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Medien: Fahnder sucht Erinnerung

„Blackout“ im Berliner Drogensumpf – der Sat-1-Vierteiler bietet sechs Stunden Spannung

Paul Novak tut keinen Schritt ohne sein „Erinnerungsbuch“. Alles trägt er ein, anfangs sind das ganz grundlegende Dinge wie eine Skizze seines Krankenzimmers. Man sieht darauf die Schränke und auch das Bett, in dessen Umrisse Novak das Wort „Ich“ geschrieben hat. Der Drogenfahnder hatte einen Unfall, wachte erst nach sechs Monaten wieder auf und erinnert sich nun an nichts mehr. Er läuft wie ein freundliches Gespenst durch die Gegend, das begierig aufsaugt, was all die fremden Menschen um ihn herum zu wissen scheinen. Nur eins will er nicht wahrhaben: „Lili ist tot“. Das steht bereits in seinem schwarzen Buch, und das sieht auch das Fernsehpublikum in den ersten, noch rätselhaften Szenen. Lili war seine Frau, sie wurde erschossen, und Paul Novak verunglückte, als er mit ihr ins Krankenhaus rasen wollte. Beim letzten Treffen hatte er ihr eine CD zugesteckt, hatte sie um Vergebung gebeten, versprochen, „da rauszukommen“. „Ich mach alles gut, hörst du?“, sagte er. Doch nichts wird gut, da muss sich erst sein „Erinnerungsbuch“ in 360 Fernsehminuten nach und nach füllen.

Nicht jede Produktion, auf der heutzutage das Etikett „Eventfernsehen“ klebt, ist ein Ereignis. Aber im Falle von „Blackout“, dem „Event-Vierteiler“ von Sat 1, kann man dieses Eigenlob guten Gewissens durchgehen lassen. Denn „Blackout“ beweist, dass auch das deutsche Fernsehen mit einer eigenproduzierten (Mini-)Serie glänzen kann. Als Serie war „Blackout“ jedenfalls konzipiert. In acht 45-Minuten-Folgen werden jeweils die Ereignisse eines Tages erzählt. Doch weil die Geschichte aus dem Berliner Drogensumpf so komplex und zugleich durchgehend spannend geraten ist, zeigt Sat 1 die von der Kölner Typhoon AG des ehemaligen RTL-Chefs Marc Conrad produzierte Miniserie nicht in acht wöchentlichen Folgen, sondern jeweils sonntags und montags innerhalb von neun Tagen. Merke: Wenn eine deutsche Serie mal richtig gut gelingt, bleibt sie nicht lange eine Serie. Kabel 1 wiederholt die ersten beiden Folgen (1. und 4. November), während Sat 1 die Folgen 3 und 4 noch gar nicht ausgestrahlt hat.

„Blackout“ erzeugt einen Sog, der das Warten auf den nächsten Teil zur Geduldsübung macht. Bis in die Nebenrollen ist der Vierteiler glänzend besetzt. Der Berliner „Tatort“-Darsteller Dominic Raacke überrascht hier als karrieregeiler Anwalt Dermühl und Bruder von Paul Novak, Richy Müller ist der jederzeit kontrollierte Chef des Rauschgiftdezernats. In weiteren Rollen überzeugen Claudia Michelsen, Hilmi Sözer, Walter Kreye und Ina Weisse. Drehbuchautor Norbert Eberlein erzählt eine vielschichtige Geschichte von Verrat und Verlust. Es geht um Liebe und Politik, um organisierte Kriminalität und Korruption, um drogenabhängige Jugendliche und reiche Saubermänner. Ein düsterer Stoff mit wenigen Momenten von Hoffnung, den Regisseur Peter Keglevic und Hans-Günther Bücking ohne Gefühlsduselei inszeniert haben.

Wenn es pathetisch zu werden droht, gibt es noch die beiden Hauptdarsteller: Misel Maticevic als verunsicherten, von seinem Gedächtnis im Stich gelassenen Novak und den umwerfenden Roeland Wiesnekker, der Novaks Partner Boris Schenker spielt. Schenker ist korrupt, brutal, zynisch, quasi eine Dampfwalze von Polizist, der seinen im Leben erlittenen Verlust wegkoksen und wegprügeln möchte, und der zugleich ein trauernder, tief getroffener Vater ist. Bereits im Kleinen ZDF-Fernsehspiel „Strähl – Ein Bulle am Abgrund“ gab Wiesnekker einen drogensüchtigen Drogenfahnder, in Zürich. Doch in Berlin ist der Abgrund tiefer.

„Blackout – Die Erinnerung ist tödlich“, Sat 1, Sonntag, 20 Uhr 15, weitere Folgen: 30.10., 5. und 6.11.

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