den „Retro-Grusel“ um die „RAF“ und den Kampf der „Chefmoralisten der Boulevardpresse“ verfolgt, dann aber wieder geradezu lustvoll einen Linken wie Klaus Walter mit Ex-Linken wie Gerd Koenen und Wolfgang Kraushaar abrechnen lässt: „Exlinke, die die ,RAF‘ verbal pathologisieren, betreiben Geschichtsklitterung“.

Vermutlich bleibt die „RAF“ noch lange, lange ein die ewig gleichen Reflexe auslösendes Reizthema, so wie jeder neue Hitlerfilm eine neue Debatte auslöst. Dass der Höhepunkt der aktuellen „RAF“-Debatte nicht erreicht ist, kann man sich denken. Denn wenn Brigitte Mohnhaupt entlassen wird, sind Springers Medien sicher dabei, und schon jetzt stapeln sich bei ihrem Anwalt die Interviewanfragen.

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