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Dunkle Zeiten für den Spiegel

© dpa/Maurizio Gambarini

Update

Fälschungen beim "Spiegel": Journalist Relotius gibt Auszeichnungen zurück

Claas Relotius, Ex-"Spiegel"-Autor zahlreicher gefälschter Reportagen, gibt seine Reporterpreise zurück. Inzwischen wird über ein grundsätzliches Preis-Moratorium diskutiert.

Der ehemalige "Spiegel"-Redakteur Claas Relotius hat seine vier Deutschen Reporterpreise zurückgegeben. Der Autor habe sich mit einer SMS gemeldet und entschuldigt, gab das für die Preisvergabe verantwortliche Reporter-Forum am Donnerstag bekannt.

Am Mittwoch hatte der "Spiegel" offengelegt, dass der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Relotius mehrere seiner Texte für das Magazin in Teilen erfunden hatte. Erst vor kurzem hatte das Reporter-Forum den Autor für seinen Artikel "Ein Kinderspiel" mit dem Preis für die beste Reportage des Jahres ausgezeichnet. Auch seine als gefälscht geltende Geschichte "Zimmer 440" über einen Gefangenen in Guantanamo wurde 2016 von der Jury prämiert. Vom "Spiegel" hieß es zu den Betrugsfällen, Relotius habe "mit Vorsatz, methodisch und hoher krimineller Energie getäuscht."

Die gefälschten Reportagen von Relotius haben inzwischen eine grundsätzliche Diskussion über Journalistenpreise ausgelöst. "Stern"-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges hat im ZDF-"Morgenmagazin" ein Moratorium für Reportagepreise angeregt. Man müsse nun prüfen, ob das ein Einzelfall war, oder ob das Prinzip der großen Reportage generell überdacht werden muss. "Hat sich da ein Stil eingeschlichen, der die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion beseitigt?", fragte Jörges. Er habe seit Jahren den Eindruck, dass die Autoren von großen Reportagen als Motiv für ihre Arbeit zumindest weitgehend einen großen Journalistenpreis im Auge haben. "Die schreiben weniger für ihre Leser als für die Jurys der Journalistenpreis." Darum sollten Reportagepreise wie der Reporterpreis und der Kisch-Preis für mindestens drei Jahre aussetzen, um in der Zeit über alles zu reden und nachzudenken.

Nannen-Preis nicht direkt betroffen

Neben den vier Reporterpreisen hat Relotius noch eine ganze Reihe anderer Preise erhalten, darunter den Peter-Scholl-Latour-Preis, den Konrad-Duden-, den Kindernothilfe-, den Katholischen und den Coburger Medienpreis. Ein Nannen-Preis war hingegen nicht darunter, obwohl Relotius auch dort Texte eingereicht hat, wie Andreas Wolfers dem Tagesspiegel sagte. Wolfers ist Leiter der Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg und zugleich Sprecher der Jury des Nannen-Preises, der in fünf Kategorien vergeben wird - zu der insbesondere der Kisch-Preis gehört. Gerade diese Genre genießt beim Nannen-Preis traditionell einen hohen Stellenwert.

Der Überlegung von "Stern"-Kolumnist Jörges nach einem Preis-Moratorium in der Reportage-Kategorie will sich Wolfers nicht anschließen. "Als Sprecher der Jury hat mir kein Mitglied der Jury das Ansinnen mitgeteilt, auf den Kisch-Preis zu verzichten", sagte Wolfers, der es für völlig überzogen hält, das Reportage-Genre unter Generalverdacht zu stellen. Dass der Nannen-Preis, in dessen Rahmen der Kisch-Preis vergeben wird, von solchen Fällen bislang verschont blieb, führt er auch auf das eigene Verifikationssystem zurück. Dazu gehört, das die Bewerber zusätzlich zum eingereichten Text ein Making-of des Beitrages abgeben müssen.

"Aber wir haben sicherlich auch Glück gehabt", räumte Wolfers ein, denn kein Preis könne die Prüfungen in den Redaktionen ersetzen oder einer Dokumentation wie beim "Spiegel" ein eigenes System entgegensetzen. Im Jahr 2011 wurde einem Spiegel-Autor ein Kisch-Preis aberkannt, weil er in seinem Text die Eisenbahn im Keller von Horst Seehofer so beschrieben habe, als ob er sie selbst dort gesehen hätte - obwohl es sich um Hörensagen handelte. Dies sei jedoch kein Fake, keine Fälschung gewesen. Zudem habe die Aberkennung des Preises zu einer Sensibilisierung in der Branche geführt, wie solche Szenen gekennzeichnet werden müssen.

Anfang Januar endet die Frist für die Einreichungen für den diesjährigen Nannen-Preis. Eine Vorjury trifft eine Vorauswahl, daraus werden die Nominierungen vorgenommen. Der Preis in insgesamt fünf Kategorien wird am 21. Mai im Gruner-und-Jahr-Verlagshaus in Hamburg vergeben.

Theodor-Wolff-Preis gegen Moratorium

In einer ersten Reaktion wendet sich der vom Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger (BDZV) initiierte Theodor-Wolff-Preis ebenfalls gegen ein Preis-Moratorium. Der Preis wird in den Kategorien Reportage und Meinung vergeben, getrennt nach regionalen und überregionalen Medien. Zudem gibt es Preis für das Jahresthema der Jury. "Das ist sicher ein ganz schwerer Tag für die Branche und das Ansehen der Presse. Es stellt vieles in Frage, wofür wir stehen, aber wir werden weder den Theodor-Wolff-Preis noch die Kategorie Reportage unter ein Moratorium stellen, sagte Anja Pasquay, Geschäftsführerin des Theodor-Wolff-Preises, dem Tagesspiegel. Das würde sonst bedeuten, alle Journalisten unter Verdacht zu stellen und zu bestrafen, die täglich  ihr Bestes für die Leser und Nutzer geben. Dies sehe auch der Vorsitzende des Kuratoriums, der Kölner Verleger und langjährige BDZV-Präsident Helmut Heinen, so. "Über Folgen und Lehren wird gewiss noch zu diskutieren sein, doch steht die Branche gerade erst am Anfang der Klärung."

"Wie Doping im Sport"

Bis Ende Januar läuft die Frist für die Einreichung neuer Texte für den Theodor-Wolff-Preis 2019, der am 26. Juni in Berlin in insgesamt fünf Kategorien vergeben wird. Ob Reportagen beispielsweise aus weit entfernten Regionen nicht mehr für Preise infrage kommen könnten, weil sie sich nur schwer verifizieren lassen, diese Frage sei dann allerdings Privileg und Last der Juroren, sagte Pasquay. Allerdings sei bereits jetzt klar, dass Relotius, in dem er mit unlauteren Mitteln einen vermeintlichen Standard für Reportagen erreicht habe, anderen Journalisten Preise weggenommen habe. "Das ist wie bei verbotenem Doping im Sport."

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