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Exportschlager: Raufaser für Hollywood

Lange spielt Tom Wlaschiha nur Nebenrollen. Dann dreht er ein Video mit seinem Handy – und landet in der aktuellen Staffel von „Game of Thrones“.

Manchmal denkt Tom Wlaschiha an seinen Rektor. „Überlegt es euch gut“, sagte der, „jetzt ist der Zeitpunkt, um zu gehen.“ Es war die erste Stunde an der Schauspielschule Leipzig, Wlaschiha freute sich auf den Unterricht – und dann so eine Begrüßung. „Was soll das denn, bitte?“, ärgerte sich Wlaschiha. Doch als später die Durststrecken kamen, drei, vier, fünf Monate kaum Castings, kein Angebot, überlegte er tatsächlich, aufzuhören. Nicht mehr Schauspieler zu sein. Ein neues Studium zu beginnen.

Heute sitzt Tom Wlaschiha, 39, in der Bar „Fuchsbau“ in Berlin-Kreuzberg, auf dem Holztisch neben ihm ein Stapel Post, darauf sein iPhone. Seine Wohnung liegt hier gleich um die Ecke, Dachgeschoss, zwei Zimmer, Raufasertapete. Er hat sie Hollywood gezeigt – in dem Bewerbungsvideo, das er mit seinem iPhone von sich gedreht hat. Wlaschiha steht darin im weißen T-Shirt vor der weißen Wand und spricht für eine Rolle in „Game of Thrones“ vor, derzeit eine der erfolgreichsten Fernsehserien Amerikas. Wlaschiha hat die Rolle bekommen. Er denkt nun nicht mehr ans Aufhören.

Im „Fuchsbau“ ist es so laut, dass der Ton aus dem Video fast nicht zu hören ist. Wlaschiha hat es auf seinem Handy gespeichert, seit er es im vergangenen Mai aufgenommen und auf der Datenbank der Castingagentur hochgeladen hatte. In den USA ist ein solches E-Casting längst üblich, es spart Reisekosten, binnen kurzem können viele Schauspieler gesichtet werden. Bei Wlaschiha sind die Caster hängen geblieben. „Vielleicht hat es ihnen gefallen, dass ich den sehr skurrilen Text einfach und klar gesprochen habe“, sagt er.

Als Jaqen H’ghar muss er von sich nicht nur in der dritten Person reden, sondern auch die Fantasiesprache beherrschen, die eigens für die Serie entwickelt wurde. „Game of Thrones“ spielt in einer Zeit, die an das europäische Mittelalter angelehnt ist. Jahreszeiten können hier Jahre dauern, Herrscher und Clans kämpfen gegeneinander. Auch die deutsche Schauspielerin Sibel Kekilli hat Auftritte in der Serie. Wlaschiha ist in der zweiten Staffel zu sehen – und möglicherweise auch wieder in der vierten.

Auftragskiller Jaqen H’ghar gehört zu den Braavos, ist einer der sogenannten Männer ohne Gesicht. Wlaschiha verleiht ihm eines. Seine blonden Haare sind dafür unter einer Perücke verschwunden, eine rotbraune Mähne wellt sich auf den Schultern der Rüstung.

Als Kind spielt Wlaschiha lieber Cowboy und Indianer. Er wächst im sächsischen Dohna auf, schon mit 15 übt er an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig, beginnt hier gleich nach dem Abitur die Schauspielausbildung. Er tritt zunächst am Theater Junge Generation in Dresden auf, hat bald auch Lust zu drehen. Die ZDF-„Rettungsflieger“ sind seine erste Serie. „Eine gute Schule“, sagt Wlaschiha, viele Drehtage in kurzer Zeit.

Es folgen „Die Sitte“ und „Küstenwache“, Nebenrollen in dem Zweiteiler „Die Gustloff“, in „Krabat“ und internationalen Produktionen wie „Duell – Enemy at the Gates“, „Operation Walküre“ und „Anonymous“. Kleine Auftritte in großen Filmen. Dazwischen: Warten. Darauf, dass das Telefon endlich klingelt, die Zusage für ein neues Engagement kommt. Wlaschiha lässt von sich neue Fotos für die Agenturseite machen, trifft sich mit Leuten aus der Branche und denkt in solchen Zeiten an seinen Rektor. Daran, aufzuhören. Er ist 30, vielleicht der letzte Zeitpunkt, um noch zu studieren. Journalismus, er schreibt doch gerne. Doch seine Leidenschaft, Schauspieler zu sein, ist zu groß. Er macht weiter. Nicht in Berlin. „In Deutschland werden zu viele Schauspieler ausgebildet, der Markt ist nicht groß genug für alle“, sagt Wlaschiha, „aber davon will man als Anfänger nichts wissen. Da ist alles noch rosarot.“ Als Schauspieler bleibe deshalb nur eines: „Zu lernen, mit der Unsicherheit umzugehen“, sagt er.

Er zieht nach London, in eine WG nach Bethnal Green, und sucht sich eine Agentur. Viele amerikanische Produktionen casten in Großbritannien. Aber um in einer internationalen Produktion mitspielen zu können, ist Englisch Voraussetzung. Deshalb trainiert Wlaschiha „received pronunciation“, das perfekte „Oxford English“. Doch für seine erste Rolle muss er ausgerechnet seine Russischkenntnisse hervorkramen. In der fünfteiligen BBC-Serie „The Deep“ spielt er an der Seite von Minnie Driver einen Forscher, der mit seinem Team in einem U-Boot in der Arktis gefangen ist.

Wlaschiha ist nicht auf ein bestimmtes Image festgelegt. Er ist nicht Bruce Willis, der immer den Actionhelden mimt, oder Owen Wilson, der bevorzugt eingesetzt wird, wenn’s romantisch werden soll. Wenn Caster eine Rolle besetzen wollen, gibt es keine Schublade, wo Wlaschiha drinsteckt. „Ein bestimmtes Image kann Vor- und Nachteile haben“, sagt Wlaschiha. Einerseits positioniere man sich klar und bleibe für bestimmte Rollen eher im Gedächtnis von Castern, Regisseuren, Produzenten. „Auf der anderen Seite möchte man sich als Schauspieler natürlich möglichst vielseitig ausprobieren und nicht auf einen Typ festlegen lassen.“ Vielleicht passt er auch deshalb so gut zum Mann ohne Gesicht, zu Jaqen H’ghar.

Die zweite Staffel von „Game of Thrones“ ist in den USA bereits gelaufen, in Deutschland ist sie gerade auf Sky Atlantic zu sehen. Für Wlaschiha kann die Rolle einen Karrieresprung bedeuten. Normalerweise läuft es andersherum: Nur wer viele Hauptrollen in Deutschland bekommt, darf sich Hoffnungen auf eine Nebenrolle in Hollywood machen. Wlaschiha bleibt zurückhaltend. „Eine Karriere in Hollywood kann man nicht planen“, sagt er. Zu groß ist die Konkurrenz, zu groß der Druck. „In Deutschland hat man etwa drei Castings im Jahr, jetzt in England sind es schon drei im Monat, in L. A. sind es dann drei am Tag. Kaum hat man da Luft geholt, schon ist man wieder draußen. Damit klarzukommen, dass man ständig beurteilt wird und von der Entscheidung anderer Leute abhängig ist, ist nicht einfach“, sagt er.

Auf dem Münchner Filmfestival ist er in dem britischen Spielfilm „Resistance“ als Wehrmacht-Offizier zu sehen, der mit seiner Einheit auf eine Gruppe walisischer Farmerinnen trifft. Eine fiktive Geschichte, die sich der Frage widmet, wie weit ein Mensch gehen kann, bevor er seine Überzeugungen verrät.

Tom Wlaschiha ist nicht dem Rat seines Rektors gefolgt. Er ist weitergegangen. Und seiner Überzeugung treu geblieben.

„Game of Thrones“, Donnerstag, 21 Uhr, Sky Atlantic HD

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